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Klagen gegen subsidiären Status Flüchtlinge ziehen vor Gericht

Immer mehr syrische Flüchtlinge bekommen nicht mehr den vollen Flüchtlingsstatus zugesprochen, sondern nur noch den "subsidiären Schutz", bei dem Flüchtlinge nur noch für ein Jahr Aufenthaltserlaubnis bekommen und der Familiennachzug eingeschränkt ist. Die Koalition hatte dies im Asylpaket II im März beschlossen. Doch viele Flüchtlinge wehren sich inzwischen mit Anwälten gegen die Entscheidungen des BAMF und klagen. Bisher gaben ihnen deutsche Verwaltungsgerichte meist Recht.

Von: Anna Tillack

Stand: 28.11.2016 |Bildnachweis

Verwaltungsgericht München (Bayern) | Bild: picture-alliance/dpa

Rechtsanwalt Hubert Heinhold verliert langsam die Geduld. "Die kommen nicht zu Potte", sagt er und verweist auf Eingaben an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) aus dem Januar, dem Februar, dem Mai und dem Juni dieses Jahres.

Anschließend hat Heinhold Klage eingereicht – gegen die Asylentscheidung, die das BAMF im Fall seines Mandanten getroffen hat: Rami Othman ist Syrer, in seiner Heimat hat er immer wieder das Assad-Regime kritisiert und musste daher um sein Leben fürchte. Der Geheimdienst sucht nach ihm und seiner Familie, bricht die Wohnungstür auf – da sind die Othmans schon weg, in Deutschland.

Heinhold vermutet Strategie des BAMF

Für das BAMF ist Rami Othman trotzdem kein Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Wie viele andere Syrer bekommt er nur den "subsidiären Schutz“ zugesprochen. Das heißt: Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr und der Familiennachzug ist ausgesetzt. Hubert Heinhold glaubt, das Bundesamt fälle diese Entscheidungen ganz bewusst, um die Flüchtlingszahlen niedrig zu halten:

"Das ist natürlich klare Politik, man will abschrecken, man will verhindern, dass Leute nach Deutschland kommen und das ist menschenrechtlich inakzeptabel und wird der Not der zurückgebliebenen Familien in keinster Weise gerecht. Mit Rechtsstaatlichkeit hat das wenig zu tun. Diese Praxis muss beendet werden."

Rechtsanwalt Hubert Heinhold

Othman: "Eine Rückkehr wäre lebensgefährlich"

Prozesstag vor dem Verwaltungsgericht München: Anwalt und Mandant besprechen sich ein letztes Mal. Rami Othman will Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention bekommen. Ansonsten müsste er bei Kriegsende zurück nach Syrien, das könnte lebensgefährlich für ihn sein, sagt er: "Wenn der Krieg zu Ende ist, kann ich nicht zurück nach Syrien gehen. ich würde festgenommen. Das ist gefährlich für mich für meine Familie, für meine Kinder…". Dann beginnt die Verhandlung hinter geschlossenen Türen.

Verwaltungsgericht München an der Leistungsgrenze

Rund 32.000 Syrer wie Rami Othman haben 2016 laut BAMF gegen die Entscheidungen des Bundesamtes geklagt. Bisher haben 76 Prozent der Klagenden Recht bekommen.

Am Münchner Verwaltungsgericht befassen sich inzwischen 18 Richter mit den Asylentscheidungen, bisher waren es vier. Dass die Zahl der Klagen so sprunghaft angestiegen ist, bringt auch das Verwaltungsgericht München an seine Grenzen, so Gerichtspräsidentin Andrea Breit:

"2016 sind insgesamt 1100 Klagen hier eingegangen. Das beudeutet, dass es mehrere Hundert Porzent mehr geworden sind als im Vorjahr und das ist ein riesen Anstieg an Verfahren, der uns an unsere Grenzen bringt."

Andrea Breit Gerichtspräsidentin am Verwaltungsgericht München

Jedes Urteil kostet rund 1.000 Euro

Auch hier im Münchner Verwaltungsgericht werden die Verhandlungen überwiegend pro Flüchtling entschieden, so Breit. Dazu kommt: Verlorene Prozesse sind für das BAMF teuer. Sie kosten jeweils um die 1.000 Euro, die der Steuerzahler übernehmen muss. Das heißt aber auch: Die getroffenen Entscheidungen des BAMF sind zu einem großen Teil rechtswidrig. Für Rechtsanwalt Hubert Heinhold ist klar, was zu tun wäre:

"Das Bundesamt wäre verpflichtet, aus prozessökonomischen Gründen aber auch aus menschenrechtlichen Gründen nachzugeben und zu sagen: Wir geben wieder den Flüchtlingsstatus, so wie wir es in der Vergangenheit getan haben. Denn im letzten Jahr hat sich die Lage in Syrien nicht gebessert sondern verschlechtert."

Rechtsanwalt Hubert Heinhold

Stellungnahme des BAMF

Das BAMF sieht bisher keinen Anlass seine Praxis zu ändern. Schriftlich teilt es dem Bayerischen Rundfunk mit: "Subsidiären Schutz erhält, bei wem der Schutzgrund allein in der Bürgerkriegssituation in seinem Land liegt und bei wem kein Verfolgungsschicksal vorliegt bzw. bei Rückkehr zu befürchten ist. Aus den Erfahrungen unserer Entscheider ist dies zunehmend der Fall."

Grundsatzentscheidung in der höheren Instanz

Zurück bei Rami Othman und seinem Anwalt. Die Verhandlung ist vorbei. Die Chancen, dass sie gewinnen, stehen laut Rechtsanwalt Heinhold 50 zu 50. Wie die Gerichte in Bayern künftig entscheiden, hängt auch vom Verwaltungsgerichtshof in München eine Instanz höher ab. Der könnte für diese Klagen eine einheitliche Richtung vorgeben. In Schleswig-Holstein hat das Oberverwaltungsgericht Schleswig im Fall einer Syrerin vor einigen Tagen im Sinne des BAMF entschieden: dass es rechtmäßig ist, ihr nur subsidiären Schutz zu gewähren. Für Bayern ist dieses Urteil aber nicht bindend.







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Birkhahn, Montag, 28.November 2016, 09:21 Uhr

5. Wir klagen!

Wir klagen gegen das Gastland welches uns ernährt, kleidet, bildet und auch die Kosten für das Gericht und den Anwalt übernimmt.

Von Afganistan nach Absurdistan!

  • Antwort von RobertH, Montag, 28.November, 09:46 Uhr anzeigen

  • Antwort von BR-Fan, Montag, 28.November, 10:43 Uhr anzeigen

  • Antwort von RobertH, Montag, 28.November, 11:34 Uhr anzeigen

BR-Fan, Montag, 28.November 2016, 09:15 Uhr

4. Neue Geschäftsidee?

Ist das nicht eher eine neue Geschäftsidee für hiesige

a) findige Rechtsanwälte oder

b) windige Rechtsanwälte?

Elvira, Montag, 28.November 2016, 09:04 Uhr

3. Was für ein Eindruck

Welchen Eindruck bekommen unsere Gäste eigentlich von einem Staat der Flüchtlinge/Migranten aufnimmt und diese sich einfach einklagen können?

Verheerend ist das. Man kann nur hoffen das die nächsten Instanzen mehr bei Verstand sind.

Elisabeth, Montag, 28.November 2016, 08:47 Uhr

2.

Ich dachte, wer nicht individuell verfolgt wird, also kein politischer Dissident ist, bekommt kein Asyl sondern eben nur den (eingeschraenkten, zeitlich befristeten) subsidaeren Schutz.

  • Antwort von Manfred, Montag, 28.November, 09:48 Uhr anzeigen

Bayer, Montag, 28.November 2016, 08:16 Uhr

1.

Offenbar haben sich diese Flüchtlinge schon gut integriert. - "Klagen" ist doch eigentlich ein deutscher Volkssport.
;-)

  • Antwort von Testballon, Montag, 28.November, 08:52 Uhr anzeigen