Komplexe Grundlagenforschung Mit Bienen und KI menschliches Verhalten entschlüsseln?
Tausende Bienen einzeln markieren und dressieren: Es klingt nicht nur danach, es ist eine Sisyphos-Arbeit, die Tim Landgraf, Informatik-Professor an der TU Berlin, und sein Team da leisten. Ihr Ziel: herauszufinden, welche Faktoren die Entscheidungen der Bienen beeinflussen. Sie hoffen, ihre Erkenntnisse irgendwann mit KI auf das menschliche Verhalten übertragen zu können.
Ein Beispiel: Sagen wir Biene Birgit findet eine Futterquelle, sammelt Nektar, merkt sich den Standort. Zurück im Bienenstock erzählt sie den anderen Sammlerbienen dann, wo es den leckeren Nektar gibt: durch den typischen Bienentanz.
Aber nicht alle Sammlerbienen interessieren sich für das, was Birgit so erzählt und erst recht nicht alle fliegen los zum Nektar.
Sagt sich zum Beispiel Biene Barbara: „Ey die Birgit, die hat uns schon oft mega-Futterstellen gezeigt. Ich flieg mal los“? Oder denkt Biene Beate: „Birgit und ich sind Kumpels, also Abflug“? Oder gibt’s vielleicht gar keine sozialen Aspekte bei der Kommunikation? Wie beeinflussen persönliche Erfahrungen die Entscheidungen der Bienen?
Also: Ist die Qualität der Info wichtiger, oder ist es wichtiger, wer einem die Botschaft überbringt?
Rückschlüsse auf menschliches Verhalten möglich?
Irgendwann will Professor Landgraf mit seinem Team dann Rückschlüsse auf menschliches Sozialverhalten ziehen. Aber soweit ist es noch nicht.
Zunächst müssen die Bienen-Daten erhoben und ausgewertet werden – kompliziert genug.
"Die Bienen sind ja ein Modell für uns Menschen, für andere komplexe Systeme. Bei den Bienen haben wir den Vorteil, dass wir sozusagen ganze Lebensläufe verfolgen können, beim Menschen ist das zu lang. Bei den Experimenten mit Bienen können wir viel vom Leben, vom Sozialleben, aber auch vom Individualleben messen und beobachten. Das wollen wir Menschen auch nicht. Datenschutzrechtlich und praktisch ist es daher schwierig. Und wenn ich die ganzen Daten von der Biene habe, dann kann ich Fragen stellen, die ich gerne bei Menschen und bei anderen Sozialsystemen stellen würde. Und die Methoden sind immer dieselben."
Professor Tim Landgraf vom Dahlem Center for Machine Learning and Robotics der TU Berlin
Jede Biene wird einzeln markiert und dressiert.
Die Wissenschaftler markieren die Bienen einzeln mit einem QR-Code.
Kameras zeichnen alles im Bienenstock auf, erkennen durch die Markierungen jede einzelne Biene und dokumentieren deren Leben quasi von Geburt bis zum Tod.
Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz werden die Bewegungen, Tänze und alles, was so im Bienenstock passiert, erkannt. Das hat in der Komplexität noch niemand vor dem Berliner Forscher-Team geschafft. Ein riesiger, bisher noch nicht dagewesener Datensatz und für Tim Landgraf hoffentlich ein großer Datenschatz.
Davor steht allerdings noch die Dressur jeder einzelnen Biene.
Die Bienen sollen an eine künstliche Futterstelle gelockt werden und dann den anderen genau diesen Standort der Quelle mitteilen. An einem selbstgebauten sogenannten Feeder bekommen die Bienen Zuckerwasser mit Anisgeruch. Von oben werden sie auch hier wieder von einer Kamera überwacht. Die Biene soll das Anis-Zucker-Gemisch finden und checken: „Hey das ist ne echt gute Futterstelle.“ Dann wird der Feeder immer etwas weiter weg vom Bienenstock gestellt. Die Hoffnung: Die Biene weiß ja jetzt: „Aah, Anis-Zucker-Geruch. Das ist doch gut!“ und fliegt zum neuen Standort des Feeders. Diesmal eben ein Stück weiter weg und beim nächsten Mal wieder weg.
Das Schwierige ist nämlich, dass die Bienen erst ab 100 m Abstand zum Bienenstock überhaupt anfangen den anderen Bienen den Ort einer Futterstelle durch ihren Schwänzel-Tanz zu kommunizieren.
Und nur mit dem Tanz kann das Forschungsteam der eigentlichen Forschungsfrage nachgehen: Fliegt die Biene eher los, wenn sie die Vortänzerin kennt oder nicht?
Durch die Dressur, die Video-Überwachung und die Auswertung des Bienen-Verhaltens erfahren die Forscher, wenn alles gut geht: Wer hat mit wem wieviel Kontakt, wer ist wie oft losgeflogen, wer hat auf wen gehört? Also wer macht was mit wem? Wie lange? Wo? und so weiter.
Und vor allem: Welche Erfahrungen haben möglicherweise zu einem bestimmten Verhalten geführt?
So geht Forschung – das Format
Presenterin Ann-Kathrin Wetter begleitet junge Forscherinnen und Forscher, die an innovativen Projekten arbeiten, begeistert von ihrem Forschungsgegenstand sind und bei denen wir 'nah dran' sein können: Entwicklungen live miterleben und dabei wissenschaftliche Erkenntnisse direkt, spannungsvoll und emotional gewinnen - im Labor, bei Tests, bei Entdeckungen etc. schauen wir den Forscher:innen 'über die Schulter'. Anhand von Beispielen aus der angewandten Forschung erfahren wir, wie sie „gemacht“ wird, wie junge Wissenschaftler an komplexe Fragestellungen praktisch herangehen und was dabei herauskommt: Wie sieht spannende Forschung aus?
Das Motto
Zukunft Wissen – Forschung hautnah! Wir erleben dabei Entwicklungen bei der Forschung, Erfolge, aber auch Mal das Scheitern, auf jeden Fall Emotionen und einen Spannungsbogen: Was kommt bei der Forschung am Ende heraus? Und: Was bringt die Forschung den Menschen?
Für die Wissenschaftlerin / den Wissenschaftler und die Zuschauer*innen ist der Ausgang der Forschung ergebnisoffen und deshalb spannend.
Der Forscher
Tim Landgraf, Juniorprofessor am Dahlem Center for Machine Learning and Robotics an der FU Berlin. Er forscht u.a. mit KI-Methoden an Bienenvölkern und wir sind bei einem wegweisenden Versuch von Anfang an mit dabei.