Modellsegelfliegen in den Dolomiten Feine Herbst-Thermik zwischen Marmolada und Sella
Es gibt Fluggeräte im Gebirge, die waghalsige Manöver ausführen, deren Piloten dabei aber immer auf dem Boden bleiben: Die Rede ist von Modell-Segelfliegern. Die Königsdisziplin dieses besonderen Hobbys ist der freie Flug im Gebirge. In den Dolomiten, an der Grenze zwischen dem Veneto und Trentino, finden sich traumhaft schöne Spots mit idealen Thermikbedingungen.
Wilfried Hörmann ist passionierter Modell-Segelflieger und organisiert seit einigen Jahren Flugreisen der etwas anderen Art. Der Allgäuer kundschaftet Spots in den Alpen aus, an denen gute Thermik herrscht und die den Teilnehmern ein großartiges Panorama bieten. Zudem klärt er vorab mit den Grundstückbesitzern ab, ob dort auch geflogen werden darf. Gerade arbeitet sich seine vierköpfige Gruppe mit riesigen, bis zu 12 Kilogramm schweren Rucksäcken, die an überdimensionale Gitarrenkoffer erinnern, vom Pordoi-Joch zu einem Hang hoch, wo sie direkt gegenüber der Marmolada ihre Flieger in den Wind werfen können.
Fliegen zwischen Gefühl und Technik
Doch das Modell-Segelfliegen in den Alpen ist nichts für Anfänger. Es braucht ein geschultes Auge und viel Gespür fürs Gelände, um zu erkennen, wo gute Aufwinde oder Turbulenzen herrschen. Das Steuern muss klappen ohne nachzudenken. Es gibt aber auch technische Hilfsmittel, die das Fliegen erleichtern, wie etwa das Variometer. Es zeigt über die Fernsteuerung akustisch an, ob der Flieger steigt oder sinkt. Dadurch lässt sich erkennen, wo gute Bedingungen herrschen. Zudem haben manche Modelle einen Zusatzmotor, der den Start erleichtert und in kniffligen Situationen hilft, zum Beispiel, wenn aufgrund mangelnder Thermik ein Absturz in eine Gruppe Menschen droht. „Absaufen“ heißt ein solcher Thermikverlust in der Pilotensprache.
Klimawandel bedroht beliebte Flugspots
Doch gegen einen Gegenspieler ist jede Technik machtlos: den Klimawandel. Auch das Segelfliegen, egal ob bemannt oder mit Modellen, hat mit veränderten Bedingungen zu kämpfen. In manchen Gegenden haben sich Winde verschoben, wie Teilnehmer André beobachtet hat. Er war früher oft in Dänemark fliegen, doch mittlerweile hat sich der Westwind Richtung Norwegen verlagert. Auch beim bemannten Segelflug im Gebirge hat sich die Saison mit der besten Thermik für Langstreckenflüge nach vorn ins Frühjahr verschoben.
Flieger im Strudel der Weltpolitik
André hat ein besonderes Modell dabei. Der Zürcher fliegt einen knallgelben Shinto – ein Modell eines gewissen Vladimir. Dessen Fabrik in Charkiw in der Ukraine wurde im Krieg zerstört, die Mitarbeiter sind zum Teil auf der Flucht. Die Community hofft nun, dass Vladimirs Modelle, die in der Szene aufgrund ihrer hochwertigen Karbonteile und ihrer Erfolge bei Weltmeisterschaften Kultstatus genießen, bald wieder an anderer Stelle hergestellt werden können. Bis dahin werden die Flugzeuge nur äußerst behutsam eingesetzt, denn die Ersatzteilversorgung gestaltet sich schwierig.
Während der Shinto explizit für eine bestimmte Wettbewerbsklasse im Flugsport gebaut wurde und wie die Idee eines Flugzeugs anmutet, gibt es auch Modelle, die realen Maschinen nachempfunden sind.
Ein solches hat Boris dabei, seine „Libelle“ ist ein sogenanntes “Scale“, also ein maßstabsgetreu dem Original nachempfundenes Segelflugzeug. Da sie schwerer ist als die auf perfekte Flugeigenschaften getrimmten Sportflieger, wird sie nicht aus der Hand gestartet, sondern mit einer sogenannten „Flitsche“. Das ist eine Art Katapult, das den Flieger mit einem Gummi die nötige Startenergie zuführt. Für den Start ins Hobbyfliegen braucht es hingegen nicht unbedingt viel Startkapital. Kleine Schaumstoffmodelle sind günstig zu haben, teurer sind die Fernbedienungen, die mehrere hundert Euro kosten. Und wie bei jedem Hobby ist die Skala für hochwertige Flieger nach oben offen.
Thermikklettern an den Sellatürmen
Am anderen Tag führt Wilfried Hörmann seine Gruppe zum Sellastock. Die Piloten werfen ihre Modell-Segelflieger nahe dem Sellajoch über die Kante. Während die Touristen am Joch zur Langkofelscharte auffahren und Kletterer sich in den Genussrouten an den Sellatürmen austoben, klettern die kleinen Segler von Wilfrieds Gruppe nur mit der Energie von Sonne und Wind in die Höhe und fliegen mit den Dohlen um die Wette.