Geschichte der Deutschen Gebärdensprache (5/6) Bildung mit DGS
Sehen statt Hören setzt seine Reihe zur Geschichte und Anerkennung der DGS in Deutschland mit Fokus auf den Bildungsbereich fort. Prof. Siegmund Prillwitz forderte ab Mitte der 80er die Einbindung der Gebärdensprache in frühkindliche Bildungsprozesse - die Vorteile einer bilingualen Bildung sind inzwischen unstrittig, doch auch heute noch längst kein Standard.
Die Voraussetzung für die Anerkennung der Gebärdensprache ist, dass die Gebärdensprache eine eigenständige und vollwertige Sprache ist – das hat Prof. Siegmund Prillwitz mit seinem Team wissenschaftlich bewiesen. Und er war es auch, der für die Einbindung der Gebärdensprache schon in frühkindliche Bildungsprozesse plädierte.
Methodenstreit zwischen LBG und DGS
Bereits 1985 richtete sich der internationale Kongress "Die Gebärde in Erziehung und Bildung Gehörlose" insbesondere an Gehörlosenpädagogen, die über die neuesten Forschungsergebnisse zur DGS informiert wurden. Doch Prof. Prillwitz musste 1990 in seinem Vortrag auf dem Internationalen Gebärdenkongress in Hamburg feststellen, dass "die endgültige Akzeptanz der Gehörlosen und ihrer Sprachgemeinschaft (…) erst dann gegeben (ist), wenn auch die pädagogische Anwendung und Anerkennung im Rahmen eines umfassenden Konzepts der Zweisprachigkeit vollzogen wird". Unter Befürwortern der LBG und Verfechtern der DGS war ein erbitterter Methodenstreit entbrannt. Teile der Gehörlosenpädagogik hielten unerbittlich an ihren traditionellen Vorstellungen und dem Vorrang der LBG fest.
Vom Vorschulprogramm zum bilingualen Schulversuch
Prof. Siegmund Prillwitz hatte bereits Ende der 1980er-Jahre ein vorschulisches Förderprogramm mit gehörlosen Erzieherinnen entwickelt, das damals als "LBG-Projekt" bezeichnet wurde, aber auf zentraler Einbeziehung der DGS basierte. Aus diesem Vorschulprogramm heraus entstand die Initiative für den ersten Hamburger bilingualen Schulversuch. Engagierte Eltern setzten sich dafür ein, dass ihre Kinder auch in der Schule Gebärdensprache als erfolgreiche Kommunikationsgrundlage nutzen konnten. Und dass am Bildungsgeschehen gehörlose erwachsene Sprachvorbilder beteiligt wurden. Ein Projekt, das auf erhebliche Widerstände stieß. Der bilinguale Schulversuch wurde natürlich aufmerksam verfolgt und wissenschaftlich begleitet. Mit seinen Erkenntnissen stand Professor Prillwitz nicht alleine: Seine Kollegen von der FU Berlin vertraten auf der Bundestagung des Elternverbands Deutscher Gehörlosenschulen im Mai 1991 eine ähnliche Haltung:
"Sieht man nun die Vielfalt der kommunikativen Zwecke, für die Gehörlose Gebärdensprache benutzen, die Schnelligkeit und Sicherheit, mit der sie sich untereinander verständigen, die Kreativität und den Witz, mit dem sie keinesfalls nur alltägliche Dinge diskutieren, dann scheint es unverantwortlich, ein solches Kommunikationsmittel nicht auch für den schulischen Unterricht zu nutzen. Also kurz und gut: Wir finden es unerträglich, dass die Gebärdensprache bislang nicht auch als offizielles Bildungsinstrument Anwendung findet. Unserer Ansicht nach sollte es zentrale Aufgabe der Gehörlosenpädagogik sein, geeignete Konzepte zu entwickeln, die Laut- und Gebärdensprache im Rahmen einer zweisprachigen Erziehung jeweils ihren Platz zu weisen."
Dr. Jens Heßmann, Sprachwissenschaftler FU Berlin (1991).
Der Bilinguale Schulversuch in Hamburg gilt als Initialzündung für weitere Schulversuche. In der Wissenschaft sind die Vorteile einer bilingualen Bildung inzwischen unstrittig. Aber das heißt noch nicht, dass diese Erkenntnisse auch an allen Schulen umgesetzt werden. Und: Bis heute sind im Studienfach Sonderpädagogik Gebärdensprachkenntnisse nur empfohlen, aber nicht verpflichtend.