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Reaktion und Sehkraft Senioren am Steuer: Ist ein Medizin-Check sinnvoll?

In anderen Ländern müssen sich ältere Menschen am Steuer verpflichtend medizinisch durchchecken lassen. In Deutschland ist der Widerstand groß. Dabei lassen im Alter viele Fähigkeiten nach, die fürs sichere Autofahren nötig sind.

Von: Veronika Scheidl

Stand: 19.03.2024

In anderen Ländern müssen sich ältere Menschen am Steuer verpflichtend medizinisch durchchecken lassen. In Deutschland ist der Widerstand groß. Dabei lassen im Alter viele Fähigkeiten nach, die fürs sichere Autofahren nötig sind.

Wie fahrtauglich sind Senioren wirklich?

Der 92-jährige Joseph Wagner, die 84 Jahre alte Anna-Maria Lichtenstern und der 83-jährige Jakob Bogner haben eines gemeinsam: Sie alle fahren noch regelmäßig selbst Auto. Und sie fühlen sich trotz ihres hohen Alters auch sicher am Steuer.

Doch wie fahrtauglich sind Senioren tatsächlich? Gerade nach schweren Verkehrsunfällen, die ältere Autofahrer verursacht haben, werden immer wieder Forderungen nach verpflichtenden Medizinchecks laut. In europäischen Ländern wie beispielsweise Portugal, Italien, den Niederlanden oder auch der Schweiz ist das bereits Alltag.

EU will Straßen sicherer machen

Gesundheitsprüfungen wie ein Sehtest sind in anderen Ländern ab einem bestimmten Alter längst Pflicht, um den Führerschein zu behalten.

In Deutschland dagegen wird eine solche Pflicht stets heiß diskutiert und konnte bislang nicht durchgesetzt werden. Das wird wohl auch erstmal so bleiben – trotz aller Bemühungen durch die EU. Sie will die Zahlen von Verkehrsunfällen in ihren Mitgliedsstaaten stark reduzieren und deswegen die EU-Führerscheinrichtlinie reformieren – mit verpflichtenden Gesundheitsprüfungen beim Umtausch oder der Verlängerung des Führerscheins.

Führerscheine von Menschen ab 70 Jahren sollen auf maximal fünf Jahre befristet werden. Doch das EU-Parlament hat diese Vorschläge kürzlich abgelehnt. Stattdessen ist es jedem EU-Staat selbst überlassen, ob er Medizinchecks von älteren Autofahrern einfordert oder nicht.

Statistik: Ältere Autofahrer tragen häufiger Hauptschuld an Unfällen

Ein Blick in die Zahlen des Statistischen Bundesamts zeigt: Sind ältere Autofahrer in einen Unfall mit Personenschaden verwickelt, so tragen sie häufiger die Hauptschuld als jüngere.

Demnach waren 2022 Menschen älter als 65 Jahre in mehr als zwei Drittel der Unfälle die Hauptverursacher. Und bei den mindestens 75-Jährigen hatten drei von vier Autofahrern die Hauptschuld am Verkehrsunfall, teilt das Statistische Bundesamt mit.

Verkehrsmediziner: Gesundheitschecks ab 70 sinnvoll

Verkehrsmediziner Peter Frank findet verpflichtende Gesundheitschecks für Menschen ab 70 Jahren sinnvoll – zumindest ein Sehtest sollte es sein, fordert er. Der Allgemeinarzt untersucht regelmäßig Menschen, die berufsmäßig ein Fahrzeug fahren. Dieselben Tests, wie etwa Sehvermögen, Aufmerksamkeit und Reaktionsfähigkeit, macht er auch bei älteren Autofahrern, die oft nicht mehr gesund sind.

"Das kommt immer wieder vor, dass Testanten hier sagen: Sie sehen alles. Aber beim Test sehen sie halt dann doch nicht die erforderliche Sehstärke. Und wenn jemand nicht in der Lage ist, die Aufgabe allein zu erkennen oder die Koordination zwischen der Aufgabe am Monitor und dann mit der Hand zu reagieren, dann geben wir den guten Rat, aufzuhören."

Dr. med. Peter W. Frank, Facharzt für Allgemeinmedizin, Verkehrsmediziner, Gröbenzell

Neben Sehen und Hören lassen im Alter viele Fähigkeiten wie das Reaktionsvermögen und die Beweglichkeit nach. Dazu gehört zum Beispiel das Kopfdrehen für einen Schulterblick.

ADAC setzt auf Selbstreflektion und Freiwilligkeit

Der ADAC sieht in älteren Autofahrern keinen zunehmenden Risikofaktor im Straßenverkehr. Darum lehnt er auch verpflichtende Medizinchecks für Ältere ab. "Es ist sehr schwer, vom Alter her wirklich einen Zeitpunkt zu definieren, ab wann man denn sinnvollerweise ein solches Angebot verpflichtend vorschreiben sollte", sagt Alexander Kreipl, der verkehrs- und umweltpolitische Sprecher des ADAC Südbayern.

"Aus unserer Sicht muss man wirklich an die Selbstverantwortung appellieren. Das heißt jeder, der unterwegs ist mit einem Auto, aber natürlich auch mit dem Fahrrad, sollte sich ständig kritisch hinterfragen, ob er noch gut geeignet oder noch in der Lage ist, auch in der Form am Straßenverkehr teilzunehmen."

Alexander Kreipl, Verkehrspolitischer Sprecher, ADAC Südbayern

Freiwillige Fahr-Fitness-Checks für Autofahrer

Der ADAC bietet für interessierte Senioren sogenannte Fahr-Fitness-Checks an, die bis zu 95 Euro kosten. Ein Fahrlehrer begleitet und beobachtet bei einem solchen freiwilligen Check einen älteren Menschen beim Fahren im eigenen, vertrauten Auto. 45 Minuten lang dauert der Praxis-Check, danach gibt es eine ausführliche Analyse und eine Empfehlung. Rechtliche Konsequenzen hat dieser Fahrcheck nicht, er sei vielmehr eine "Momentaufnahme", sagt Fahrlehrer Stefan Kandler. Er begleitet heute den 92-jährigen Joseph Wagner. "Wie sitzt er drin? Wie schaut er, wie lenkt er, verhält er sich partnerschaftlich, integriert er sich? Fährt er zögerlich oder fährt tendenziell eher zu schnell?", sagt Kandler.

Joseph Wagner fährt zügig los – er hält nichts von verpflichtenden Medizinchecks, sagt der 92-Jährige: "Denn hier wird ganz intensiv auf die Eigenständigkeit eines Menschen eingewirkt." Er brauche sein Auto, um am Leben teilnehmen und seinem Hobby, dem Angeln, nachgehen zu können.

Bisher musste Fahrlehrer Stefan Kandler noch keinem älteren Menschen nahelegen, das Autofahren aufzugeben.

Trotz seines hohen Alters ist Wagner geistig und körperlich noch recht fit, beobachtet Fahrlehrer Stefan Kandler: "Insgesamt hat er eine sehr ausgeglichene Fahrweise. Man merkt, dass er ein unglaubliches Gefühl hat fürs Fahrzeug, dass er eine Riesenerfahrung mitbringt und dass er einfach sein Leben lang viel Auto fährt." Am Ende der Fahrt überreicht der Fahrlehrer dem 92-Jährigen eine Teilnahme-Urkunde am Fitness-Check: "Aus meiner Sicht kann man Herrn Wagner guten Gewissens noch weiter am Verkehr teilnehmen lassen. Da gibt es im Prinzip keine größeren Mängel." Der 92-Jährige soll in Zukunft aber noch mehr auf seine Geschwindigkeit und das Spurhalten achten.

Wann besser den Führerschein abgeben?

Fahrlehrer Stefan Kandler musste bislang noch keinem Senior empfehlen, das Auto künftig besser stehen zu lassen. Anders sieht es bei Fahrlehrer Anton Hubalek aus. Er begleitet seit mehr als elf Jahren und damit deutlich länger Senioren beim Fahr-Fitness-Check. Er musste schon so manchem nahelegen, den Führerschein abzugeben.

"Das Allgemeinwohl ist höher zu bewerten als das Einzelwohl. Warten, bis ein Unfall passiert oder wirklich ein Kind oder ein Radfahrer schwer verletzt wird, dann ist es zu spät. Und dann sagt jeder: 'Ja, hätten wir nur!' Ich muss vorher sagen: 'Schluss!'"

Anton Hubalek, Fahrlehrer, Ottobrunn

So sieht es auch sein heutiger "Fahrschüler" Jakob Bogner. Der 83-Jährige macht zum ersten Mal einen Fahr-Fitness-Check. Er lässt sich jährlich routinemäßig vom Arzt untersuchen. "Weil mir einfach daran liegt, dass ich andere Menschen nicht gefährde. Wenn ich mir vorstelle, ich hätte da einen Personenschaden, das wäre für mich das Schlimmste", sagt Bogner.

Freiwillige Checks beim Arzt möglich

Ähnlich sieht es auch Anna-Maria Lichtenstern. Ihr Auto nutzt die 84-Jährige so gut wie jeden Tag: „Je nachdem, was ich gerade vorhabe, ich bin ein Mensch, der spontan ist, überlege mir nicht lange was. Mir fällt was ein und dann wird gefahren.“ Sie fährt allerdings nur noch kurze Strecken und innerorts. Auch hat sie schon gefährliche Situationen erlebt – sie wäre vor ein paar Jahren fast mal entgegen der Fahrtrichtung auf die Autobahn aufgefahren.

Momentan fühlt sie sich zwar sicher am Steuer und fährt gerne Auto. Aber: "Ich gehe jedes Jahr zur Kontrolle und lasse mich gründlich untersuchen. Wenn die Ärztin mich darauf aufmerksam machen würde: ‚Frau Lichtenstern, es geht nicht mehr, hören Sie auf mit dem Autofahren!‘, dann würde ich sofort reagieren und aufhören."


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