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Hidschab, Nikab, Burka Religiöses Gebot oder Populismus?

Die Innenminister der Union diskutieren ab heute über Asylpolitik und innere Sicherheit. Während schon vorab die Debatte um ein Burkaverbot wieder hochgekocht ist, erreichen uns ganz unterschiedliche Bilder aus dem Rest der Welt.

Von: Veronika Wawatschek

Stand: 18.08.2016

Verschleierte Frauen in München | Bild: picture-alliance/dpa/Frank Leonhardt

Etwa aus Rio, vom Beach-Volleyball-Spiel Deutschland gegen Ägypten in der vergangenen Woche, das die Bildzeitung titeln ließ: "Die Halbnackten gegen die Eingepackten". Denn die ägyptische Spielerin Doaa Elghobashy trug zusätzlich zu langer Sportkleidung ein Kopftuch.

Ganz anders dagegen die Bilder aus dem syrischen Manbidsch diese Woche: Hier haben Frauen ihre Gesichtsschleier verbrannt – aus Freude darüber, dass die Unterdrückung durch die Terrororganisation IS nun ein Ende hat.

Symbol der Unterdrückung oder Scheindebatte?

Syrische Stadt Manbidsch nach Abzug des IS

Solche Bilder befeuern hierzulande die Debatte über Kopftuch und Co. Die einen sehen in der muslimischen Verschleierung ein Symbol der Unterdrückung von Frauen.

Für die anderen ist die Diskussion darüber nur eine populistische Scheindebatte, die ablenken soll von der allgemeinen Diskussion um die innere Sicherheit. Völlig in den Hintergrund gerät dabei, was Musliminnen selbst sagen über Hidschab, Nikab und Burka und was im Koran dazu steht.

Beispiel: Esra aus Moosburg

Esra ist im oberbayerischen Moosburg aufgewachsen. Bis vor eineinhalb Jahren hätte man der 28-Jährigen ihren Glauben nicht angesehen. Sie war geschminkt, trug enge Jeans und tief ausgeschnittene T-Shirts. Mit einer Pilgerfahrt nach Mekka kam die Wende. Seither trägt sie Hidschab, ein einfaches Kopftuch und – wenn sie in die Moschee geht – auch Abaya, einen langen Mantel – weil Allah es so will, wie die junge Frau sagt.

"Ich wollte immer schon Kopftuch tragen. Irgendwie war der Wunsch immer schon innerlich vorhanden. Es hat mir immer wehgetan, dass ich als Muslima ohne Kopftuch herumlaufe."

Esra

Ihren vollen Namen will die 28-Jährige nicht im Radio hören oder in einem Artikel lesen. Zu oft sei sie schon wegen ihres Glaubens diskriminiert worden.

Mit Kopftuch und Jilbab durch Berlin

Ganz anders dagegen Yussra Tolba, die 19-jährige Berlinerin trägt immer Kopftuch und Jilbab, also ein langen, weiten Mantel über ihrer Kleidung, und sie geht damit ganz selbstbewusst um.

"Ich denk mal, das gibt mir ein Privileg gegenüber den männlichen Kollegen im Islam. Ich kann mich mit dem Kopftuch einfach identifizieren, und ich werde dann auch viel öfter angesprochen."

Yussra

Verschleierungspflicht steht nicht im Koran

Yussra Tolba sieht ihre Kleidung als Zeugnis ihres Glaubens. Erdogan Aydeniz kann das als Argument für Verschleierung nicht nachvollziehen. Der 43-Jährige ist ehrenamtlicher Sprecher der türkischen Ditib-Moschee in Moosburg. Er versteht das koranische Gebot, sich zu bedecken, nicht als Aufforderung zur Vollverschleierung, sondern eher im übertragenen Sinn.

"Man sollte als Frau nicht auffallen. Wenn du jetzt in die Stadt gehst, so wie du 'normal' angezogen bist und daneben eine Frau, die vollverschleiert geht, was meinst du: Wer fällt mehr auf in Deutschland?"

Erdogan Aydeniz

"Sittsame Bekleidung"

Ähnlich sieht es auch die Islamwissenschaftlerin Christine Leuchtenmüller von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Hessen. Eine eindeutige Aufforderung zur Verschleierung sucht man im Koran ihren Worten zufolge vergebens. In Sure 24 und Sure 33 sei die Rede von "sittsamer Bekleidung" und sittsamen Verhalten und zwar für Frauen UND Männer.

"Wie diese Verhüllung im einzelnen auszusehen hat, das geht daraus nicht hervor, man nimmt aber an, dass es ein offenes weites Umschlagtuch ist. Explizit erwähnt wird nicht, dass es um eine Verhüllung des Gesichts geht, und es ist auch nicht das altislamische Wort für Gesichtsschleier verwendet worden."

Christine Leuchtenmüller

Auch deshalb unterscheidet sich die Verschleierung von Land zu Land – die hellblaue Burka, die den Körper vom Haaransatz bis zu den Zehen verhüllt und sogar die Augen hinter einem Gitter verbirgt, ist vor allem in Afghanistan zu finden. Verwechselt wird sie oft mit dem dunklen Nikab, der nur die Augen freilässt und vor allem in Saudi-Arabien getragen wird. Im Iran ist dagegen der schwarze Tschador verbreitet, der allein das Gesicht freilässt.

Das Kopftuch für die Oberschicht

Noch ein Aspekt ist der Islamwissenschaftlerin wichtig:

"Im Prinzip war es im frühen Islam so, dass das Kopftuch eher Frauen aus einer höheren Schicht vorbehalten war , also eigentlich für die städtische Gesellschaft."

Christine Leuchtenmüller

Vergleichbar mit Damenhut und Reifrock in Europa. Denn Feldarbeit ließ sich mit Gesichts- und Körperschleier nur schlecht verrichten: Was mancher heute als Symbol der Unterdrückung interpretiert, galt in der Frühzeit des Islam also eher als Privileg.

Die deutsche Diskussion über ein Burkaverbot – wo im Übrigen zwei von drei Musliminnen nicht einmal Kopftuch tragen - kann Christine Leuchtenmüller nicht nachvollziehen. Sie hält sich an die Worte von Innenminister Thomas de Maizière, wonach man nicht alles verbieten kann, was einem nicht gefällt.

Burkaverbot in anderen Ländern, Urteile, Gutachten

Frankreich

Frankreich war das erste europäische Land, das im April 2011 das Tragen von Vollschleiern in der Öffentlichkeit verboten hat.

EGMR-Urteil

Der Gerichtssaal des EGMR in Straßburg/Frankreich

In einem europaweit maßgeblichen Urteil hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) das Burkaverbot in Frankreich im Juli 2014 gebilligt. Die Richter wiesen die Beschwerde einer französischen Muslimin zurück.

Belgien

Das Atomium in Brüssel

Belgien verbietet seit 2011 das Tragen einer Burka und Nikab. Höchsten 300 Frauen waren davon betroffen. Nicht erst die jüngste Terrorbedrohung in diesem Land zeigt, dass dieser Schritt keinen Effekt auf die Sicherheitslage hat.

Niederlande

Das niederländische Königspaar

Die niederländische Regierung hat 2012 einem Gesetzentwurf zum umstrittenen Burka-Verbot zugestimmt. Ein Großteil der Bevölkerung steht zwar hinter der Entscheidung, aber bis jetzt wurde es noch nicht durchgesetzt. Etwa 400 Frauen wären davon betroffen.

Schweiz

Seit Juli 2016 gilt auch ein Verbot im Schweizer Ferienkanton Tessin. Bei einem kantonalen Referendum hatte 2013 eine Mehrheit der Tessiner Bevölkerung für das Verschleierungsverbot gestimmt.

Hessen

Das damalige Innenminister in Hessen Boris Rhein (CDU)

Als erstes Bundesland erließ Hessen im Februar 2011 ein Burkaverbot - allerdings nicht in der Öffentlichkeit, sondern nur im öffentlichen Dienst. Vorausgegangen war ein Streit mit einer muslimischen Mitarbeiterin des Frankfurter Bürgeramtes.

Bundestag

Der wissenschaftliche Dienst des Bundestages stellte 2012 in einem Gutachten fest:

"Ein generelles Verbot der Burka im öffentlichen Raum verstößt gegen das Neutralitätsgebot des Grundgesetzes und lässt sich verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen."


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