ARD-alpha

alpha-retro: Jüdisches Leben seit 1945 alpha-retro: Münchner Juden (1972) Kindheit, Verfolgung, Rückkehr

Jüdisches Leben in München nach 1945: Frau N. ist eine der 50 jüdischen Münchner Bürger*innen, die zurückgekehrt sind; sie erzählt von ihren angstbeladenen Erlebnissen in der Stadt ab 1933. "Aber das erzählt sich sehr leicht - man muss es miterlebt haben", sagt sie. | Bild: BR

Freitag, 08.05.2020
20:15 bis 21:15 Uhr

  • Schwarz-weiß

ARD alpha
BundesRepublikDeutschland (historisch) 1972

Der Film beginnt mit den Ereignissen des Jahres 1923 und wie die Münchner Juden den gescheiterten Hitlerputsch erlebt haben, wie die Väter der in diesem Film erzählenden Münchner Juden den Hitlerputsch erlebt haben. Denn diese Väter waren in der Regel Weltkriegsteilnehmer gewesen. Georg Friedel erzählt ganz kurz und nicht aufdringlich aus der eigenen Kindheit zwischen Bavariaring und Münchner Westend und er schildert die Lebensgeschichte von zwei jüdischen Mädchen, die mit ihm die Schule gegangen sind: die eine reich, die andere arm.

Friedel erzählt jedoch nicht nur über diese Menschen, sondern lässt sie vor der Kamera selbst erzählen. Dies ergibt letztlich spannende Zeitzeugengespräche, bevor es diesen Begriff so recht gegeben hat. Eine Münchner Jüdin aus ärmeren Verhältnissen erzählt ein Erlebnis aus ihrer Schulzeit, das sie selbst als „vermutlich nicht besonders interessant“ für andere bezeichnet, das sich ihr selbst jedoch tief ins Gedächtnis gegraben habe. Nach der Machtergreifung gab es nicht mehr den üblichen Morgengruß „guten Morgen, Fräulein Lehrerin!“, sondern alle mussten aufstehen und „Heil Hitler“ sagen und dazu den Arm heben. Sie und weitere vier jüdische Mädchen in der Klasse machten das jedoch nicht mit. Die Lehrerin zwang diese fünf Mädchen stehen zu bleiben, bis sie doch den Arm heben und „Heil Hitler“ sagen würden. Die Erzählerin machte dies trotzdem nicht. Am nächsten Tag hieß es dann, jüdische Kinder hätten nicht die Ehre, „Heil Hitler“ sagen zu dürfen. „Das ist ein Erlebnis, an das denke ich heute noch,“ schließt sie diese Erzählung ab.

Ein Münchner Jude erzählt da z.B. über seinen Vater, einen „Viehjud“ und „Hopfenjud“ in Niederbayern, der dort unter keinerlei Antisemitismus gelitten habe. Die Bezeichnungen „Hopfenjud“ und „Viehjud“ waren keine Beleidigungen, sondern so etwas Ähnliches wie Berufsbezeichnungen. Die Väter aller Erzählenden waren durchgehend deutschnational eingestellt, waren stolz darauf, Deutsche zu sein. Was haben diese Münchner Juden vor 1933 erlebt, wie haben sie die Zeit nach 1933 empfunden? Was haben sie in und nach der sogenannten „Reichskristallnacht“ erlebt? Die Fragen von Georg Friedel und die Ausführungen dieser Münchner Juden – alle ungefähr Jahrgang 1919/20 – üben einen großen Sog aus: Man hört zu und merkt nicht, wie am Ende eine Stunde Film vorübergezogen ist.

Am Schluss des Films gibt es die dramatisch spannende Erzählung eines Münchner Juden, der damals als Jugendlicher in einem Versteck gelebt hat: Wie er mit der Waffe in der Hand auf die Gestapo gewartet hat und sich keinesfalls ohne Gegenwehr hätte abführen lassen. Er sagt, er habe das alles nur mit einer riesigen Portion Glück überlebt. Die Verwandten der Protagonisten sind so gut wie alle im Holocaust ermordet worden.

Redaktion: Martin Posselt