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Empirisches Kräuterwissen in der Wurzelbrennerei „Lechmed“ Wurznzeit im Herbst

In abgelegenen armen Tälern wie dem Tiroler Lechtal mussten sich die Menschen bei Krankheit früher selbst helfen, denn Arzt oder Apotheke waren weit entfernt und teuer. Kein Wunder also, dass hier das empirische Wissen um die Kraft der alpinen Heilpflanzen von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Viele Höfe hatten auch eigene „Branntweinhütten“, in denen Heilschnäpse und Tinkturen hergestellt wurden – so mancher Ortsname erinnert noch daran, wie zum Beispiel der „Branntweinboden“ bei Gramais.

Von: Andrea Zinnecker

Stand: 13.10.2022 | Archiv

Empirisches Kräuterwissen in der Wurzelbrennerei „Lechmed“ | Bild: BR; Andrea Zinnecker

Jetzt im Herbst haben Blutwurz, Meisterwurz, Mutterwurz, und Gelber Enzian Hochkonjunktur, auch in der kleinen Familien-Manufaktur und Wurzelbrennerei “Lechmed Kräuterwelten“ in Hägerau.

Stefan Wildanger im Gärkeller

Muskelkater, Verstauchungen, Zerrungen – Arnika-Tinktur gehört in jede Wanderapotheke und wird auch bei Lechmed hergestellt, als Nebenprodukt der Wurzelbrennerei, erklärt Stefan Wildanger, denn im 80prozentigen Alkohol des Vorlaufs werden die Inhaltsstoffe der kleinen Arnika-Blütenblätter gelöst. Die Tinkturen und Heilschnäpse der privaten Manufaktur dienen nicht einer medizinischen Therapie, sondern dem allgemeine Wohlbefinden - Wurzelwellness sozusagen. Die kleine Wurzelknolle der Blutwurz färbt sich beim Kontakt mit Luft blutrot – daher kommt der Name – und wirkt entzündungshemmend. Die Meisterwurz ist ein altes Hausmittel bei Erkältungen, die Engelwurz steckt auch in vielen Gin-Sorten und die Brennesselwurzel hilft bei Prostataleiden. Und was im Alpenvorland der Bärwurz ist, ist inneralpin die Mutterwurz – eine eiweißreche Futterpflanze, die den Milchfluß der Kühe anregt und beim Menschen herz- und magenstärkend wirken soll.

Ein farbenfrohes Spektrum

Die Wurzelernte beginnt am 15. August, dem Frauentag, und endet mit dem ersten Schnee. Die Wurzeln werden auf den Bergwiesen ausgegraben, gewaschen und geputzt und schnell verarbeitet. Eingemaischt gären sie in Fässern für acht bis zwölf Wochen vor sich hin und sorgen für eine „Herbst-Sinfonie“ wie Stefan Wildanger schmunzelt. Denn durch den Gärprozess heben sich geräuschvoll die Spunde der Fässer – ein untrügliches musikalisches Zeichen, dass die Gärung funktioniert. Dann wird die Maische im Doppelbrand-Verfahren, also Roh- und Feinbrand, gebrannt, wobei der Feinbrand rund 12 Stunden benötigt.

Alexandra Ladstätter und Stefan Wildanger in der Wurzelbrennerei

Herbstzeit ist Wurznzeit und die wichtigste Rolle spielt dabei der Gelbe Enzian, die bitterste Pflanze Europas. Weil es im Lechtal keine Grabrechte für bestimmte Familien gibt, muss man den Gelben Enzian entweder selbst auf den Bergmähder haben oder eben anpflanzen. Stefan Wildanger hat 20.000 Setzlinge auf zwei Hektar Fläche in ausgebracht und mit einem Elektrozaun gut geschützt. Vieh und Wildtiere meiden den gallebitteren Gelben Enzian, doch menschliche Wurzelräuber verwechseln die Natur hin und wieder mit einem Selbstbedienungsladen …

Im Reich der Heilschnäpse und Tinkturen

Die Wurzel des Gelben Enzians kann nur in mühevoller Handarbeit geerntet werden. Fünf Jahre braucht der Gelbe Enzian, bis man die Wurzel das erste Mal ernten kann, er gedeiht auch nur in einer Höhe von über 800 Metern auf kalkhaltigen Böden und benötigt zum Auskeimen drei Monate bei null Grad. Die Wurzeln des Gelben Enzians werden dann zu Heilschnaps und Tinktur verarbeitet. Wer seinen Verdauungsapparat auf die Nahrungsaufnahme vorbereiten möchte, kann eine halbe Stunde vom dem Essen ein paar Tropfen einnehmen, dann entfalten die Bitterstoffe des Gelben Enzians ihre beste Wirkung. Für Interessierte gibt es in der Lechmed Kräuterwelt auch Seminare: empirische Heilpflanzenkunde für den Hausgebrauch - wurzelreich und wohlduftend.

Weitere Informationen gibt es unter www.lechmed.at – die Manufaktur hat keine Öffnungszeiten und auch keinen Onlineshop, wer sich für die Produkte interessiert, ruft an und macht einen Termin aus oder kommt einfach vorbei und klingelt auf gut Glück.

Zum Anhören

Zu Gast bei BR Heimat: Josef Wildanger von der Lechmed-Heilpflanzenschule


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