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alpha-geschichte Zeuge der Zeit: Christian Pfeil Trotz allem

Sonntag, 19.11.2023
23:50 bis 00:35 Uhr

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Deutschland 2023


Christian Pfeil ist Sinto. Abwertend als "Zigeuner“ gebrandmarkt, werden alle seine Familienmitglieder von den Nationalsozialisten aus ihrer Heimat Trier in Konzentrationslager verschleppt und gefoltert. Einige Angehörige werden in Auschwitz umgebracht. Christian Pfeil überlebt. Aber die Ausgrenzungen gehen nach dem Krieg weiter. 

Den Tag seiner Geburt hat im Januar 1944 im Lager von Lublin niemand registriert. Aber es war kalt, eiskalt. „Man sagt, es war ein Wunder, dass ich überlebt habe. Bei dieser Kälte und ohne Essen. Ich war so klein, man hat mich in eine Zigarrenkiste hineingelegt. Meine Mutter hat mich als Säugling zur Zwangsarbeit im Lager mitgenommen und in den Schnee gelegt. Man kann es nicht glauben, aber so war das. Hätte sie mich zurückgelassen in der Baracke, wäre ich wahrscheinlich ermordet worden“, sagt Christian Pfeil.

Nach der Befreiung durch die Rote Armee 1945 versucht die Familie in Trier einen Neuanfang. 500.000 Sinti und Roma sind europaweit ermordet worden. Nur die wenigsten haben überlebt. Christian Pfeils Eltern und ältere Geschwister gehören zu ihnen. Aber die Jahre der Folter, der Mangelernährung und täglichen Todesangst haben körperliche und seelische Spuren hinterlassen.

Die Familie ist eigentlich auf staatliche Hilfen angewiesen, aber der Umgang mit den Überlebenden durch die deutsche Gesellschaft und die deutschen Behörden nach dem Krieg sind geprägt von massiven strukturellen Benachteiligungen: Die Nachkriegsbehörden legen fest, dass Sinti und Roma nicht aus „rassischen“ Gründen verfolgt und ermordet wurden, sondern wegen „asozialer und krimineller Haltung“. Entschädigungsanträge von Sinti und Roma werden daher meist abgelehnt.

An offiziellen Stellen oder in Gesundheitsämtern sitzen darüber hinaus auch nach dem Krieg häufig dieselben Beamten, die während der NS-Zeit für die Verfolgung der Sinti und Roma mitverantwortlich waren.
Die Familie bleibt sich selbst überlassen. Christian Pfeil gelingt in den 70er Jahren - allen Widerständen zum Trotz – der Durchbruch: Er wird ein erfolgreicher Gastronom in Trier und führt Kultlokale, in denen die Prominenz ein und aus geht. Er hat es geschafft.

Doch dann kommt der Tag, an dem er als Sänger im Fernsehen ein sozialkritisches Lied zum Besten gibt. Ein Chanson, in dem er auf das Schicksal der Sinti und Roma während der NS-Zeit aufmerksam machen will. Nach diesem Auftritt im Jahr 1993 wird er Opfer zweier Neonazi-Anschläge.

Er bekommt Morddrohungen, sein Lokal wird mit Nazi-Parolen beschmiert und zweimal komplett zerstört
. Christian Pfeil erinnert sich: „Die Schmierereien und die Wörter, die an die Wand geschrieben worden sind, haben mir sehr wehgetan. Die Hakenkreuze und SS-Runen. Die ganze Familie war fünf Jahre im KZ. Das Schlimmste, was man sich vorstellen kann, ist uns passiert. Und danach nochmal dieser Schmerz.“

Hilfe durch die Behörden erfährt er nicht. Die Fälle sind bis heute unaufgeklärt. Nach Jahren des Schweigens tritt Christian Pfeil später wieder an die Öffentlichkeit: „Irgendwann kam ich zu diesem Punkt. Man darf nie aufgeben. Ich habe Angst. Aber ich werde, solange ich lebe, mich dagegen wehren und erzählen, was uns passiert und die Leute aufrütteln. Aber ob das reicht? Ich weiß es nicht.“

Regie: Michaela Wilhelm-Fischer
Redaktion: Helge Freund

Die Reihe "Zeuge der Zeit" spürt dem Schicksal von Menschen nach, die als Kinder, Jugendliche oder junge Erwachsene den Terror des NS-Regimes erleiden mussten.