Bob Dylan - Nobelpreisträger für Literatur und Gitarre "Bücher lesen ist hart"
Selten löste ein Literatur-Nobelpreis so emotionale Reaktionen aus. "Ein Schock" - "ein Witz" - "Wer, wenn nicht er?" Nur einem geht das Thema offenbar am Allerwertesten vorbei.

Rund 20 Jahre lang wurde Bob Dylan (75) mit schöner Regelmäßigkeit für den Nobelpreis vorgeschlagen - und ging stets leer aus. Zu gewagt erschien es der Jury wohl, einem Musiker die höchste Literaturauszeichnung der Welt zuzuerkennen. Nun hat sie sich getraut, die favorisierten Romanautoren und Dramatiker haben das Nachsehen. Bob Dylan wird für seine "poetischen Neuschöpfungen in der großen amerikanischen Song-Tradition" geehrt.
Dylan schreibe, um mit seinen Werken aufzutreten, erklärte die Chef-Jurorin Sara Danius. Nichts anderes habe der Dichter Homer vor einigen Jahrtausenden auch getan. Die klassische Herleitung kommt nicht von ungefähr: Der Philologe und Dylan-Biograf Heinrich Detering hat schon vor Jahren Dylan-Zitate mit Passagen von Ovid verglichen und überraschende Übereinstimmungen gefunden. Für Detering kommt die Ehrung genau zur richtigen Zeit - "weil es scheint, als hätte Dylan sein facettenreiches Werk im Wesentlichen abgeschlossen." Das sehen nicht alle so.
"Dylan ist eine Ikone. Sein Einfluss auf die zeitgenössische Musik ist groß."
Aus der Begründung der Schwedischen Akademie
"Ich verstehe die Jury. Bücher lesen ist hart."
Dylans 'Schriftstellerkollege' Gary Shteyngart auf Twitter
Literaturnobelpreis für Bob Dylan - Reaktionen von Springsteen bis Rushdie
US-Präsident Barack Obama
Bruce Springsteen
Gary Shteyngart, Schriftsteller
Sibylle Berg
Salman Rushdie
Heinrich Detering
Frank Walter Steinmeier
Monika Grütters
Irvine Welsh
Mircea Cartarescu
Sigrid Löffler
Denis Scheck
Hannes Wader
Heinz Rudolf Kunze
Die Linke
KathNet
Auffällig: Während die meisten Musikerkollegen Dylans auf die Ehrung wohlwollend bis euphorisch reagieren, ist das Echo unter den Buchautoren und im Feuilleton deutlich vielstimmiger. Ein "Späßchen" der Jury (Denis Scheck) - oder eine zukunftsweisende Entscheidung, die geeignet ist, das Gefälle zwischen Hoch- und Popkultur einzuebnen?
"Ich hoffe, daß ernsthafte Texter wie Leonard Cohen auch als Schriftsteller ernst genommen werden. Sie sind Schriftsteller. Es gibt diesen künstlichen Snobismus, was Literatur ist und was nicht. Ich hoffe, daß die Entscheidung diese Barrieren generell einreißt."
Anna North in der New York Times
Und Dylan selbst?
Singt, aber sagt nichts. Wenige Stunden, nachdem die Jury ihre Entscheidung bekannt gegeben hat, gibt Dylan ein Konzert in Las Vegas. 70 Minuten Klassiker, jubelnde Fans, nur am Anfang des Konzerts exakt zwei gesprochene Worte des Meisters. Rufe aus dem Auditorium - "Nobel Laureate!" (Nobelpreisträger!) - überhört der Sänger. Erst sehr viel äußert "silent Bob" halbwegs Offizielles.
"Hello Las Vegas"
Bob Dylan am Abend der Jury-Entscheidung in der Konzerthalle eines Casinos
Alles fließt: "His Bobness" im Porträt
Ist der Nobelpreis ein Schlüsselmoment in Bob Dylans Leben? Eher nicht. Jedenfalls nicht so einer wie damals auf der 1978er-Tournee.
Irgendjemand - so die Legende, vielleicht einer der 70.000 Fans auf dem Zeppelinfeld in Nürnberg - habe dem Sänger ein silbernes Kreuz auf die Bühne geworfen und ihn damit ins Herz getroffen. Ein Jahr später verblüffte Dylan seine Fans, indem er als wiedergeborener Christ der "Vineyard Fellowship" auf die Bühne kam und Gospels anstimmte. Es sind diese Motive, die immer wieder auftauchen, wenn von Dylan, dem Erzähler erzählt wird: auf Tour, mysteriöses Erweckungserlebnis, ungewohnte Klänge, irritierte Fans.
Bob, der unterwegs ist und in voller Fahrt den Kurs ändert. Vielleicht ist das der Grund, weshalb Dylan so beneidenswert treue Fans hat: Die anderen hat er längst abgeschüttelt.
Zum 70. Geburtstag des Künstlers vor fünf Jahren baten wir Dylanologen und BR.de-Leser, uns ihre Erfahrungen mit Bob Dylan zu schreiben. Eine Auswahl lesen Sie hier. Darunter die Gratulationen von Wolfgang Niedecken, Sven Regener und Georg Ringsgwandl zu Dylans 75.
Fanpost: "Ich und Bob Dylan"
Klaus Hornischer kennt Bob aus dem Gemeindehaus
"1966, Partytime im evangelischen Gemeindehaus Mittenwald von 19 bis 21.45 Uhr (um zehn daheim!). Einer hatte diese Dylan-LP dabei, "Bringing it all back home", und meinte, wir sollten mal zuhören. "She belongs to me", ein Liebeslied, wie ich es noch nie gehört hatte. "Tambourine Man" kannte ich von den Byrds, aber so intensiv wie Dylan das gebracht hat ... Irgendwie war ich in einer anderen, neuen Welt. Zum Glück hatte das örtliche Plattengeschäft zwei (!) Dylan-Platten. Mittlerweile habe ich auch die anderen, über 3.000 Bootlegs und mindestens 30 Konzerte gesehen. Das Tolle: Wenn man "Like a Rolling Stone" in verschiedenen Studioversionen hört und dann live 1978, 1984, 1999 ... ist das jedesmal ein neuer Song. "
Klaus Hornischer ist Vollblut-Dylanfan und hat längst im Gefühl, warum Dylan in München anders klingt als Tage zuvor in Ischgl.
Nicole Hornischer ist "forever young"
Ulli Wenger hat mit Jammerlappen-Bob gefrühstückt
Knut Wenzel schätzt den Augenkontakt
Andres Janser schaut Dylan gern beim Schweigen zu
Herbert Hauke hütet einen Liebesbrief
Nick Petzold kennt auch Leute, die Dylan nicht so mögen
Gabi Stauffers Lohn der Geduld
Henry Bauers Dylan-Prägung
Erik Strietzel lässt sich inspirieren
Geburt eines Superstars: Bob trifft Woody
Sein erstes Erweckungserlebnis hat der 18-jährige Robert Allen Zimmermann, Elektrohändlerssohn aus Minnesota, in einem Sanatorium in New York. Er kann Klavier, Gitarre und Mundharmonika spielen, hat Dylan Thomas und Jack Kerouacs "On the road" gelesen und ist selbst ein bisschen im Land unterwegs gewesen. Darüber will er jetzt in den Clubs von Greenwich Village singen, am Anfang - so machte man das damals - mit den Worten anderer.
Also besucht Bob den Folk-Großmeister Woody Guthrie, der an einer Nervenkrankheit dahinsiecht, singt ihm dessen alte Songs vor, holt sich Rat und eine Erkältung. Woody Guthrie verrät Bob Dylan, dass in seinem Keller noch Kisten voller Songs lagern. Den Weg zu Woodys Haus schildert Dylan so: Mit der U-Bahn sei er zur Endstation Brooklyn gefahren ...
"Auf der anderen Seite eines Feldes sah ich eine Häuserzeile, wie Woody sie beschrieben hatte, und ging darauf zu und merkte, dass ich geradewegs in einen Sumpf geriet. Ich versank bis zu den Knien im Wasser, ging aber trotzdem weiter - ich konnte die Lichter vor mir sehen und ein anderer Weg war nicht zu erkennen. Als ich den Sumpf am anderen Ende wieder verließ, waren meine Hosenbeine von den Knien abwärts durchweicht und steifgefroren und meine Füße fast taub, aber ich fand das Haus und klopfte an die Tür."
Bob Dylan: Chronicles Vol. 1. Hoffmann und Campe 2004, S. 105
Leider ist nur das Kindermädchen da und schickt Dylan unverrichteter Dinge nach Hause.
Bob Dylan: Pilger mit nassen Socken, Messias mit Maske ...
Bob mit Schlamm zwischen den Zehen: War das so? Oder steht der Sumpf für die Urgründe amerikanischer Folkmythen, die Dylan hinfort teilt wie Moses das Rote Meer? Vielleicht gar für Muddy Waters, jenen Bluesgott, aus dessen "Rollin' Stone" Dylan den Titel eines anderen Songs schnitzt, den ein US-Fachmagazin gleichen Namens 2004 zum wichtigsten Song der Popgeschichte kürt - übrigens knapp vor den Rolling Stones?
Was wir wissen: 1960 ist aus Robert Zimmermann ein Folksänger geworden, drei Alben später aus Bob Dylan ein Weltstar, den die Friedensbewegung zu ihrer Stimme macht. Dylan aber taugt nicht zur Gallionsfigur, er will Schiff sein und den Kurs selbst bestimmen - notfalls unter falscher Flagge.
Über seine Herkunft erzählt er jedem, der es hören will, etwas anderes. Er nutzt Pseudonyme wie Blind Boy Grunt und Robert Milkwood Thomas, und in der Philharmonic Hall überrascht er das Publikum an einem Oktoberabend des Jahres 1964 mit der Mitteilung "Es ist Halloween und ich habe meine Bob-Dylan-Maske auf". Seine Texte sind oft biblisch, zunehmend kryptisch, manchmal obszön.
... und Judas unter Strom
1965 schockiert er die konservative Folk-Gemeinde, als er sich mit E-Gitarre auf die Bühne stellt und seine Songs rockt, was ihm wüste Beschimpfungen ("Judas!") einträgt - und der Rockgeschichte in Folge einige ihrer besten Momente.
Klassiker sind neben den großen Alben der Zeit auch jene Songs, die der Familienvater als Kellerkumpelprojekt "The Band" unter Ausschluss der Öffentlichkeit einspielt und die tausendfach als Bootlegs - illegale Live-Mitschnitte - kursieren, bevor sie ab 1975 als "Basement Tapes" erscheinen.
In den 70ern fasert das Werk ein bisschen aus, Mittelmaß wechselt mit Meilensteinen wie "Blood on the Tracks", große Tourneen mit Drogen- und Scheidungskummer. Die Liebe Dylans zum Country teilen viele Fans. Ärger gibt es, als er zum Christentum konvertiert und mit "Slow Train Coming" 1979 ein kraftvolles Soul-Album einspielt, über das Dylanologen sich nach dem dritten Bier noch immer in die Haare kriegen.
Tour ohne Ende, Deutungen ohne Zahl
Dem Meister ist das egal. Er ist seit 1988 auf "Never Ending Tour" und seit der Jahrtausendwende so unantastbar wie alle Künstler, die über Jahrzehnte Gipfel erklommen und Täler durchschritten haben. Irritieren könnte nur, mit welcher Konstanz Dylan in den vergangenen Jahren einen geradezu wertkonservativen Sound gepflegt hat. 2009 interpretiert Dylan Weihnachtslieder, 2015 Sinatra-Klassiker, auf Tour singt er immer öfter, was er früher stets ablehnte: das, was die Fans erwarten.
Dennoch rumort es weiter um Bob: Bei jeder neuen Platte, an seinen Geburtstagen oder wenn das neue Buch eines Dylanologen erscheint. Manchmal erntet Dylan Protest: 2011 etwa wegen der protestsongfreien Playlist seiner China-Konzerte, die er vor finanzkräftigen Publikum absolvierte. In seinem Blog antwortet Dylan den Kritikern, es habe keine Zensur gegeben, Restkarten seien an Waisenhäuser verschenkt worden, und im Übrigen solle jeder, der ihn kenne, ein Buch über ihn schreiben - wer weiß, was da noch schlummere.
Jetzt hat er, dessen Leidenschaft nie das Schreiben von Büchern, sondern von Songs war, den Literaturnobelpreis bekommen, für den er so lange im Gespräch war, dass kaum jemand mehr daran glaubte. Don't think twice, it's alright.
Kommentieren
johannes ost, Donnerstag, 13.Oktober 2016, 22:22 Uhr
10. Nobelpreis nur für Texte
Dylan kann den Preis nur für seine Texte und die Botschaft, die er rübergebracht hat, bekommen haben. Stimme und Gitarrenspiel sind auf deutsch gesagt "schrumm schrumm". Trotzdem finde ich ihn irgendwie sympathisch.
Gumbrecht Richard, Donnerstag, 13.Oktober 2016, 21:11 Uhr
9. Literaturpreis für Bob Dylan
Mit Erstaunen hörte ich dass der Literaturpreis an den Musiker Bob Dylan vergeben wird. Was hat dies mit Literatur zu tun? Sollte ein solcher Preis nicht an einen verdienten Literatisten vergeben werden. Nach meinem Verständnis tut man sich hierbei keinen Gefallen. Was denken sich die wirklich verdienten Literaturschreibenden und die internationale Presse?
Vielen Dank für Ihre Rückantwort
Mit den besten Grüßen
Richard Gumbrecht
Antwort von Steffen, Sonntag, 16.Oktober, 12:49 Uhr anzeigen
Was ist denn ein Literatist? Und was ist verdient?
Heike, Donnerstag, 13.Oktober 2016, 18:51 Uhr
8. Kommentar 2
Meine Mail von vorhin war natürlich als Kommentar zum 2. Statement gedacht. - Grüße Heike aus Muc.
Stan, Donnerstag, 13.Oktober 2016, 18:48 Uhr
7. the times they are-a-changing
Musik und Lyrik inspirieren einander schon seit Beginn der Aufzeichnungen. Richard Wagner als Texter & Musiker sowie manche Opern-Librettisten haben Meisterwerke abgeliefert.
Bob Dylan hat den Nobelpreis verdient. Vielleicht eine Weichenstellung, wenn Musiker auch als Liedtexter ins Visier kommen. Dann dürfen auch Pete Sinfield (King Crimson), John Lennon, David Crosby oder Wolf Biermann in Betracht gezogen werden.
Weiherer, Donnerstag, 13.Oktober 2016, 18:48 Uhr
6.
Ja, jetzt gehen ihnen die Kandidaten aus. Krächzende Stimme, wie schon ein Vorredner bemerkte, Melodien geklaut usw....
Ja, da war die Jury ganz schön (über) gefordert.....
Antwort von Wolf, Donnerstag, 13.Oktober, 19:32 Uhr anzeigen
Es wurde ja schließlich seine Lyrik geehrt,nicht seine schönen Augen oder sonstiges.
Antwort von Truderinger, Donnerstag, 13.Oktober, 19:46 Uhr anzeigen
Hauptsache was zum Meckern! Falls es Ihnen entgangen ist - es ging weder um den Stimmennobelpreis noch um den Melodiennobelpreis.
Antwort von moritzberger, Freitag, 14.Oktober, 00:15 Uhr anzeigen
will ja nicht auf 'ner Meinung rumhacken -- aber mal Hand auf's Herz wer hat sich schon die Arbeit gemacht und die Texte wirklich übersetzt (wenigstens einige)? Die einzige Gesamtübersetzung in's Deutsche ist ja wohl im Moment vergriffen - und ich hab nur son paar Standards geschafft - aber die waren bzw. sind gut. Wann wird schon mal über Literaturnobelpreis nicht nur in Akademikerkreisen diskutiert? Also triffts vielleicht ja doch!