BR Fernsehen - Gespräche gegen das Vergessen


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Mirjam Ohringer "Man muss immer weiterkämpfen"

Sie ist noch immer unterwegs: Für Toleranz und Zivilcourage geht Mirjam Ohringer in Schulen und tritt als Zeitzeugin auf. BR.de hat die 88-Jährige erzählt, warum sie während der NS-Zeit nie verzweifelte.

Von: Veronika Wawatschek

Stand: 10.10.2012 | Archiv

Gegen Faschismus: "Wir mussten sehen, dass die Leute überleben"

BR.de: Wie wichtig ist Zeitzeugenschaft heute?

Mirjam Ohringer: Dass man heutige Generationen davor warnt, nicht wieder reinzufallen. Es gibt noch immer Leute, die so Sprüche machen, die auf Lügen beruhen.

BR.de: Interessieren sich Jugendliche heute überhaupt noch für die Nazidiktatur?

Mirjam Ohringer: Ich spreche viel mit jungen Menschen aus Holland, Deutschland und England. Aber ich habe eigentlich noch nie gehört, dass jemand sagt: "Jetzt ist mal genug." Das tut gut. Die jungen Leute kommen, weil sie interessiert sind.

"Wenn du beispielsweise ein Flugblatt herstellst oder verteilst, dürfen immer nur die davon wissen, die damit wirklich zu tun haben. Was man nicht weiß, kann man auch unter Folter nicht aussagen."

Die Widerstandskämpferin Mirjam Ohringer

BR.de: Wie sind Sie damals in den Widerstand gekommen?

Mirjam Ohringer: Das war für mich eine selbstverständliche Sache. Ich bin mit dem Kampf gegen Faschismus erzogen worden. Als das Hitlerregime an die Macht gekommen ist, war ich acht Jahre alt. Ich bin mit sehr viel Verantungsgefühl für die Gesellschaft erzogen worden. Wir hatten viele Verwandte in Deutschland. Wir haben gezittert. Meine Eltern wussten immer, was los war. Schon in den 30er-Jahren haben wir gegen den Faschismus getan, was wir konnten.

Biografisches

  • geboren am 26. Oktober 1924 in Amsterdam
  • ihre Eltern waren Juden aus Galizien
  • 1933 lassen sich ihre Eltern scheiden
  • Mirjam lebt abwechselnd bei Vater und Mutter und in anderen Familien
  • der Vater ist im kommunistischen Widerstand
  • im Juli 1941wird ihr erster Freund, Ernst Prager, verhaftet
  • 1942 bis 1944 lebt sie im Untergrund
  • 1986 kommt sie zum ersten Mal in die Gedenkstätte Dachau und ist dort fortan als Zeitzeugin
  • 2009 Preis für Zivilcourage der Stadt Dachau
  • Mirjam Ohringer lebt in Amsterdam

BR.de: Wie sah Ihr Kampf gegen die Nazis konkret aus?

Mirjam Ohringer: Viele deutsche Antifaschisten mussten damals fliehen. Die Parole war: "Bleib so nahe wie möglich an Deutschland, wenn du fliehen musst." So kamen viele von ihnen nach Holland, sie waren illegal. Und wir mussten ihnen helfen, dass sie am Leben bleiben. Damals war es am wichtigsten, dass man Geld zusammenbringt, um die Menschen am Leben zu halten und ihnen zu essen zu geben. Das waren Kleinigkeiten, die ich bei Bekannten tun konnte, bei Menschen, denen ich vertrauen konnte.

BR.de: War das nicht extrem gefährlich?

Mirjam Ohringer: Es war gefährlich. Es hieß, dass man immer aufpassen musste. Aber diese Menschen, die aus Deutschland geflohen waren und immer Gefahr liefen, verhaftet zu werden - sie brachten uns bei, wie man sich Nazis gegenüber verhalten muss. Diese Lehren haben mir geholfen, zu überleben.

BR.de: Was haben Ihnen die Antifaschisten aus Deutschland denn beigebracht?

Mirjam Ohringer: Wenn du beispielsweise ein Flugblatt herstellst oder verteilst, dürfen immer nur die davon wissen, die damit wirklich zu tun haben. Was man nicht weiß, kann man auch unter Folter nicht aussagen. Dazu gehörte natürlich auch, dass man weiß, wem man vertrauen kann. Da ist man manchmal schon enttäuscht worden.

Mirjam Ohringer mit 17 Jahren

BR.de: Hatten Sie keine Angst?

Mirjam Ohringer: Angst hatte man immer. Aber das durfte man dir von außen nicht ansehen. Wir haben gelernt, eine Fassade zu entwickeln. Niemand durfte sehen, was man fühlt und spürt. Es gab ja auch genug Grund, Angst zu haben. Wir wussten ja, was passieren kann, dass die nicht so zimperlich sind, wenn sie uns erwischen. Ich habe wahrscheinlich auch viel Glück gehabt. Wir waren ja schon zwei Jahre besetzt und hatten Erfahrung mit dieser Illegalität.

BR.de: Gab es einen Moment, an dem Sie dachten: "Ich kann nicht mehr! Ich muss verzweifeln?"

Mirjam Ohringer: Für mich war es das Schlimmste, als man meine erste große Liebe 1941 bei der zweiten Razzia auf junge Männer in Amsterdam erwischt hat. Aber verzweifeln ist nicht das richtige Wort, denn man musste immer weiter kämpfen. Gerade, wenn etwas Schlimmes passiert ist, wie bei der ersten großen Razzia 1941 im Februar.

BR.de: Was war damals los?

Die 88-jährige Mirjam Ohringer bei der Nacht der Zeitzeugen 2012

Mirjam Ohringer: Ja, was haben die Leute gemacht? Am Wochenende wurden junge Männer aus den Wohnungen gezerrt. Aber am Montag gab es Kundgebungen, wo man den Arbeitern erzählt hat, was mit ihren jüdischen Mitbürgern passiert ist. Das Merkwürdige ist, dass die Menschen alle reagiert haben. Es kam zu einem Massenstreik am Dienstag. Die Nazis waren überrascht davon, sie konnten erst gar nichts tun. Und noch heute wird dieses Streiks am 25. Februar gedacht.


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