RWTH Aachen Studieren als virtueller Avatar – wie geht das?
Was an der RWTH Aachen entwickelt wird, dürfte das studentische Leben und Lernen grundlegend verändern. Mithilfe einer Software können Studierende als virtuelle Avatare am Studienleben teilnehmen. Jetzt im Wintersemester 2020/21 wird diese Software zum ersten Mal im Unterricht eingesetzt. So lassen sich zukünftig vielleicht sogar Szenarien erschaffen, die real gar nicht möglich wären.
Akkuschrauber schnappen, Verankerungsschrauben rausdrehen und dann das Metallgerüst für eine mobile Hochwasserschutzwand aufstellen. So etwas lernen Ingenieursstudierende an der RWTH Aachen. Normalerweise machen sie das auf einem Schulungsplatz neben dem Gebäude. Wegen der Corona-Hygienevorschriften ist das momentan nicht mehr möglich. Mit einer neu entwickelten Software kann dieser Prozess jetzt virtuell doch stattfinden. Das Projekt „Avatar basiertes Lehren und Lernen“, was an der RWTH Aachen entwickelt wird ermöglicht es den Studierenden jetzt, mit einer entsprechenden Ausrüstung in Form einer Virtual Reality-Brille das Ganze von Zuhause aus zu üben.
Der Lerneffekt ist groß
Drei Ingenieursstudierende der RWTH Aachen haben diese Software kurz vor dem ersten Einsatz getestet. Sonia Kau, Studiengang Umweltingenieurswesen, Carsten Bartels, Studiengang Bauingenieurswesen und Florian Balmes, Studiengang „Master Sustainability – Water and Energy“. Alle drei können den Bauprozess für eine mobile Hochwasserschutzwand in der virtuellen Realität starten. Hin und wieder treten hierbei einige Softwarefehler auf, die aufzeigen, dass sich das Projekt noch in der Entwicklung befindet. Dennoch sehen die Studierenden hier einen großen Lerneffekt, erzählt Carsten: „In den Vorlesungen wird das immer besprochen wie das aufzubauen ist, aber durch das Ausprobieren am Beispiel bleibt es verankert.“
Virtual Reality als didaktisches Werkzeug
Prof. Dr. Heribert Nacken ist einer der Leiter des Projekts an der RWTH Aachen und freut sich darauf es jetzt im Wintersemester 2020 zum ersten Mal mit seinen Studierenden einzusetzen. Er ist Rektoratsbeauftragter für Blended Learning und unterrichtet im Bereich Ingenieurhydrologie. Das Bauen einer mobilen Hochwasserschutzwand ist Teil seines Unterrichts. Bei einem Gespräch erklärt er, dass nicht alle seine Veranstaltungen zukünftig virtuell stattfinden werden. Auch die klassische Videokonferenz wird in diesem Wintersemester zum Einsatz kommen. Prof. Dr. Nacken ist der Meinung, dass die Software nur dann genutzt werden sollte, wenn dadurch ein Mehrwert erkennbar wird. Virtual Reality sei demnach, laut Prof. Dr. Nacken ein „didaktisches Werkzeug“, welches sinnvoll eingesetzt zu einer Verbesserung der Lehrqualität und zu einer Steigerung des Kompetenzerwerbs beitragen könne.
Studienfachübergreifend einsetzbar
Nicht nur die Ingenieursstudiengänge profitieren in diesem Wintersemester vom Einsatz der Software. Prof. Dr. Simone Paganini, Lehrbeauftragter im Bereich Theologie nutzt die VR-Möglichkeiten beispielsweise dazu, seinen Studierenden in virtuellen Räumen als Avatar zu begegnen. So kann er sich mit Ihnen in einem dreidimensionalen Raum treffen, zusammen an einem Tisch sitzen und beispielsweise über das Konzept von bevorstehenden Masterarbeiten sprechen – so als würden sie sich in Räumen der Hochschule begegnen.
In einem Raum trotz großer Entfernung
Während die Studierenden sich von Zuhause aus als Avatare in die virtuellen Räume einwählen können, um dort ihrem Professor zu begegnen, sitzt auch Prof. Dr. Paganini nicht in Räumen der RWTH Aachen, sondern 600 Kilometer weit weg, Nahe Innsbruck.
Ein solches Aufeinandertreffen über längere Distanz ermögliche, laut Prof. Dr. Paganini völlig neue Möglichkeiten des Austauschs und des gemeinsamen Lernens. Studierende können sich trotz räumlicher Entfernung in dreidimensionalen Räumen begegnen, miteinander sprechen und sich im Raum bewegen. Prof. Paganini sieht daher im Einsatz von virtueller Realität viel Potenzial für das akademische Leben und Lernen.
Die Software als Open Source weiterverbreiten
Das Projekt „Avatar basiertes Lehren und Lernen“ ist im Rahmen des Gesamtprojekts „MyScore“ entstanden und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), sowie dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) im Rahmen des Programms Internationale Mobilität und Kooperation Digital (IMKD) gefördert.
Die Software steht allen Hochschulen als sogenannte „Open Educational Resource“ (OER) zur Verfügung, sodass Dozierende in ihrem Unterricht darauf zurückgreifen können. Hierbei gibt es keine Beschränkung von ausgewählten Studiengängen – grundsätzlich ließe sich die Technologie, laut Prof. Dr. Nacken in jedem Bereich einsetzen, wo sie dazu diene Lerninhalte besser vermitteln zu können. Dozierende an mehreren deutschen Hochschulen haben bereits Interesse gezeigt, die Software zukünftig nutzen zu wollen. Sogar aus Paris gab es schon Interessebekundungen. Inwieweit sich das Projekt im akademischen Alltag etablieren wird ist derzeit noch unklar. Voraussetzung ist eine entsprechende technische Ausstattung, für welche die jeweiligen Lehreinrichtungen aufkommen müssten.