Campus Doku Adel verpflichtet! Ist die Aristokratie noch elitär?
Das Interesse der Öffentlichkeit am Adel scheint ungebrochen. In der Boulevardpresse beherrschen die Familiengeschichten der Aristokratie regelmäßig die Schlagzeilen. Fernsehübertragungen von Adelshochzeiten erreichten weltweit ein Millionenpublikum.
Auch in der historischen und soziologischen Forschung hat das Thema Adel Konjunktur. Hinzu kommt nun auch die Medienforschung, die „adelige Projektionsflächen“ untersucht und dabei die Darstellung des Adels in den Medien als beispielgebend für die Gesellschaft erforscht.
Ist der Adel noch elitär und welche Bedeutung haben die alten Eliten in der modernen Gesellschaft? Was begeistert heute so viele am Adel und seinen führenden Vertretern? Dienen sie als „elitäre“ Vorbilder und Ideale, an denen sich immer mehr Bürgerliche orientieren? Campus DOKU versucht zu ergründen, worin die Faszination und die Rolle des Adels als Elite in der modernen Gesellschaft heute noch bestehen.
Der Adel ist tot - es lebe der Adel
Juristisch ist der Adel in Deutschland und Österreich mit dem Ende der Monarchien 1918 abgeschafft. In Österreich wurde das Tragen von Adelstiteln verboten, während sie in Deutschland als Namensbestandteile jedoch weitergeführt werden dürfen. Mehr aber auch nicht. Seither besitzt der Adel - dem in Deutschland schätzungsweise 0,1 Prozent der Bevölkerung angehören - weder politische Privilegien, noch übernimmt er eine bestimmte gesellschaftliche Funktion. Eigentlich! Doch wer sich auf eine Reise in die Welt des Adels macht, Schlösser betritt, die keine Museen sind, sondern wo noch Gräfinnen, Prinzen oder Freiherrn wohnen, stellt fest: Dafür, dass es den Adel gar nicht mehr gibt, hat er sich gut gehalten. Keine andere gesellschaftliche Schicht ist so homogen, pflegt gewisse traditionelle Werte und Tugenden und achtet auch heute noch darauf, dass, so der Soziologe und Eliteforscher Prof. Dr. Michael Hartmann, durch standesgemäße Heirat " Hektar zu Hektar kommt."
Wer zu den Adelshäusern dazugehört, verraten die Genealogischen Handbücher, die sogenannten "Gothas". Namen und Stammbäume aller Adelsfamilien sind hier in unterschiedlichen Reihen veröffentlicht.
Campus DOKU trifft Vertreter des Adels in Bayern, die beispielgebend sind für die Vielschichtigkeit dieses Standes: die Fortwissenschaftlerin Stephanie Gräfin Bruges von Pfuel, die das Erbe ihres Vaters, ein 500 Jahre altes, völlig marodes Renaissanceschloss in Niederbayern, aus eigenen Mitteln wieder aufgebaut hat und durch Vermietung und Eventmanagement erfolgreich finanziert. Die alleinerziehende Mutter von sechs Kindern ist das weibliche Gegenbild einer patriarchalischen Adelsgesellschaft.
"Adel verpflichtet!", so tituliert es Johann Georg Prinz von Hohenzollern selbst im Rahmen seiner achtzigsten Geburtstagsfeier und meint damit den Adeligen in der jahrhundertealten Tradition des Mäzenatentums, der der Würde seines Namens "nie schaden" würde. Er reflektiert über den Adel im Kontext einer Elite, die Verantwortung trägt – für den Adelsstand, die eigene adelige Familie und für die Gesellschaft als Hüter von Traditionen und Werte, die Jahrhunderte überstanden haben.
Den Aspekt der Verantwortung des Adels gegenüber der Bevölkerung und einer Region personalisiert der Wittelsbacher und Urenkel des letzten Bayerischen Königs, Luitpold Prinz von Bayern, dessen Stammsitz das Schloss Kaltenberg ist, wo er seit über 30 Jahren das größte Ritterturnier der Welt, das „Kaltenberger Ritterturnier“, veranstaltet. Die Show gilt mit bis zu 200 Darstellern, 23 professionellen Stuntmen und 18 Pferden als eines der größten Mittelalterspektakel weltweit.
Dass Adelige ihre Traditionen auch heute noch an ihre Nachkommen weitergeben, zeigt sich auch an der Wahl der Schulen und der Ausbildung. Spricht man junge Adelssprösslinge direkt darauf an, weisen sie die Wahl der Schule als Ausdruck ihrer Herkunft vehement zurück und empfinden es nicht als elitär, dass ihre Eltern für ihre Erziehung mehrere tausend Euro monatlich zahlen. Internate wie die Schule Schloss Stein an der Traun bieten, dank individueller Förderung und die besondere Betonung adeliger Umgangsformen und Werte, Familien der Aristokratie die optimale Ausbildungsstätte für ihre Kinder.
Adel in den Medien
Nach dem Motto „der Adel ist tot, es lebe der Adel“ beherrschen Familiengeschichten der europäischen Aristokratie die bunten Blätter. Fernsehübertragungen von Adelshochzeiten erreichen höchste Einschaltquoten. Mit Adel lässt sich Kasse machen. Eine boomende Branche: 28 verschiedene Publikationen gibt es in Deutschland. Etwa neun Millionen dieser Zeitschriften werden Woche für Woche verkauft. Die Fotos stammen größtenteils von der Bild-Agentur Sabine Brauer Photos in München. Auf Hochglanz getrimmt, prägen sie ein Bild vom deutschen Adel, dass das Leben der Aristokratie als herausgehobener und privilegierter Stand vermittelt.
Adel im Fokus der Wissenschaft
Die Historikerin Prof. Dr. Monika Wienfort, Gastprofessorin am FRIAS der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, hat bei ihren Forschungsarbeiten zum Thema „Die Bedeutung des Adels in der Moderne“ herausgefunden, dass Attribute, die dem Adel zugeschrieben werden, wie Exklusivität, Traditionsbewusstsein sowie Disziplin und Pflichterfüllung zunehmend nicht mehr als „elitär“, sondern als für die gesamte Gesellschaft beispielgebend betrachtet werden. Schlösser als Ausdruck adliger Lebensführung und die mit adliger Wohnkultur verbundene Lebensart sowie adliger Kleidungsstil werden von Nicht-Adligen zunehmend kopiert und gelten als en vogue. Und das dem Adel zugeschriebene Phänomen des „Zurücktretens des Einzelnen“ hinter die Familie und die „adlige Gesinnung“ der uneigennützigen Wohltätigkeit gelten immer mehr als erstrebenswerte Lebensmodelle auch für Nicht-Adelige. "Eine politische Rolle spielt der Adel nicht mehr. Er ist in Deutschland von einem rechtlich-politischen zu einem sozio-kulturellen Phänomen geworden" meint jedoch Prof. Dr. Monika Wienfort.
Der Eliteforscher und Soziologe Prof. Dr. Michael Hartmann von der TU Darmstadt hat sich unter anderem mit den Bedingungen des "Obenbleibens des Adels" beschäftigt. Dabei hat er herausgefunden, dass, obwohl die Privilegien des Adels mit der Weimarer Republik 1919 abgeschafft wurden, es dem Adel heute immer noch gelingt "jenseits des Bürgerlichen Gesetzbuches" eigene Regelungen beispielsweise in der Erbfolge aufzustellen. Er hat auch einen signifikanten Unterschied bei Adeligen im Gegensatz zu Nicht-Adeligen im Erreichen von Spitzenpositionen in der Wirtschaft festgestellt. Demzufolge ist der Adel dabei doppelt so erfolgreich im Vergleich zum nichtadeligen Teil der Bevölkerung, obwohl er nur einen geringen Anteil an der Gesamtbevölkerung in Deutschland ausmacht. "Bewusste Strategien der Abgrenzung kann man bei Teilen des Adels durchaus feststellen. Dies geschieht beispielsweise durch die Ausbildung in exklusiven Internaten und den Zusammenschluss in den Adelsverbänden."
Die Bedeutung des Adels für die Gesellschaft
In seiner Bedeutung hat der Adel als Stand längst nicht mehr so viel Gewicht in der Gesellschaft, wie noch vor der Weimarer Republik und der Abschaffung der Adelsprivilegien. Aber der Adel ist weiterhin in vielen Bereichen als elitärer Zirkel prägend: oftmals wertkonservativ und traditionsbewahrend übt er bis heute Einfluss auf die Gesellschaft, ohne selbst als Elite von herausgehobenem Stand öffentlich in besondere Weise in Erscheinung zu treten.
Die Faszination, die jedoch von manchen Repräsentanten adeliger Häuser und ihrem aufwendigen und exklusiven Lebensstil immer noch ausgeht, wird gleichermaßen genährt vom öffentlichen wie medialen Interesse an der Aristokratie. Die Medien wiederum prägen unser Bild vom Adel vor allem durch seine Darstellung als etwas Besonderes: ein Kreis, der nur unter bestimmten, strengen Voraussetzungen einen Zugang erlaubt – eine Welt, die aber in der Regel für „Normalsterbliche“ unerreichbar bleibt. In diesem Sinne hält sich das Bild vom Adel als „gesellschaftliche Elite“, die über die Gesellschaft hinausragt, auch weiterhin hartnäckig in der Öffentlichkeit und bestimmt damit auch die Bedeutung, die wir dem Adel heute noch für die Gesellschaft zugestehen – Aristokratie wirkt daher in manchen Darstellungen immer noch elitär, auch wenn oftmals ein realer Hintergrund dafür fehlt.
Buchtipps
- Monika Wienfort: Der Adel in der Moderne, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2006
- Walter Demel: Der Europäische Adel-Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, C.H.Beck, München 2005
- Haus der Bayerischen Geschichte (Hrsg.): Adel in Bayern-Prinzen, Grafen, Industriebarone, Deutsche Nationalbibliographie, Augsburg, 2008