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Nikotin, Snus Nikotinbeutel: Aufhörhilfe oder Suchtverstärker?

Nikotinbeutel oder Snus sind vor allem bei jungen Menschen beliebt. Laut Tabakindustrie sollen sie Rauchern helfen, von der Zigarette wegzukommen. Doch Sucht-Experten warnen: Die Realität sieht oft anders aus.

Von: Florian Heinhold

Stand: 02.11.2023

Nikotin, Snus: Nikotinbeutel: Aufhörhilfe oder Suchtverstärker?

Sie sehen aus wie kleine, weiße Stoffbeutel und sind unter vielen jungen Menschen gerade ein echter Trend: Nikotinbeutel, oft Snus genannt. Es gibt sie mit und ohne Tabak, in verschiedenen Geschmacksrichtungen und Verpackungen. Viele Nutzer versprechen sich einen Nikotinkick wie bei der Zigarette, nur ohne schädliche Folgen für die Lunge. Doch wie ungesund sind die Nikotinpouches wirklich?
Gesundheit! trifft Tobias, einen Münchner Studenten, für den Nikotinbeutel zum Alltag gehören. Er konsumiert Snus vor allem, um sich in Stresssituationen besser konzentrieren zu können. 

Leistungssteigerung durch Nikotin?

"Ich nutze Snus zum Beispiel in Stressphasen wie Prüfungen in der Hochschule, wo man zwei Stunden den Raum nicht verlassen kann. Man hat den Vorteil, dass es nicht auf die Lunge geht, das heißt, die Kondition leidet nicht darunter."

Tobias

Snus zur Leistungssteigerung? Auf Social Media gibt es einen richtigen Hype, auch in Hiphopvideos wird Snus besungen. Und nicht zuletzt im Leistungssport sind die Nikotinpouches seit Jahren angekommen. In der Vergangenheit sorgten immer wieder Fotos und Videos von Fußballprofis für Diskussionen, die Snus bei sich tragen.

Nikotinbeutel und Suchtgefahr

Aber sind die Nikotinpouches wirklich ein Problem? Der Suchtmediziner Dr. Tobias Rüther von der Tabakambulanz der LMU in München beobachtet den Trend genau. Originale Snus enthalten Tabak, es gibt aber auch tabakfreie Pouches mit oft hohem Nikotingehalt.

"Wir haben ein neues Phänomen, dass jetzt junge Leute, Jugendliche, junge Erwachsene plötzlich zu Massen ein Produkt nutzen, von dem sie abhängig sind. Das heißt, sie können nicht mehr selbst entscheiden: Konsumieren wir es, konsumieren wir es nicht?
Von allen Substanzen, ob sie legal sind oder illegal, ist Nikotin die, von der wegzukommen es fast am schwersten ist. Das kann man vergleichen mit Alkohol oder Heroin. Und das macht mir schon Sorgen."

PD Dr. med. Tobias Rüther, Psychiater, Tabakambulanz des Universitätsklinikums der LMU München

Der Vorteil gegenüber Zigaretten: Die krebserregenden Stoffe, die sich beim Verbrennen von Tabak bilden, entstehen beim Genuss von Snus nicht. Gesund ist die Nikotinzufuhr trotzdem nicht.

"Es ist so, dass sie leicht den Blutdruck erhöht, ein bisschen Diabetes, also ein bisschen Zuckerprobleme machen kann. Und ein bisschen Herzrhythmusstörungen. Was man sehr schnell sehen kann, ist, dass die Nikotinpouches Ulzerationen, das heißt Entzündungen in den Mundhöhlen verursachen können, bis hin zu Zahnverlusten."

PD Dr. med. Tobias Rüther, Psychiater, Tabakambulanz des Universitätsklinikums der LMU München

Nikotinpouches: Hilfe bei der Rauchentwöhnung?

Die Nikotinbeutel sind in Schweden ein legaler Verkaufsschlager und im Vergleich zu Deutschland ist der Zigarettenkonsum dort tatsächlich extrem niedrig. Für die Tabakindustrie ein Beleg dafür, dass die Nikotinpouches helfen können, mit dem Rauchen aufzuhören.

"Die Chance liegt darin, dass wir die Risiken reduzieren mit solchen Produkten. Es ist ganz klar, dass diese Produkte nur an Erwachsene verkauft werden sollen. Es ist auch ganz klar, dass es Obergrenzen von Nikotin geben muss, wir schlagen dafür 20 mg vor, damit Raucher auch ein attraktives Produkt haben, auf das sie umsteigen."

Jan Mücke, Bundesverband der Tabakwirtschaft und neuartiger Erzeugnisse, Berlin

Gesundheit! hat sich unter jungen Leuten in München umgehört, und tatsächlich den ein oder anderen Exraucher getroffen, der jetzt Snus nutzt. Aber viele sind eigentlich Nichtraucher und machen es zum Spaß, auch im Umfeld von Tobias. Er selbst nutzt Snus und raucht trotzdem weiter.

"Ich bin auch Raucher. Ich kenne es aus verschiedenen Gruppen. Manche rauchen gar nicht, manche machen es währenddessen. Ich kenne auch einige, die strikt gegen das Rauchen sind, aber sehr gerne Snus in den Mund nehmen."

Tobias

Legale Grauzone

Dabei dürfen die Beutel bei uns eigentlich gar nicht verkauft werden. Der Handel mit tabakhaltigem Snus ist in Deutschland verboten. Auch für tabakfreie Nikotinbeutel fehlt die nötige Zulassung. Das zuständige Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft schreibt auf Anfrage von Gesundheit!:

"Nikotinhaltige Erzeugnisse haben ein hohes Suchtpotential. Es ist deshalb wichtig, den Einstieg in deren Konsum (…) zu verhindern."

Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft

Trotzdem sind die Nikotinbeutel überall erhältlich. Unser Reporter macht den Test und fragt in mehreren Tankstellen und Kiosken im Großraum München nach Snus. Fast überall gelingt es, nikotinhaltige und zum Teil tabakhaltige Pouches zu kaufen, über den Tresen oder sogar am Automaten. Und im Internet gibt es die Beutel problemlos zu bestellen.

Unfälle im Haushalt

Auch im Giftnotruf des Klinikums rechts der Isar der TU München merkt man, dass der Konsum von Snus stark zunimmt. Die allgegenwärtigen Nikotinbeutel sorgen immer wieder für Unfälle im Haushalt.

"Nikotinpouches waren vor fünf Jahren noch gar nicht im Umlauf, da hatten wir eine Anfrage jährlich. Und jetzt, im letzten Jahr, waren es immerhin knapp 40 Anfragen. Es sind meistens Kinder, die die Produkte versehentlich in den Mund nehmen oder auch verschlucken. Zum Glück treten schwere Vergiftungen selten auf. Am häufigsten treten Symptome wie Übelkeit und Erbrechen, Blässe, Kaltschweißigkeit oder Zittrigkeit auf, wenn ein Kind eine größere Menge Nikotin zu sich nimmt."

Dr. med. Katrin Romanek, Toxikologin, Klinikum r.d. Isar, TU München

Sollte Snus ganz verboten werden? Der Branchenverband der Tabakindustrie will trotzdem kein Verbot, sondern setzt sich für eine kontrollierte Freigabe, zumindest von tabakfreien Nikotinpouches ein.

"Wir sind dafür, dass Ordnung in den Markt kommt. Weil es macht ja keinen Sinn, dass Minderjährige diese Produkte aus dem Ausland beziehen, ohne dass es irgendeine Kontrolle gibt." Jan Mücke, Bundesverband der Tabakwirtschaft und neuartiger Erzeugnisse, Berlin

Auch für den Suchtmediziner Dr. Rüther ist klar, dass es so wie bisher nicht weitergehen kann.

"Wie immer in der Drogenpolitik, es sollte schon klar gesprochen werden: Sind die Dinger jetzt verboten oder erlaubt? So einen Graubereich finde ich nicht gut."

PD Dr. med. Tobias Rüther, Psychiater, Tabakambulanz des Universitätsklinikums der LMU München

Wird sich also bald etwas an der Situation ändern? Das zuständige Bundesministerium schreibt, man wolle auf eine einheitliche europäische Lösung hinarbeiten.


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