ARD alpha - Faszination Psychologie

Faszination Psychologie Klinische Psychologie

Stand: 31.10.2016 | Archiv

Verängstigte Frau hinter zu Scherben zerborstenem Glas | Bild: colourbox.com

Die Klinische Psychologie ist das Hauptarbeitsgebiet etwa der Hälfte aller Diplompsychologinnen und -psychologen. Sie befasst sich mit der Erklärung, der Diagnose und der Behandlung von Störungen des Erlebens und Verhaltens von Menschen. Im Folgenden werden wir uns als Beispiel mit zwei der häufiger vorkommenden Störungen befassen: der Angst und der Depression. Doch bevor wir uns diesen zuwenden, müssen wir uns zuerst ein wenig Klarheit darüber verschaffen, was überhaupt normal ist und was krank.

Was ist normal – was ist krank?

Im Gegensatz zu körperlichen Erkrankungen, bei denen die Symptome häufig sichtbar sind oder zumindest durch physikalische Verfahren - wie z.B. die Fiebermessung oder das Röntgen - sichtbar gemacht werden können, ist die Diagnose einer psychischen Erkrankung meist schwieriger. Dennoch: Grundsätzlich kann man von einer ähnlichen Vorgehensweise sprechen.

Ob jemand krank oder gesund ist, lässt sich feststellen, wenn man seine Symptome mit einer Norm vergleicht. Die Medizin hat beispielsweise Normbereiche für die Blutwerte gesunder Menschen ermittelt. Ein an Diabetes leidender Mensch weicht von dieser Norm ab und erhält u.a. deshalb die Diagnose einer Zuckererkrankung. In der Klinischen Psychologie nimmt man zur Beurteilung psychischer Störungen ebenfalls Normen zu Hilfe.

Normen in der Psychologie

Für alle Facetten des psychischen Erlebens und Verhaltens lassen sich gleichermaßen statistische Normen ermitteln. Weicht jemand zu stark davon ab, dann kann es sich im negativen Fall um eine psychische Erkrankung, wie z.B. eine Angststörung oder eine depressive Störung handeln. Bei einer Normabweichung im positiven Fall, wie z.B. bei einem sehr hohen Intelligenzquotienten, würde man von einer Hochbegabung sprechen, die aber durchaus für alle Beteiligten auch belastend sein kann.

Statistische Normalverteilung

Hinter den statistischen Normen steht die Modellannahme der Normalverteilung. Ist ein Merkmal in der Bevölkerung normalverteilt, dann hat die überwiegende Mehrheit eine durchschnittliche Ausprägung dieses Merkmals und nur wenige Menschen weichen extrem stark von diesem Mittelwert ab. Das Beispiel der Angst soll dies verdeutlichen.

Nahezu alle Menschen erleben in verschiedenen gefährlichen Situationen ein gewisses Maß an Angst. Die Funktion dieses Angsterlebens dient dazu, dass wir uns entsprechend vorsichtig verhalten und Risiken vermeiden. Einige Menschen empfinden nur sehr wenig Angst, was zur Folge haben kann, dass sie sich manchmal gefahrenblind verhalten. Andere hingegen sind im höchsten Maße überängstlich und leiden beträchtlich darunter. Für sie ist es möglicherweise bereits mit extremen Ängsten verbunden, wenn sie nur das Haus verlassen und auf andere Menschen treffen.

Funktionelle Normen

Neben der statistischen Norm gibt es noch die funktionelle Norm. Diese dient zur Beantwortung der Frage, ob sich ein Mensch in seinen aktuellen Lebensumständen noch alters- und situationsgerecht verhält. Immer dann, wenn eine deutliche Abweichung des Erlebens und Verhaltens von der statistischen oder der funktionellen Norm vorliegt und die Betroffenen selbst und/oder ihre Umwelt unter dieser Abweichung leiden, sollte eine eventuell vorhandene psychische Störung in Betracht gezogen werden.

Gesellschaftliche Normen

Schwieriger sieht es mit gesellschaftlichen Normen aus. Menschen, die in unserem Kulturbereich Stimmen hören und Erscheinungen sehen, die nicht existent sind, werden als psychisch krank eingestuft. In anderen Kulturen werden sie möglicherweise als von einem göttlichen Wesen auserwählt betrachtet.

Diagnose-Standards

Klassifikationssysteme

ICD-10
International Classification of Diseases, 10th Revision

DSM-IV
Diagnostical and Statistical Manual of Mental Disorders

Die Diagnose einer psychischen Erkrankung ist aufgrund der Komplexität der Störungsbilder und der häufig fließenden Übergänge ein schwieriges Unterfangen, das größtmöglicher Sorgfalt bedarf. Um hier einheitliche Standards zu erreichen, sind weltweit vor allem zwei Klassifikationssysteme im Einsatz: ICD-10 und DSM-IV.

Beide Systeme beschreiben die Störungsbilder der verschiedenen psychischen Erkrankungen und legen fest, welche Symptome in welcher Ausprägung vorliegen müssen, um von einer spezifischen Störung sprechen zu können. Eine Diagnose anhand eines der beiden Klassifikationssysteme ist die Voraussetzung dafür, dass die Krankenkassen die Kosten einer psychotherapeutischen Behandlung übernehmen. Für die Patienten bieten diese Klassifikationssysteme bei sorgfältigem Einsatz derzeit die bestmögliche Gewähr einer korrekten Diagnose.