Es bleiben viele Fragen Gebärdensprachdolmetscher & die Umsatzsteuer
Vor einigen Wochen berichtete „Sehen statt Hören“ von den Neuerungen in der Abrechnung von Gebärdensprachdolmetschern. Dazu bekam die Redaktion zahlreiche Rückmeldungen und viele Fragen. Daher greifen wir das Thema noch einmal auf.
Seit 1. Februar 2016 hat sich für Gebärdensprachdolmetscher hinsichtlich ihrer umsatzsteuerlichen Regelung etwas Neues getan. Bislang stellten sie ihr Honorar, wie andere Dienstleister auch, zuzüglich 19% Umsatzsteuer in Rechnung. Ein Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen hat das nun geändert.
Unter bestimmten Voraussetzungen können Gebärdensprachdolmetscher von der 19-prozentigen Umsatzsteuer befreit werden. Nämlich dann, wenn sie überwiegend von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung, also z.B. der Bundesagentur für Arbeit, Krankenkassen oder örtlichen und überörtlichen Trägern der Sozialhilfe etc. beauftragt und vergütet werden. Das Ziel ist, die Leistungen dieser gesetzlichen Träger – also die öffentlichen Kassen - durch die Umsatzsteuer nicht weiter zu belasten.
Um festzustellen, ob eine Umsatzsteuerbefreiung vorliegt, müssen die Dolmetscher ihre Einsätze des vergangenen Jahres auswerten.
Was zählt als Fall?
Das ist zum Teil gar nicht so einfach zu beurteilen. Wird für eine Person für den gleichen Anlass mehrmals gedolmetscht, gilt das als ein Fall. Sind es zwei verschiedene Anlässe, zählt man zwei Fälle. Für die Fallzählung ist egal, für wie viele Menschen gedolmetscht wird (beispielsweise bei einer Theatervorführung) – es zählt dann wie ein Fall.
Nun müssen die Fälle selbst noch genauer unterschieden werden. Hierbei ist maßgeblich, ob die Vergütung direkt von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung erfolgte - also von der Kranken-, Pflege- oder Unfallversicherung, der Agentur für Arbeit oder den örtlichen bzw. überörtlichen Trägern der Sozialhilfe. Übersteigen diese Fälle 25 Prozent der gesamten Fälle im Vorjahr, so greift die Umsatzsteuerbefreiung. Der Antrag auf Umsatzsteuerbefreiung muss dann beim zuständigen Finanzamt gestellt werden.
Umsatzsteuergesetz Format: PDF Größe: 90,51 KB
Befreiung nicht immer gewünscht
Doch längst nicht alle Gebärdensprachdolmetscher streben eine solche Umsatzsteuerbefreiung an. Viele wollen daran festhalten: Mancher Selbstständige möchte auch zukünftig für Ausgaben wie Auto oder Miete die sogenannte Vorsteuer von 19 Prozent beim Finanzamt geltend machen. Doch das könnte zu Nachteilen führen, denn seine Leistung verteuert sich im Gegensatz zu den Gebärdensprachdolmetschern, die keine Umsatzsteuer berechnen. Privatleute können die Umsatzsteuer, die sie bezahlen, nicht geltend machen – im Gegensatz zu Firmen. Diese Unterscheidung führt dazu, dass viele derzeit unzufrieden und verunsichert sind.
"Also wenn es sich tatsächlich herausstellen sollte, dass hier eine Wettbewerbsverzerrung stattfindet, dann ist tatsächlich darüber nachzudenken, ob hier nicht eine einheitliche Regelung her muss, weil wir - wie gesagt - momentan nur auf einen Auffangtatbestand im Bereich der Pflege diskutieren. Wir haben also keine klare Regelung bezogen auf Gebärdensprachdolmetscher."
Dr. Rafael Hörmann, Steuerkanzlei Campbell & Hörmann
Fragen an das Bundesministerium der Finanzen
Wer sind die gesetzlichen Träger der Sozialversicherung?
„Bei den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung und der Sozialhilfe handelt es sich um Körperschaften des öffentlichen Rechts. Bestandteile der Sozialversicherung sind nach § 4 Abs. 2 SGB I die gesetzliche Kranken-, Pflege-, Unfall- und Rentenversicherung einschließlich der Alterssicherung für Landwirte. Ferner unterliegt die Arbeitsförderung nach Maßgabe des § 1 Abs. 1 Satz 2 SGB IV den Gemeinsamen Vorschriften für die Sozialversicherung.
Träger der Sozialversicherung sind demnach im Einzelnen
o in der gesetzlichen Krankenversicherung die (Allgemeinen) Ortskrankenkassen, die Betriebskrankenkassen, die Innungskrankenkassen, die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau, die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See und die Ersatzkassen;
o in der sozialen Pflegeversicherung die bei den Krankenkassen eingerichteten Pflegekassen;
o in der gesetzlichen Unfallversicherung die gewerblichen Berufsgenossenschaften, die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau die Gemeindeunfallversicherungsverbände, die Unfallkassen der Länder und der Gemeinden, die Feuerwehr- Unfallkassen, die gemeinsamen Unfallkassen für den Landes- und den kommunalen Bereich sowie die Unfallkasse Bund und Bahn;
o in der gesetzlichen Unfallversicherung die gewerblichen und landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften, die Gemeindeunfallversicherungsverbände, die Unfallkassen der Länder und der Gemeinden, die Feuerwehr-Unfallkassen, die gemeinsamen Unfallkassen für den Landes- und den kommunalen Bereich sowie die Unfallkasse Bund und Bahn;
o in der Arbeitslosenversicherung die Bundesagentur für Arbeit, die Regionaldirektionen und die Agenturen für Arbeit.
Örtliche Träger der Sozialhilfe sind nach § 3 SGB XII die kreisfreien Städte und die Kreise, soweit nicht nach Landesrecht etwas anderes bestimmt wird. Der überörtliche Träger wird vom Land bestimmt und ist in jedem Bundesland ein anderer.“
Wie verhält es sich mit Einsätzen bei Gericht?
„Landes- oder Bundesgerichte sind hingegen keine gesetzlichen Träger der Sozialversicherung oder der Sozialhilfe.“
Wie werden „Fälle“ gezählt und unterschieden?
„Für die Auslegung des Begriffs „Fälle“ ist dabei grundsätzlich von der Anzahl der hilfsbedürftigen Personen im Laufe eines Kalendermonats auszugehen.
Gebärdensprachdolmetscherleistungen, die für eine bestimmte hilfsbedürftige Person erbracht werden und die z. B. im Rahmen der Eingliederungshilfe nach § 54 SGB XII vom Sozialamt unmittelbar vergütet werden, gelten demnach pro Kalendermonat als ein Fall. Dolmetscher-Leistungen gegenüber einem gehörlosen Ehepaar gelten dann als zwei Fälle, wenn diese gegenüber dem Leistungserbringer jeweils gesondert für beide Personen im Monat von einem Träger der Sozialversicherung oder der Sozialhilfe vergütet werden.“
Was ist mit wiederkehrenden Aufträgen für die gleiche Person innerhalb eines Monats?
„Erbringt der Gebärdensprachdolmetscher wiederkehrend, z.B. wöchentlich für den selben Auftraggeber, Dolmetscherleistungen, so sind seine Leistungen monatlich als ein Fall zu werten, unabhängig von der Zahl der tatsächlich anwesenden hilfebedürftigen Personen.“
Wie ist die Situation zu bewerten, wenn ein Dolmetscher für mehrere gehörlose Personen gleichzeitig (z.B. bei einer Veranstaltung) tätig ist?
„Dolmetscherleistungen, die nicht für eine bestimmte hilfsbedürftige Person erbracht werden, sondern für eine unbestimmte Anzahl bzw. für eine Mehrzahl von hilfsbedürftigen Personen, sind dann als ein Fall zu zählen, wenn der Gebärdensprachdolmetscher gegenüber einem Dritten, z. B. einem Arbeitgeber oder einem Veranstalter einer Veranstaltung eine vertragliche Vereinbarung hat. Wie viele Personen tatsächlich die Gebärdensprachdolmetscher-Leistungen in Anspruch nehmen, ist hierbei irrelevant. Das Gleiche gilt auch dann, wenn ein gehörloses Ehepaar einen Gebärdensprachdolmetscher für eine (gemeinsame) Dolmetscherleistung beauftragt und ein Träger der Sozialversicherung oder Sozialhilfe nur eine einzelne Leistung bezahlt.“