Eugen Herman-Friede "Als ich ganz schnell verschwinden musste"
Eigentlich hat Eugen Herman-Friede seine Erlebnisse im NS-Widerstand nur für sich als Erinnerungsstütze aufgeschrieben. Im Interview mit BR.de schildert er, was ihn Anfang der 1990er-Jahre dazu bewog, sie doch zu veröffentlichen.
BR.de: Herr Herman-Friede, eigentlich wollten Sie in die Hitlerjugend - so wie alle anderen Jugendlichen, oder?
Eugen Herman-Friede: Das ist richtig. Es gibt auch ein Bild von mir, wo ich in Hitlerjugenduniform abgebildet bin. Der Sohn der Familie, wo ich später illegal gelebt habe, war etwa in meinem Alter und der war in der HJ. Der hat mir gesagt, wenn du mal auf die Straße gehen willst, kannst du ruhig meine Uniform anziehen. Und da hab ich die anprobiert, ob die mir überhaupt passt.
BR.de: Wie sind Sie im Widerstand gelandet?
Eugen Herman-Friede: Eines Tages - ich war auf dem Weg zur Zwangsarbeit auf dem jüdischen Friedhof in Berlin - kam ein Mann auf mich zu. Er schob den Nagel seines kleinen Fingers unter meinen gelben Stern, riss ihn ab und behauptete, er wär nicht angenäht gewesen. Dann nahm er meine Personalien auf. Ich bin daraufhin nach Hause gelaufen, hab den Stern wieder von meiner Mutter annähen lassen. Abends bin ich dann gar nicht mehr nach Hause, sondern gleich in die erste Stelle meiner illegalen Quartiere gegangen. So fing es an.
BR.de: So sind Sie in Luckenwalde und im Widerstand gelandet, oder?
Eugen Herman-Friede: Genau, nach einigen anderen Quartieren kam ich zur Familie Winkler nach Luckenwalde. Ein paar Wochen später tauchten dort zwei Flüchtlinge aus dem Konzentrationslager Theresienstadt auf. Und schon am nächsten Tag hat dieser Mann gesagt: "Juden verstecken, schön und gut. Aber das kann nicht alles sein." Er meinte, man müsste Flugblätter in ganz Deutschland verteilen. Darin sollte es um den tatsächlichen Verlauf der Front und die Aufforderung zum passiven Widerstand gehen und dass der Krieg bereits verloren sei.
BR.de: Sie selbst waren erst 16. Hatten Sie da nicht Angst?
Eugen Herman-Friede: Mir hat es großen Spaß gemacht. Ich war froh, etwas zu tun, anstatt den ganzen Tag Däumchen zu drehen. Und dann fing eben diese Arbeit an. Im Laufe der Zeit haben wir Tausende von Kettenbriefen in ganz Deutschland versandt. Die Gestapo kam auf 300.000 Briefe. Die wirkliche Zahl liegt viel, viel höher.
BR.de: Im Dezember 1944 wurden Sie verhaftet. Wie haben Sie die Befreiung erlebt?
Eugen Herman-Friede: Das war am 23. April 1945. Mit einem Schubs hat mich ein Gestapomann auf die Straße geschoben. Ich hab gar keine Zeit gehabt, drüber nachzudenken. Ich bin weggelaufen, hab dann meine verlauste und verwanzte Joppe ausgezogen und bin über die Hamburger Straße bis zum Schlossplatz, wo ein nichtjüdischer Onkel gearbeitet hat. Den hab ich auch gefunden und dort hab ich mich dann aufgehalten, bis ich die russischen Panzer gehört habe. Dann habe ich mich zum ersten Mal richtig befreit gefühlt, als ich die Russen gesehen habe.
Biografisches
- 24. April 1926 in Berlin als Kind jüdischer Eltern geboren
- die Mutter trennt sich kurz danach von seinem Vater und heiratet einen Nichtjuden
- 1938 Besuch der jüdischen Schule
- ab 1943 Leben im Untergrund u.a. in Luckenwalde
- Gründung der Widerstandsgruppe "Gemeinschaft für Frieden und Aufbau"
- 12. Dezember 1944: Verhaftung mit den Eltern; die Mutter kommt nach Theresienstadt, den Stiefvater sieht er nicht mehr
- 23. April 1945: Befreiung aus dem Gefängnis
- 1945: Eintritt in die Kommunistische Partei
- Inhaftierung in den DDR-Anfangsjahren
- 1949: Flucht nach Westdeutschland
- Auswanderung nach Kanada für etwa ein Jahr
- Rückkehr nach Deutschland, Arbeit in der Textilbranche
- 1991: "Für Freudensprünge keine Zeit" erscheint
- 2004: "Abgetaucht! Als U-Boot im Widerstand" erscheint
BR.de: Nach dem Krieg hieß es, erst mal Geld verdienen. Wie kam es dazu, dass Sie Ihre Erinnerungen veröffentlicht haben?
Eugen Herman-Friede: Aufschreiben ließ ich sie schon früher – als ich zum ersten Mal einen Job mit Sekretärin hatte. Der hab ich dann mal die ganze Geschichte diktiert, nicht um sie zu veröffentlichen, sondern um sie zu behalten.
BR.de: Und warum haben Sie Ihre Erlebnisse doch veröffentlicht?
Eugen Herman-Friede: Das war nach einer Kur in Bayern. Da habe ich so viele miese alte Nazis kennengelernt. An sich alles nette Leute, wir sind oft spazieren gegangen. Die haben sich nach meinen Anwendungen erkundigt, wie die Massagen wirken. Aber das waren solche Nazis. Nach drei Wochen bin ich nach Hause gekommen und hab mein erstes Buch geschrieben. Das war 1991. In den ersten Wochen hab ich bis zu sechs Lesungen pro Woche in Schulen gemacht.
BR.de: Was würden Sie jungen Leuten mitgeben – auch nach der NSU-Affäre?
Eugen Herman-Friede: Das, weswegen ich das überhaupt gemacht habe: um ihnen klarzumachen, wie notwendig Toleranz und Zivilcourage sind.