Wanderung in Niederösterreich Gipfelklänge im Mostviertel
Das Mostviertel in Niederösterreich ist geprägt durch welliges Hügelland und Streuobstwiesen. Eine freundliche Landschaft für alle, die gerne Wandern und nicht klettern wollen. Bereits zum 17. Mal wurden dieses Jahr dort die Gipfelklänge durchgeführt: Wanderungen mit musikalischen Zwischenspielen.
Jazzige Klänge empfangen uns am Treffpunkt, dem ehemaligen Endpunkt einer romantischen Schmalspurbahn, die vor wenigen Jahren dem unbarmherzigen Einstellungsfuror der niederösterreichischen Landespolitik zum Opfer gefallen ist. Auf der Güterrampe des einstigen Bahnhofs Ybbsitz hat sich das Trio Prozorov-Ferstl-Dés aufgestellt und musiziert zum Auftakt der kulturell unterfütterten Wanderung. Die weit mehr als 100 Zuhörenden stehen zumeist unten, da wo früher Gleise lagen.
Im Hintergrund gleichen junge Damen die Namen der Ankommenden mit ihren Listen ab, drücken rote Stempel auf Handgelenke. Äpfel und Birnen liegen zur freien Entnahme aus. Bevor es losgeht, gibt es für die Teilnehmenden musikalische Lockerungsübungen. Alles singt, was einem in der Früh beim Aufstehen alles weh tut, von den Zehen bis zu den Haaren. Von Strophe zu Strophe wird der Refrain länger und schneller, das Bücken und Abtasten der schmerzenden Körperteile hektischer.
Und dann geht es los, hügelan, denn die Veranstaltung heißt ja Gipfelklänge. Eine endlose Menschenschlange – stramme Waden in Wandersocken, bunte Rucksäcke umgehängt, manche mit Bergstöcken – stapft einer hinter dem anderen einen schmalen Waldpfad bergauf. Massenveranstaltungen sind ja nicht jedermanns oder jederfraus Sache, aber hier macht es nichts. Niemand ist laut, dazu fehlt vielen auch schon der Atem. Und je höher wir steigen, umso mehr zieht sich die Wanderprozession in die Länge.
Wir treten aus dem Wald auf eine Wiese, steigen bedächtig zu einem Bauerngehöft hinauf, wo im offenen Stall Rinder unbeeindruckt vor sich hin kauen. Wir biegen auf einen Güterweg ein und haben bald ein schönes Panorama des Mostviertels vor uns: Sanfte Hügel wellen sich vor uns, auf denen da und dort Höfe sitzen, an den Hängen die hier so typischen Streuobstwiesen, grüne Flächen, aus denen da und dort Bäume wachsen. Aus den Äpfeln und Birnen wird der berühmte Most hergestellt, der dem ganzen Viertel seinen Namen gegeben hat.
Zwei alten Linden am Wegesrand nehmen schützend eine Kapelle in ihre Mitte. Dahinter hat schon wieder das Trio Prozorov-Ferstl-Dés Aufstellung genommen. Die Wandernden sind dankbar fürs Verschnaufen, auch wenn sie bisher nicht einmal eine Stunde unterwegs waren. Sie breiten mitgebrachte Decken aus, entledigen sich der Rucksäcke und Wanderschuhe, strecken sich im Gras aus und lassen sich von der Musik in freier Natur in leichte Traumwelten entführen. Mitunter trägt der Wind das Gebimmel von Kühen auf der nahen Weide herüber.
Es hat etwas Entspannend-Friedliches, während man so daliegt und zu den Klängen in den Himmel schaut oder auf die nächsten Hügelkuppen, über deren zartgrünes Gras man gerne mit einer Riesenhand streicheln möchte.
Nach ein zwei Zugaben, erhebt sich die Hundertschaft wieder. Aus passiven Zuhörern werden wieder aktive Wanderer. Von der Hubbergkapelle führt der Weg in den Wald und knapp einhundert Meter zum Gipfel des 687 Meter hohen Hubbergs. Tatsächlich erhebt sich ein Gipfelkreuz zwischen den Bäumen, wo einander einige der Wanderer fotografieren. Der Berg ist bezwungen, auch wenn es nur ein Hügel im Voralpenland ist.
Von da ist es nicht mehr weit zur Labstelle, dem Heurigen Ekamp, der auf einem der sanften Bergleins sitzt. Doch hier beginnt die Logistik zur ruckeln. Wenn 180 Personen ziemlich gleichzeitig essen und trinken wollen, lässt sich das nicht mit einer noch so eifrigen Wirtsfamilie abdecken. Von der Oma bis zum Schulkind sind alle im Einsatz, und doch dauert es für manche die gesamte Pause von eineinhalb Stunden, bis sie an ihr Schafkäse- oder Schinkenbrot und ihren Most kommen.
Um diese Zeit sitzen nämlich die meisten schon wieder vor dem Lokal im Gras, in Liegestühlen oder auf Holzbänken und warten auf die Darbietungen der Strottern. Die zwei in Österreich gut bekannten Sänger schräger Wienerlieder begeistern auch die Wanderer im Mostviertel.
Nach einer Stunde Kulturgenuss zu Füßen eines alten Baumes, der weit seine Äste über das Geschehen darunter breitet, machen sich die zwei- und vierbeinigen Teilnehmenden an den diesjährigen Gipfelklängen, denn auch Hunde sind an diesem Tag mit von der Partie, bereit zum Abstieg. Ausgezeichnet hat es ihr gefallen, sagt Eva Spreitzer. Sie kommt sogar aus Ybbsitz, dem Ausgangspunkt der Wanderung. Das Schöne sei, dass es jedes Mal anders ist, sagt sie: Eine andere Route, andere Musik. Und darum hat sie sich den Termin für nächstes Jahr schon vorgemerkt. Und wenn es gleichsam um die Ecke von daheim ist, empfindet sie es noch einmal so erfreulich.
Der Rückweg ist zwar identisch zum Aufstieg, doch hält er einen anderen Blick bereit: In die Gegenrichtung und zur untergehenden Sonne, die sich über weich gewellte Landschaft senkt. Beschwingt geht es die Hügel abwärts, beschwingt von der Musik und einem außergewöhnlichen Erlebnis, das gesunde Bewegung und Kultur auf harmonische Weise verbunden hat.