70 Jahre bayerische Verfassung "Die haben damals die Dinge auf den Punkt gebracht"
Am 30. Juni 1946 fiel der Startschuss für die bayerische Verfassung. Wie beurteilen sie Politiker heute, 70 Jahre später? Birgit Frank hat Landtagsabgeordnete nach ihren Lieblingsstellen im Gesetzeswerk gefragt.
Vor 70 Jahren, am 30. Juni 1946, wählte die bayerische Bevölkerung eine Landesversammlung. In den darauf folgenden Monaten erarbeitete diese die Verfassung, die am 8. Dezember 1946 in Kraft trat. Nach der NS-Zeit und der Phase der US-amerikanischen Militärregierung gab sie dem Freistaat Bayern eine neue Grundlage staatlicher Existenz. Wie beurteilen 70 Jahre danach Abgeordnete die bayerische Verfassung? Ein Kaleidoskop quer durch die im Landtag vertretenen Parteien.
"Schöne und weitsichtige Paragraphen" - Stimmen von Landtagsabgeordneten
K. Schulze (Grüne)
"Ich bin ein großer Fan der bayerischen Verfassung. Sie hat sehr viele schöne und weitsichtige Artikel und Paragraphen."
Die grüne Landtagsabgeordnete Katharina Schulze ist noch nicht einmal halb so alt wie die Verfassung, weiß sie aber sehr zu schätzen - besonders den Artikel 141, in dem es um den Naturschutz geht. Dieser Artikel wird übrigens auch "Schwammerlparagraph" genannt, weil es dort heißt, dass die Aneignung wildwachsender Waldfrüchte in ortsüblichem Umfang jedermann gestattet ist ...
"... was schön ist, weil es zeigt, dass das, was die Natur produziert, nicht einer Person alleine gehört, sondern dass wir alle, die wir hier leben, teilhaben und partizipieren können. Was uns aber auch Verantwortung gibt, damit auch die nachfolgenden Generationen genug Schwammerl haben."
Der "Schwammerlparagraph" geht übrigens direkt auf Wilhelm Hoegner zurück. Der SPD-Politiker war bayerischer Ministerpräsident, als die Verfassung erarbeitet wurde.
M. Rinderspacher (SPD)
Die Lieblingsstelle von SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher ist Artikel 151, in dem es heißt, die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit habe dem Gemeinwohl zu dienen.
"Das finde ich, ist ein Leitsatz, der ist wie in Stein gemeißelt - und da muss sich auch die aktuelle Politik orientieren."
Dass mit Wilhelm Hoegner ein Sozialdemokrat als Vater der bayerischen Verfassung gilt, merke man der Verfassung bis heute an, meint Rinderspacher - aber nicht der bayerischen Politik:
"Die Amerikaner haben 1945/46 schon gesagt: Um Gottes Willen, das ist ja ein sozialistisches Manifest. Und das kommt leider viel zu kurz. Nehmen sie mal den Mindestlohn: Der steht seit 1946 in der bayerischen Verfassung, wurde aber erst 2015 umgesetzt."
B. Stamm (CSU)
Eine der Lieblingsstellen von Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU) ist der Artikel 125, in dem es um den Schutz der Familie geht. Dort heißt es wörtlich: "Kinder sind das köstlichste Gut eines Volkes."
"Was Kinder in unserer Gesellschaft bedeuten: das wertvollste Gut oder das höchste Gut. Und die Zukunft unserer Kinder immer im Auge zu haben, das hat da einen großen Stellenwert, eine große Wertigkeit."
H. Aiwanger (Freie Wähler)
Die Lieblingsstelle von FW-Chef Hubert Aiwanger ist sehr viel jünger als der Rest der Verfassung. Folgendes steht dort erst seit einem Volksentscheid 2013: "Der Freistaat fördert und sichert gleichwertige Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen in ganz Bayern, in Stadt und Land."
"Es soll den Menschen auch am Land entsprechend gut gehen, nicht dass hier ganze Gebiete abgehängt sind."
Auch wenn Aiwangers Lieblingsstelle erst nachträglich in die Verfassung aufgenommen wurde: Generell, findet Aiwanger, haben die verantwortlichen Politiker ihren Job vor 70 Jahren doch sehr gut gemacht:
"Man muss sagen: Hut ab, dass die Menschen hier vor 70 Jahren die Dinge schon so auf den Punkt gebracht haben. Da hätten wir heute ein Problem damit."