Leben mit dem Stottern Stottern: Wenn die Worte steckenbleiben
800.000 Menschen in Deutschland stottern. Weltweit hat ein Prozent der Bevölkerung das Handicap. Berühmte Beispiele sind die Sänger Ed Sheeran sowie „Der Graf“ aus der Band „Unheilig“, die Schauspieler Rowan Atkinson alias „Mister Bean“ oder Bruce Willis und König George VI von Großbritannien.
Es fängt zumeist in jungen Jahren an und betrifft immerhin fünf Prozent aller Kinder zwischen zwei und sechs Jahren. „Bei den meisten hört es von selbst wieder auf“, so die gute Nachricht von Georg Thum, dem Leiter der Stotter-Beratung an der Ludwig Maximilians-Universität München. Die schlechte Nachricht: Ab dem Schulalter ist Stottern in der Regel nicht mehr heilbar. Doch es gibt sehr gute Therapien. Und: Forscher sind dem Geheimnis, das im Gehirn seine Ursachen hat, auf der Spur.
Stottern: Plötzlicher Beginn und genetische Veranlagung
Sarah aus Buchloe im Ostallgäu ist mit ihren sieben Jahren ein ganz normales Kind. Sie malt gern und spielt viel mit ihren Brüdern Tobias und Maximilian im Garten. Lange Zeit hatte es Barbara Werner Weberschock verdrängt, dass ihre Tochter einmal das selbe Handicap wie sie haben könnte. Sarah begann mit dreieinhalb Jahren zu stottern.
Stottern ist vor allem genetisch bedingt. Die Veranlagung wird weitervererbt. Stotternde Menschen wissen genau, was sie sagen wollen. Doch bleiben manchmal die Worte stecken. Es ist nicht psychisch bedingt, kann jedoch psychische Probleme hervorrufen. Plötzlich kam bei der dreifachen Mutter und gelernten Postbotin der ganze Frust wieder hoch, den sie als stotterndes Kind erlebt hatte.
"Was ich ganz ungut fand, war meine Schulzeit. Nicht dass ich gehänselt worden bin, das kam bei mir nie vor. Aber ich hatte in der Schule viel Stress und Angst vor den Mitschülern zu sprechen. Ich hab mich so durchgemogelt, ich hab mich halt wenig gemeldet im Unterricht, hab mich zurückgezogen."
Barbara Werner-Weberschock
Diese Erfahrung will Barbara ihrer Tochter ersparen. Nach einem Termin war klar: Sarah soll zur Logopädin. Je früher man das Stottern behandelt, umso besser.
"Am Anfang war ihr Sprechen nicht verständlich, weil sie so stark gestottert hat, mit extremen Blockaden und Tonhöhenveränderungen habe ich sie teilweise nicht verstanden. Dann habe ich Pseudostottern eingeführt: Jetzt hüpfen aber die Wörter in meinem Mund.“ Und Sarah hat angefangen mich zu korrigieren. Ich sag fe-fe-fe. Und sie sagt fertig. Und dann muss man es noch verknüpfen mit einer positiven Emotion. Es hat etwas Positives. Es ist nicht nur etwas, wo ich mich schämen muss oder was ich verbergen muss."
Karolin Waibl, Logopädin, Buchloe
Stottern: Fortschritte durch frühe Therapie
Sarah hat in drei Jahren Sprechtraining riesige Fortschritte gemacht. Sie hat gelernt, dass Stottern nicht automatisch anstrengend sein muss. Ein Problem sind falsche Heilsversprechen.
"Wenn ich als Therapeut hergehe, und sage, wir machen das jetzt weg, dann funktioniert das nicht. Denn der größte Motor, der das Stottern aufrechterhält, ist nicht Stottern zu Wollen. Also wenn ich jetzt den Druck entstehen lasse, es muss weg. Oder wir arbeiten dran, dass es nicht mehr da ist, entsteht so ein großer Druck, dass es nicht funktioniert. Das ist das Paradoxe beim Stottern."
Karolin Waibl, Logopädin, Buchloe
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Stottern: Was sind die Symptome?
Im Alter von drei bis sechs Jahren entwickelt sich im Gehirn die Sprache. Genau in diesem Zeitfenster bestehen die besten Chancen auf Heilung. Das sagt auch die Stotter-Beratungsstelle in der Münchner Universität. Sie richtet sich an Betroffene, Angehörige oder Lehrer. Geprüft wird als erstes, ob es sich überhaupt um Stottern handelt. Werden Wörter unfreiwillig oft wiederholt, die Vokale lange gedehnt oder verliert der Betroffene die Kontrolle über seine Sprache und Mimik? Das sind typische Symptome.
"Wenn ich jetzt versuche, intuitiv gegen diesen Kontrollverlust anzukämpfen, dann bekomm ich ein Begleitverhalten: Das Gesicht bewegt sich, die Mimik verzerrt sich. Das ist nicht das Stottern, das ist eine Reaktion auf das Stottern."
Georg Thum, Leiter der Stotter-Beratung, Lehrstuhl für Sprachheilpädagogik, Universität München
Stottern: Wann verschwindet es von alleine?
Fünf Prozent aller Kinder zwischen zwei und sechs Jahren sind betroffen, jedes Zwanzigste.
"Die Chance, dass dieses Stottern wieder selbst von alleine zurückgeht, ist bei Kindern zwischen zwei, zweieinhalb Jahren bis zum vierten und sechsten Lebensjahr sehr groß. 80 Prozent dieser Kinder verlieren ihr Stottern wieder unabhängig von einer Therapie."
Georg Thum, Leiter der Stotter-Beratung, Lehrstuhl für Sprachheilpädagogik, Universität München
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Lehrstuhl für Sprachheilpädagogik
Forschungsinstitut für Sprachheilpädagogik und Sprachtherapie
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80802 München
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Was tun, wenn das Stottern bleibt?
Am Starnberger See bietet Georg Thum Jugendlichen und jungen Erwachsenen Auffrischungskurse an. Denn 20 Prozent der Betroffenen behalten das Stottern ihr Leben lang und tun sich damit oft schwer.
Die Teilnehmer lernen Sprechtechniken wie den weichen Stimmeinsatz. Und sie müssen das Gelernte auch in der Praxis anwenden.
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I. Mayer, Logopädin
Logopädische Praxis
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E-Mail: im@staerker-als-stottern.de
Anfragen für Eltern Jugendlicher oder für junge Erwachsene (14-20 Jahre):
G. Thum, Akademischer Sprachtherapeut
Praxis Dialog
Nusselstr. 30a
81245 München
Tel: 089-21 57 91 41
Fax: 089-21 94 99 46
E-Mail: gt@staerker-als-stottern.de
Stottern: Männer sind öfter betroffen
Männer sind vier bis fünfmal häufiger betroffen als Frauen. Warum ist unklar. Überhaupt wusste man lange nicht, warum Menschen stottern. An der Universitäts-Klinik in Göttingen ist man dem Geheimnis auf der Spur.
Martin Sommer ist selbst betroffen. Er ist Vorsitzender im Bundesverband der Stotterer-Selbsthilfe und zählt zu den führenden Forschern über das Stottern. Der 49jährige Neurologe hat als erster herausgefunden, wo das Problem auftritt.
Stottern: Was passiert im Gehirn?
Beim Sprechen sind viele Hirnareale beteiligt. Sie müssen fein untereinander abgestimmt werden. Das Sprachzentrum befindet sich in der linken Gehirnhälfte. In der sogenannten weißen Substanz, die mit den grauen Zellen verbunden ist und die Gehirnareale verknüpft, kommt es zu Störungen. Die Verbindungen der Nervenfasern sind zu schwach. Ähnlich wie bei einem Radio mit schlechtem Empfang.
Was da genau beim Sprechen nicht klappt, will das Team in Göttingen auch mit der Messung der Hirnströme herausfinden. Was passiert im Gehirn bei der Planung von Sprache, also noch bevor die Worte herauskommen oder eben stecken bleiben.
Sehr wahrscheinlich ist auch die rechte Gehirnhälfte mitverantwortlich für das Stottern. Sie gleicht zwar einerseits durch verstärkte Nervenbahnen die Schwäche der linken Gehirnhälfte aus. Doch andererseits hemmt sie auch die linke Hälfte und stört damit das fließende Sprechen.
Außerdem untersuchen die Wissenschaftler die Vorspannung der beim Sprechen beteiligten Muskulatur. Über 100 Muskeln von der Lunge bis zu den Lippen sind daran beteiligt. Die Vorspannung ist beim Stotternden niedriger als beim Nichtstotternden. Wie bei einem Bogen, der nicht so gut gespannt ist. Daher schießen die Worte nicht zum gewünschten Moment heraus.
Und man hört sich beim Sprechen selbst. Das dafür verantwortliche Gehirnareal schickt die Infos blitzschnell an das Areal für die Aussprache. Letztendlich ist es eine Frage des Timings.
"Wir wissen, dass der Motorcortex, also das Bewegungsareal des Gehirns sich normalerweise dynamisch auf den nächsten Sprechvorgang vorbereitet. Diese Vorbereitung ist bei Stotternden gestört. Was wir noch nicht wissen ist, warum manche Episoden flüssig sind und nur manche unflüssig."
Prof. Dr. med. Martin Sommer, Klinik für klinische Neurophysiologie, Universität Göttingen
Kontakt
Prof. Dr. med. Martin Sommer
Robert-Koch-Strasse 40
37075 Göttingen
msommer@gwdg.de
Tel.: 0551-39 66650
Je mehr man über die Ursachen versteht, umso besser kann man Stottern behandeln.
Ein Therapieansatz: Kasseler Stottertherapie
Der 21jährige Uli Thiel studiert in Magdeburg Sportwissenschaft. Immer wieder machte ihm sein Handicap zu schaffen.
Dann entdeckte er die Kasseler Stottertherapie. Der Vorteil: Nach einer Einführungswoche kann er zu Hause weiterüben.
"Man muss das täglich anwenden, um das Gelernte in den Körper zu bringen. Und die Wörter, wo man gestottert hat, so wie ich bei Ball oder Tier, diese Wörter muss man immer wieder üben und somit diese Sprechunflüssigkeiten eliminieren."
Uli Thiel, Sportstudent
Seit zwei Monaten tauscht er sich außerdem regelmäßig online per Videokonferenz mit Therapeuthen aus Kassel aus. Die Krankenkasse übernimmt die Kosten. Aber nur, wenn er regelmäßig übt. Der Erfolg wurde mit einer wissenschaftlichen Studie nachgewiesen.
"Ich bin ruhiger und selbstbewusster, rede mit mehr Inhalt, tausche keine Wörter mehr aus."
Uli Thiel, Sportstudent
Kontakt
Institut der Kasseler Stottertherapie
Feriendorfstraße 1
34308 Bad Emstal, OT Sand
Telefon: 0 56 24 - 921 0
Fax: 0 56 24 - 921 201
E-Mail: info@kasseler-stottertherapie.de
Stottern: lebenslanges Üben, Selbsthilfe und Gesang
Im Sprechtraining zu bleiben - möglichst ein Leben lang – erfordert Motivation. Unterstützung bieten Selbsthilfegruppen der Bundesvereinigung Stottern und Selbsthilfe. Lukas, Sarina Kaltschmid und Frederick Kukla treffen sich alle zwei Wochen in der Flow-Gruppe München.
"Ich finde, die Flowgruppe ist ein Ort, wo man sprechen kann, wie einem der Schnabel gewachsen ist. Da ist man unter Gleichgesinnten. Jeder kennt das Gefühl zu stottern, das Gefühl die Kontrolle zu verlieren. Jeder lässt einen aussprechen, jeder lässt einem Zeit. Weil man auch selbst möchte, dass einem Zeit gelassen wird."
Frederick Kuckla
Sarina Kaltschmid hat etwas gefunden, wo ihr Handicap wie weggezaubert ist. Sie nimmt Gesangsunterricht. Beim Singen ist nicht die linke Gehirnhälfte im Einsatz, wo das Sprachzentrum sitzt, sondern die rechte. Daher hat Sarina beim Singen kein Problem mit dem Sprechfluß. Dennoch ist Singen keine Therapie.
Die Selbsthilfe-Gruppe wendet sich an Stotterer zwischen 16 und 29 Jahren.
Kontakt
Bundesvereinigung Stottern & Selbsthilfe e.V.
Informations- und Beratungsstelle
Zülpicher Straße 58
50674 Köln
Telefon: 0221-139 1106
Telefax: 0221-139 1370
E-Mail: info@bvss.de
Stottern: Heilung durch Zauberei?
Auch Erhard Smutny aus Augsburg hat Sprechblockaden.
"Ich war stets auf der sprachlichen Flucht. Klar, dass die anderen auch gelacht haben und das war dann natürlich nicht so angenehm."
Erhard Smutny, Zauberkünstler
Doch dann geschah das Erstaunliche. Mit zehn Jahren schenkten ihm seine Eltern einen Zauberkasten. Damit lernte er seine ersten Tricks und Zaubersprüche. Plötzlich sprach er ganz fließend und frei von Blockaden.
In den 70er und 80er Jahren verbesserte er als Zauberer „Hardy“ ständig den Weltrekord im Dauerzaubern auf 92 Stunden und wurde einer der prominentesten Zauberer in ganz Deutschland.