Beginn der Skihochtourensaison rund um die Corno-Gries-Hütte Das Tessiner "Alpen-Raumschiff"
Willkommen auf der Corno-Gries-Hütte! Wirt Thomas Bärlocher lässt es sich nicht nehmen, seine Gäste mit einem kräftigen Handschlag zu begrüßen, wenn sie nach drei Stunden Aufstieg von All´Acqua im Bedretto-Tal durch die Tür in den Skiraum poltern. Sogar mit Namen spricht Bärlocher die Ankömmlinge meist an. Das persönliche Willkommen sei ihm wichtig, denn es habe Tradition auf der Capanna Corno Gries, sagt der Mittfünziger.

Das Hüttenteam hat in den ersten Tagen der Skihochtouren-Saison Anfang März alle Hände voll zu tun.
Gerade erst am Vortag ist Wirtin Andrea Baumgartner mit dem Hubschrauber eingeflogen und hat 1600 Kilogramm Lebensmittel mitgebracht. Alle Sachen mussten schnell von der eisigen Terrasse ins warme Hütteninnere verräumt werden – damit nur ja nichts einfriert: Getränke, die nicht lange halten, Frischprodukte wie Gemüse, Milch, Joghurt, Butter und Käse. Auch Bier und Fleisch wanderten in mühsamer Handarbeit samt Kisten, Steigen und Boxen in den Winterraum der Hütte, der somit zum Depot wird. Denn der nächste Versorgungsflug steht erst wieder in vier Wochen an. Bis dahin sollte längst Alltag im Betrieb eingekehrt sein.
Über eine steile Innentreppe – sie ist quasi die Lebensader des Hauses – geht es hinein in diesen ganz speziellen Bau, der schon von außen ein echter Hingucker ist: Unten ein steingemauerter Sockel, oben drauf ein trapezförmiger Holzaufbau mit viel Glas - keine klassische Berg-Architektur. „Moderne trifft Tradition“ könnte man sagen. Und was ist das nun? Ein Berg-UFO? Ein Alpen-Raumschiff? Ein Fluglotsen-Tower?
Kinder nennen es ein „verkehrtes Haus“ wegen der Form, erzählt Baumgartner. Der steinerne Bau im Val Corno am Nufenenpass wurde 1920 errichtet. Ursprünglich war es eine Militärbaracke, damit Soldaten den Pass bewachen konnten. Später ging die Hütte an den Schweizer Alpen Club SAC über, der daraus ein Schutzhaus mit zeitweise 90 Plätzen machte. 2007 wurde alles vom Gebäude über dem Erdgeschoss abgerissen und auf den steingemauerten Sockel die auffällige Holzkonstruktion gesetzt. Heute sind im Obergeschoss die Schlafräume untergebracht. Ein Fensterband auf Höhe des Ess- und Aufenthaltsraumes macht eine Rundumsicht in alle Himmelsrichtungen möglich. So ist das auffällige Gebäude, das man schon vom Cornotal-Boden aus erspähen kann, nicht nur ein Hingucker, sondern auch ein Rausgucker, denn das gesamte Restaurant und die halb-offene Küche werden von dem Glasband eingerahmt. Bei schönem Wetter muss man bisweilen sogar drinnen eine Sonnenbrille tragen wegen des hellen Lichts. Bei der Arbeit – Brotmachen oder Kuchenbacken – hat auch das Hüttenteam einen Panoramablick. Im Winter strolcht manchmal ein Fuchs auf dem Fenstersims vorbei, im Sommer kann man die Murmeltiere beobachten.
Auch die spezielle Architektur hatte das Wirtspaar 2022 aus Dübendorf im Zürcher Oberland gelockt, die Hütte im Tessin zu übernehmen. Für sechs Monate im Jahr leben sie nun hier oben, lassen ihre Berufe als Bahn-Projektleiter und Marketing-Frau ruhen und widmen sich ganz ihren Gästen. Im Winter kommen diese vor allem wegen der Ski-Gipfel, die die Corno-Gries-Hütte einrahmen: Helgenhorn, Grieshorn, Blinnenhorn, Pizzo Gallina, Pizzo Nero oder Nufenenstock.
Drei Viertel der Besucher allerdings nutzen den hochalpinen Stützpunkt als Etappe auf der „Haute Route du Soleil“. Sie führt in vier bis sechs Tagen von Realp im Urserntal im Kanton Uri ins Binntal im Kanton Wallis. Im Sommer dagegen wird die Hütte gerne von Tessiner Familien besucht, vor allem der Tierwelt wegen, die sich hier oben immer wieder zeigt: Bartgeier, Steinböcke, Gämsen, Murmeltiere, manchmal auch Wölfe, die von Italien herüberkommen. Bis auch wieder Kühe und Geißen auf der Alp neben der Corno-Gries-Hütte weiden, wird es noch eine Weile dauern.
Jetzt zum Beginn der Skihochtourensaison ist für Thomas Bärlocher und Andrea Baumgartner erst einmal „Troubleshooting“ angesagt: Die Kläranlage streikt im Frost - und das heißt nächtliches Schneeschippen an den Gulli-Deckeln, damit die Gäste ihre Morgentoilette erledigen können. Auch im Tessin ist die Bewirtschaftung einer hochgelegenen Berghütte eben kein reines Zuckerschlecken.