Möglichst schnell, möglichst billig Die Profiteure der Flüchtlingskrise
In der Asylkrise winken Sicherheitsdiensten und Cateringfirmen gute Geschäfte. Öffentliche Aufträge werden oft freihändig, also ohne Ausschreibung vergeben, für manch einen Anbieter ist das die Lizenz zum Abkassieren.
Wenn es um Dienstleistungen in Flüchtlingsunterkünften geht, gilt bei den meisten Behörden: Hauptsache billig. Das zeigt ein Blick in die Ausschreibedatenbank der Europäischen Union. Öffentliche Aufträge ab einer bestimmten Größenordnung müssen nämlich europaweit ausgeschrieben werden und sind deshalb für jeden einsehbar. Der Staat zahlt, private Firmen liefern. Welche Firmen solche Großaufträge bekommen zeigt unsere Karte (Große Version der Karte öffnen). Je mehr Aufträge, desto größer der Kreis.
Hauptsache billig
BR-Data hat hunderte Aufträge in der Datenbank analysiert. Die Recherchen belegen: Was zählt ist der niedrigste Preis. Zum Beispiel beim Catering für Flüchtlinge: Als ausschlaggebendes Vergabekriterium gilt hier zu 80% der Preis. Zum Vergleich: Bei Kantinen für Schulen und Kitas ist der Preis im Schnitt nur zu 50% das ausschlaggebende Kriterium. Den Rest machen Kriterien wie Bio-Anteil oder die Bewertung des Speiseplans aus. Geht es um Flüchtlinge, heißt es dagegen: Hauptsache schnell, Hauptsache billig. Und weil die Zeit drängt und eine landes- oder europaweite Ausschreibung kompliziert ist, werden viele Aufträge gar nicht mehr ausgeschrieben, sondern im Schnellverfahren vergeben. Zur Begründung heißt es dann zum Beispiel:
"Aufgrund des plötzlichen unvorhersehbaren Eintreffens einer sehr hohen Zahl von Flüchtlingen in Bayern werden sofort weitere Unterbringungsmöglichkeiten mit den dazugehörenden Betreuungs- und Versorgungsleistungen für Flüchtlinge benötigt. […] Auf einen Teilnahmewettbewerb wurde aus Zeitgründen verzichtet."
Aus einer Ausschreibung der Regierung von Oberbayern vom 21.10.2015
Alexander Nette ist einer der wenigen spezialisierten Anwälte für europäisches Vergaberecht. Er kritisiert solche Schnellverfahren.
"Das Wettbewerbsrecht wird an der Stelle mit Sicherheit in einem sehr umfangreichen Maß ausgehebelt oder auch außer Kraft gesetzt."
Alexander Nette, Vergaberechtler
Wirtschaftsministerium weicht Vergabekriterien auf
Und das ist politisch offenbar gewollt: Ein Rundschreiben des Bundeswirtschaftsministeriums vom Januar 2015 weicht die Vergabekriterien bei Aufträgen im Zusammenhang mit Flüchtlingen deutlich auf – und lässt den Auftraggebern viel Spielraum. Es herrsche allgemeine Dringlichkeit. Doch Experten warnen, die Dringlichkeit könnte zum Dauerzustand werden und zu Missbrauch führen. Denn mit dem Argument der Dringlichkeit können auch Aufträge im Paket ausgeschrieben werden, also beispielsweise Unterbringung gemeinsam mit Catering und Sicherheit. Für die Behörden eine bequeme Lösung. Die Profiteure sind jedoch Großunternehmen, die sich auf Flüchtlinge spezialisiert haben und weitere Aufträge an Subunternehmer auslagern.
"Die Multi-Dienstleister profitieren davon, aber mittelständische Interessen werden sicher nicht gefördert."
Alexander Nette
Mittelständler fühlen sich ausgebremst.
In Bayern sind solche Paket-Ausschreibungen zwar noch die Ausnahme, doch ein Fall lässt aufhorchen. Die Erstaufnahmeeinrichtung Funkkaserne in München wird seit Mitte 2014 von der ORS Deutschland GmbH betrieben. Der Auftrag wurde freihändig, ohne Ausschreibung vergeben. Höhe: Unbekannt.
Tatsächlich steht hinter ORS Deutschland die OX Service AG aus der Schweiz. Und die wiederum gehört zum europaweit agierenden Finanzinvestor Equistone. Im Geschäftsbericht von 2014 lobt Equistone den erfolgreichen Markteinstieg in Deutschland. Gemeint ist damit der Auftrag in der Münchner Funkkaserne. Und das war offenbar nur der Anfang. Der Finanzinvestor gibt das Investitionsziel im Jahresbericht vor:
"Internationales Wachstum weiter vorantreiben, Marktposition sichern"
Equistone Annual Review 2014
Und den nächsten Auftrag hat ORS schon in der Tasche: Die Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber, Dependance Ingolstadt.
BR Data möchte im Bereich solcher Großaufträge Transparenz schaffen: Jeder User soll sich informieren können, an welche Firmen große Aufträge vergeben werden. Dafür hat BR Data den Account @asylauftraege erstellt, der automatisch aktualisiert wird. Die Daten, die in der TED-Datenbank öffentlich für jeden User erreichbar sind, werden gefiltert und als Twitter-Feed angeboten, dem man einfach folgen kann.