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Lehrerverband BLLV Die erste Frau an der Spitze

Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) hat in Augsburg Simone Fleischmann zur neuen Präsidentin gewählt. Erstmals in seiner gut 150-jährigen Geschichte wird der 60.000-Mitglieder-Verband von einer Frau geführt.

Von: Gerhard Brack

Stand: 15.05.2015 | Archiv

Die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes, Simone Fleischmann | Bild: BR

Für das Amt des bisherigen Präsidenten Klaus Wenzel gab es nur eine Kandidatin: Simone Fleischmann, Rektorin einer Grund- und Mittelschule im oberbayerischen Poing. Bei der Delegiertenversammlung in Augsburg erhielt sie 470 von 530 gültigen Stimmen. Das entspricht einer Zustimmung von 88,7 Prozent.

Als Frau von der Basis will sie auch künftig für bessere Bildung in Bayern kämpfen und den Finger in die Wunden legen. Sie wolle aufzeigen, "wo in unseren Schulen Lehrerinnen und Lehrer Arbeitsbedingungen vorfinden, die sie nicht glücklich machen, und wo Kinder erleben, dass Schule sie nicht voranbringt, missmutig macht oder gar krank macht", gibt sich Fleischmann vor der Wahl kämpferisch.

"Mehr Zeit für Schüler"

Mehr als 550 Lehrerinnen und Lehrer diskutieren in Augsburg über Lösungen für Bildungsfragen. Die Delegierten der 60.000 Verbandsmitglieder wollen Bürokratie und Prüfungsdruck abbauen sowie die Arbeitsbedingungen an den Schulen verbessern. Insbesondere sollen die Lehrer mehr Zeit bekommen, sich den einzelnen Schülern besser widmen zu können. So lautet auch das Herzensanliegen von Simone Fleischmann.

"Ich bin ja sicher, dass ich so bleiben will, wie ich bin im Sinne hoher Transparenz, hoher Kommunikations- und Konfliktfähigkeit. Ich will möglichst viele Menschen mitnehmen, möglichst viel in Dialoge gehen, dazu kommt hoffentlich auch die Erfahrung und die Kompetenz, die ich einbringen kann – unabhängig vom Geschlecht."

Simone Fleischmann

Simone Fleischmann ist die erste Präsidentin an der Spitze des BLLV in der mittlerweile 154-jährigen Geschichte des Verbands – und das, obwohl rund 80 Prozent der Mitglieder Frauen sind. Bereits Simone Fleischmanns Vater war Lehrer. Schon als kleines Mädchen saß sie lieber bei ihm mit in der Klasse, als nebenan in den Kindergarten zu gehen.

Klaus Wenzel im Thema des Tages auf B5aktuell zu:

Mittelstufe Plus

"Ich glaube nicht, dass sich inhaltlich, didaktisch, methodisch etwas ändert. Ich befürchte, wir werden den Status von 2002 wieder bekommen, als wir das G9 hatten. Aber an der Art und Weise wie gelernt wird im Gymnasium, was gelernt wird, welche Prüfungs- und Feedbackkultur wir einführen, daran wird sich durch diese Mittelstufe Plus nichts ändern. Darum bin ich hier nicht sehr euphorisch, dass wir dadurch ein modernes Gymnasium bekommen werden."

Diskussion um G8/G9

"Was wir brauchen, sind grundlegende inhaltliche Diskussionen: Es geht nicht nur darum, wie lange die Kinder und Jugendlichen lernen sollen, sondern was sie lernen müssen und wie sie lernen dürfen."

Mittelschule

"Die Mittelschule hieß früher Hauptschule. Ich glaube, dass diese Namensänderung nicht genug war. Man müsste diese Schulart intensiv unterstützen, weil sie eine besondere Schulart ist. Ich war selbst 35 Jahre Hauptschullehrer. Wir weisen niemanden ab, wir nehmen alle Schüler, die kommen. Dadurch haben wir eine sehr heterogene Gruppe, relativ viele Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund, relativ viele aus problematischen, sozialen Milieus. Wir nehmen die gerne auf. Um denen gerecht zu werden, brauchen wir aber drei Dinge: 1. Lehrer, 2. Lehrer, 3. Lehrer."

Bildungspolitik

"Ich habe die ganz große Befürchtung, dass im Bayerischen Landtag zu wenige Politiker sitzen, die wirklich wissen, wie menschliches Lernen funktioniert, was Bildung bedeutet, und was wir bräuchten, um moderne Lernprozesse zu organisieren und mit Kindern gemeinsam  erfahren, wie interessant und spannend lernen sein kann."

"Kein Kind darf aufgegeben werden"

Jahrelang war Simone Fleischmann im Vorstand des BLLV und leitete die Abteilung Berufswissenschaft. Seit 1992 engagierte sie sich zudem im Landesverband Bayerischer Schulpsychologen. Denn für das Hauptfach Schulpsychologie hat sie sich im Studium sehr bewusst entschieden.

"Wenn es nicht rund läuft, kannst Du Dich mit Lehrern, Eltern und Kindern zusammentun und überlegen, an was es liegt."

Simone Fleischmann, Kandidatin für die BLLV-Präsidentschaft

Kein Kind darf aufgegeben werden: Dieses Diktum nimmt Simone Fleischmann sehr ernst. Das gilt für Kinder mit Legasthenie oder Dyskalkulie genauso wie für Kinder mit ADHS-Syndrom oder für Hochbegabte. Lehrer wollen den Kindern helfen, aber sie brauchen dabei mehr Unterstützung, zum Beispiel durch mehr Personal. In einer Mittelschulklasse der 8. Jahrgangsstufe mit 18 Schülern beispielsweise, in der nur zwei Kinder gut deutsch sprechen und drei oder vier kriminelle Karrieren betreut werden müssen, wo sich Kinder nicht mehr an Grenzen halten können und andere Kinder aufgrund ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit her an ihre Grenzen stoßen, da könne ein Lehrer alleine keine Bildungsangebote mehr machen. Zumindest in solchen Fällen müsse modellhaft und in einzelnen Regionen überlegt werden, ob nicht eine zweite Lehrkraft in der Klasse sich rentiere, so Fleischmann.

Dem Ministerium auch mal auf die Füße treten

Dass sie mit solchen Forderungen im Kultusministerium nicht überall offene Türen einrennt, ist klar. Klar ist aber auch: Was an den Schulen an Problemen ungelöst bleibt, dafür muss die Gesellschaft anderswo bezahlen. Simone Fleischmann will, dass Lehrer mehr Freiraum bekommen, um Schüler individuell zu fördern. Allerdings stoße man hier schnell an seine Grenzen. Man müsse "differenzieren, motivieren und versuchen zu individualisieren". Das gehe jedoch "nicht in dem Maße, wie es die Kinder verdient haben".

"Wir haben hier andere Rohstoffe nicht so schnell zu finden, aber wir finden die Rohstoffe in den Hirnen der Kinder."

Simone Fleischmann, Kandidatin für die BLLV-Präsidentschaft

Lernbedingungen der Schüler verbessern

Der nach acht Jahren abtretende BLLV-Präsident Klaus Wenzel stärkt Simone Fleischmann den Rücken. Er macht kein Hehl daraus, dass sie seine Wunschkandidatin war und sagt, er sei fasziniert von ihrer sachlichen, sozialen und kommunikativen Kompetenz. Wenzel kam wie Fleischmann aus der Praxis und war elf Jahre lang Klassenleiter einer Hauptschule, anschließend 23 Jahre in der Lehrerbildung tätig. Er unternahm in seiner Ägide als BLLV-Präsident viel, um die Lernbedingungen der Schülerinnen und Schüler zu verbessern. Die Forschungsergebnisse der Lernpsychologie müssten endlich Eingang finden in die Schulpolitik, verlangt Wenzel.

"Was ist gut gelungen, warum ist es gut gelungen, kann ich Dir helfen? Das wird bei den meisten Lernprozessen vergessen. Also nicht dieses AABV-Lernen: Auswendiglernen, Abfragen, Benoten, Vergessen. Die Kindheit und die Jugendzeit sind zu schade dafür, sie mit AABV-Lernen zu verplempern!"

Klaus Wenzel, Scheidender BLLV-Präsident

Klage über mangelnde Expertise

Gegenüber dem Bayerischen Rundfunk kritisiert Wenzel die mangelnde Reformbereitschaft bayerischer Politiker in Bildungsfragen. Er habe den Eindruck, dass in den Parlamenten zu wenige Politikerinnen und Politiker säßen, die die Befunde der Lernpsychologie und der Entwicklungspsychologie der letzten Jahre zur Kenntnis genommen hätten. Er wünsche sich mehr Expertise der Politiker, damit diese auch wissen, wofür sie die Hand heben.

"Wenn die sagen: 'Wir sind weiterhin für die Verteilung von Kindern nach der 4. Klasse', dann machen sie das halt, weil das der Fraktionsvorsitzende sagt, weil das immer schon so war oder weil sie sich das gar nicht anders vorstellen können."

Klaus Wenzel, Scheidender BLLV-Präsident

Außerdem greife die Politik wichtige Reformen in der Bildungspolitik oft nicht an, weil Reformen vielleicht 15 Jahre lang dauern. Die Politik aber denke oft nur in Zeiträumen von vier oder fünf Jahren. Trotzdem sei er nicht enttäuscht. Denn der BLLV habe im Laufe der Jahre viel erreicht: Kleinere Klassen, mehr Lehrer, bessere Karrieremöglichkeiten für Lehrer, die Einführung von 10. Klassen an Hauptschulen,1986 die Einführung von mobilen Reserven oder kürzlich die Einführung von Lernentwicklungsgesprächen. Oft brauche man eben einen jahrzehntelangen Atem in der Bildungspolitik. So habe der BLLV schon im Jahr 1863 gefordert, allen angehenden Lehrern eine Ausbildung an der Universität zu ermöglichen, was aber erst mit dem Lehrerbildungsgesetz im Jahr 1978 umgesetzt worden sei. Der BLLV sei hartnäckig und konsequent über sehr lange Zeiträume. Für vieles, "was heute selbstverständlich ist", merkt Wenzel nicht ohne Stolz an, habe der BLLV erst jahrzehntelang kämpfen müssen.


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Kommentieren

Franz Josef Neffe, Freitag, 15.Mai 2015, 20:18 Uhr

8. ES bildet sich - Bildung ist ein Lebensprozess

Bildung ist ein Lebensprozess.
Das kann man von Unterricht nie sagen.
Vielleicht schafft es die neue BLLV-Präsidentin, den Unfug des Unterrichtens zu beenden und wirkliches LEHREN & LERNEN = Fährten des Lebens folgen zu ermöglichen?
Dann könnten unsere Lehrplanvollzugsanstalten endlich einmal das werden, was das Wort SCHULE bedeutet: ein Ort, wo man zu sich selbst kommen und als Persönlichkeit wachsen darf.
Die neue Ich-kann-Schule bezeugt mit vielen praktischen Beispielen, dass dies möglich ist und konkretes Wachstum ermöglicht.
Ich geb es ihr wie ihren Vorgängern mit auf den Weg.
Franz Josef Neffe

  • Antwort von Ignaz, Samstag, 16.Mai, 08:43 Uhr

    @Völliger Blödsinn. Lernen hat mit Persönlichkeitsbildung nichts zu tun. Lernen heißt "den Kopf anstrengen". Ein Fußballer, der auf das Lauftraining verzichtet, weil es ihm zu stupide ist, wird nie ein guter Fußballer. Bildung ist ein Lernprozess, der A N S T R E N G U N G erfordert.

Barbara, Freitag, 15.Mai 2015, 19:22 Uhr

7. Wenn sich die "Sauberkeit" einer Lehrerin danach bemißt,

ob sie sich mit Waschbecken und Seife ins Bild setzen läßt, dann muß man sich fragen, wie die seelische Erziehung ausschaut! Waschbecken und Seife machen noch keinen Lehrer! Zur seelischen Reinheit und Herzensbildung gehört viel mehr dazu!

Barbara, Freitag, 15.Mai 2015, 19:11 Uhr

6. Wären die Lehrer nicht verbeamtet,

dann wäre sowohl der Bay. Lehrer- und Lehrerinnen-Verband (BLLV) als auch der Bay. Philologenverband (BPV) überflüssig.

P. Deschler, Freitag, 15.Mai 2015, 16:21 Uhr

5. Gymnasiallehrer

Ich möchte anmerken, dass ich etwas zur Qualität der Berichterstattung sagen möchte.
Der überwältigende Großteil der Lehrerschaft an bayerischen Gymnasien fühlt sich gerade nicht vom BLLV vertreten. Daher halte ich es für ziemlich abwegig, die Lage so darzustellen, als wäre Herr Wenzel in dieser Hinsich DER Ansprechpartner. Während sich die Gymnasiallehrer größtenteils im bpv wiederfinden, vertritt der BLLV in erster Linie Grund- und Mittelschullehrer. Mit dieser Backgroundinfo kann man Herrn Wenzels Aussagen auch besser einordnen.

  • Antwort von Tatta, Samstag, 16.Mai, 08:43 Uhr

    Linker Blödsinn aus der Mottenkiste. Ich gebe Ihnen ganz recht.

J. Hiermer, Freitag, 15.Mai 2015, 12:14 Uhr

4. Klaus Wenzel über das G8

Als Gymnasiallehrer ärgert es mich immer wieder, dass der BLLV-Präsident in den Medien als Experte für das Gymnasium und als Vertreter der gesamten Lehrerschaft zitiert wird. Klaus Wenzel ist Grundschulpädagoge, der BLLV der Verband der Grund- Mittel- und Realschullehrer. Die Vertretung der Gymnasiallehrer ist der BPV. Wenzel betont immer wieder die Überforderung der Gymnasiasten durch den angeblich zu vollen Lehrplan etc..., vergisst dabei aber wohlweislich zu erwähnen, dass eine große Zahl an Schülern aus der Grundschule übertritt, die nicht flüssig lesen kann, Rechtschreibung und Grundrechenarten nicht beherrscht, keinen Hefteintrag sauber und übersichtlich gestalten kann, da sie nur Arbeitshefte und Arbeitsblätter kennt, etc... Man sollte Kritik und Verbesserungsvorschläge den Lehrern überlassen, die täglich mit dem G8 arbeiten, der BPV-Präsident äußert sich ja auch nicht zu den Mängeln der Grundschullehrpläne und wie diese umgesetzt werden. Aber das hat wohl etwas mit Stil zu tun.