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Heimat zu verkaufen Von sterbenden Dörfern und zerstörten Landschaften

Bayern ist Boomregion: der Lebensstandard ist hoch, die Arbeitslosenzahl niedrig, die Wirtschaft stark. Und das alles gekrönt durch eine traumhafte Natur. Doch wie geht es weiter mit Bayerns Landschaft? Wohin steuert das Heimatministerium mit seinem Landesentwicklungsprogramm? Gehört Bayerns Bilderbuchlandschaft bald der Vergangenheit an?

Von: Carolin Bergmann, Heidi Ruth Reutter, Claudia Erl

Stand: 05.10.2016 |Bildnachweis

Symbolbild: Leerstand in bayerischen Dörfern -  eine verlassene Bank vor einem Haus | Bild: picture-alliance/dpa/Jens Büttner

Bayern boomt nämlich nicht überall. Verlassene Dorfkerne, Leerstand, das gibt es in ganz Bayern, vor allem aber an den Landesgrenzen.  Nötig ist eine differenzierte Förderung für schrumpfende Gemeinden genauso wie eine behutsame Landesplanung bei der Ausweisung von Gewerbegebieten und beim Umgang mit Naturschutzgebieten.

Es ist ein hehres Ziel in Zeiten des demographischen Wandels, das sich der Freistaat Bayern 2013 in die Verfassung geschrieben hat: Es sollen „gleichwertige Lebensverhältnisse und Arbeitsbedingungen in ganz Bayern, in Stadt und Land“ gefördert und gesichert werden. Dies umzusetzen ist die Aufgabe des Heimatministeriums und dabei federführend von Heimatminister Markus Söder. In seinem kürzlich erschienener Heimatbericht sieht er sich auf dem richtigen Weg.

"Der Heimatbericht hat klar gesagt, dass der ländliche Raum wächst. Natürlich ist die gesamtdemographische Situation von Geburten und Sterbefällen in Deutschland noch nicht perfekt. Aber was ganz wichtig war: Wir haben die Abwanderung aus dem ländlichen Raum gestoppt. Und das liegt auch nur daran, weil wir uns auch bewusst durch Infrastruktur für den ländlichen Raum positioniert haben."

Markus Söder, Heimatminister

Verlassene Dorfkerne

Erzählt man das den Menschen entlang der östlichen und nördlichen Landesgrenze, wird man wohl eher ein müdes Lächeln als Antwort erhalten. Dort kämpft man schon jetzt mit Bevölkerungsrückgang. Und die Prognosen sind düster. Denn: Mit der Wende wanderten die Firmen in die neuen Bundesländer ab, wo die staatlichen Fördermittel seither flossen. Die Folge: Die Jungen zogen in die Boomregionen, die Touristen blieben aus. Zurück bleiben leere Gemeindekassen. Und jede Menge leere Häuser.

Ein Beispiel: Marktgemeinde Nordhalben

Vor 10 Jahren hatte Nordhalben im Landkreis Kronach 2.200 Einwohner. Aktuell zählt die Gemeinde 1.700 Einwohner. Sie verliert im Jahr im Schnitt 40 Einwohner.

Doch woher kommt die Diskrepanz bei den Zahlen? Ist der Heimatbericht geschönt?

"Herr Söder und sein Staatssekretär sagen ja selber, dass dieser Heimatbericht sozusagen ein politisches Papier ist. Das heißt, sie versuchen mit den Zahlen natürlich Erfolge zu verkaufen. Grundsätzlich, wenn man etwas dahinter schaut, sieht die Realität etwas schwieriger aus. Die Tatsache, dass wir jetzt in Oberfranken sogar leichte Bevölkerungszuwächse haben, das liegt zum einen an der Zuwanderung aus den osteuropäischen EU-Ländern und an dem starken Flüchtlingsstrom. Würde man diese herausrechnen, so wäre die Situation so wie davor: In weiten Teilen Schrumpfung."

Professor Manfred Miosga, Leiter der Abteilung Stadt- und Regionalentwicklung am Institut für Geographie der Universität Bayreuth

Immer mehr Gewerbegebiete auf der grünen Wiese?

Das Unterallgäu ist ein beliebter Standort für Gewerbe – wegen der strategisch günstigen Lage und der Verkehrsanbindung. 40 Gewerbegebiete zählt der Landkreis mittlerweile. Besonders beliebt ist die Region bei internationalen Logistikunternehmen, die viel Fläche beanspruchen, aber wenig Arbeitsplätze bringen.

(K)Eine clevere Idee?

Manch einer, wie Landwirt Andreas Blank, beobachtet die Entwicklung mit großer Sorge: Wiesen und Felder werden durch Gewerbegebiete verdrängt, fruchtbarer Humusboden seiner Nutzung entzogen. Ganz abgesehen vom Verlust an Attraktivität der Gegend. Die große Befürchtung: Durch die vom Heimatminister geplante Lockerung des Anbindegebots, könnte dieses Problem noch deutlich größer werden. Wird dies umgesetzt, können Gewerbegebiete auch ohne Anbindung an Ortschaften entstehen - zum Beispiel entlang der Autobahnen. Der erhoffte Geldsegen durch Gewerbesteuer könnte das Windhundrennen zwischen den Kommunen eröffnen – und die Bebauung dadurch eine besondere Dynamik bekommen. Und am Ende? Gewerbegebiete sind noch gar nicht ausgelastet,  da werden schon weitere ausgewiesen. Und das, obwohl in Regionen wie dem Unterallgäu die Arbeitsplätze nach Ansicht des Landwirts gar nicht gebraucht werden: Hier bestehe heute schon Vollbeschäftigung.

Zahlen und Fakten

Seit über 30 Jahren sorgt das Landesentwicklungsprogramm in Bayern für die richtige Balance zwischen Landschaftserhalt und Wachstum. Markus Söder will nun das Landesentwicklungsprogramm in wichtigen Punkten verändern und ruft damit viel Unmut bei Geographen, Umweltverbänden und Naturschützern hervor.

Aufschwung contra Naturschutz?

Auch Naturschutzzonen sind nicht sicher vor einer Anpassung im Landesentwicklungsprogramm, wie das Beispiel von der Zusammenführung der beiden Skigebiete Obermaiselstein und Balderschwang am Riedberger Horn zeigt: Die Bevölkerung hat sich in einem Bürgerentscheid für die Verbindung ausgesprochen, obwohl sie nur durch Eingriff in ein Naturschutzgebiet realisiert werden kann. Die Staatsregierung plant nun, die Schutzzone herabzustufen, sodass eine Bebauung möglich wäre. Die Naturschutzverbände haben bereits angekündigt, dagegen zu klagen. Viele sehen die Not in dieser Region auch gar nicht so groß: Fast 200.000 Übernachtungen gibt es jährlich in Balderschwang.

"Ein Landesentwicklungsprogramm ist keine Bibel, sondern ist letztlich ein Instrument, ein flexibles Instrument. Und deswegen glaube ich an der Stelle, etwas mehr Demokratie in der Landesentwicklung, das hält Bayern schon aus."

Heimatminister Markus Söder zum Bürgerentscheid über einen Skilift

Demokratie oder Strategie?

Bleibt die Frage, ob man mit mehr Mitsprache der Bürger und der Tendenz, weitreichende landschaftsverändernde Entscheidungen in die Hände der Kommunen zu legen sowie der Aufweichung des Landesentwicklungsprogramms die Balance zwischen wirtschaftlichem Wachstum und Landschaftserhalt bewahren kann. Manch einer vermutet dahinter eine Strategie, die vor allem auf die bevorstehenden Wahlen abzielt. Viele Bürger fürchten den Ausverkauf ihrer Heimat – statt einer behutsamen Entwicklung.

Fazit?

„Wenn es Orte gibt, aus denen die Menschen offenbar aus guten Gründen wegziehen und irgendwann der Letzte fortgezogen ist, dann sollte man das schlicht und einfach akzeptieren und auch sagen: Es gibt kein Grundrecht auf eine dauerhafte Besiedlung aller Orte, die offenbar nicht mehr attraktiv sind.“ Reiner Klingholz, Demographie-Experte







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Uli, Mittwoch, 05.Oktober 2016, 09:21 Uhr

4. Wachstumsideologie

Hier sehen wir die Spätwirkungen der von der Staatsregierung seit Jahrzehnten gepflegten kompromisslosen Wachstumsideologie. Bayern zerstört momentan nicht nur in atemberaubender Geschwindigkeit seine Natur und sein Landschaftsbild, sondern ebenso seine über Jahrhunderte gewachsene Kultur und Eigenständigkeit. Verfallene, verlassene Dörfer, umgeben von monströsen Gewerbegebieten und endlosen Monokulturen, überfüllte Städte ohne jegliche bayerische Identität, Berge und Seen von Zweitwohnsitzen und ausufernder Tourismusindustrie zugebaut: das ist unser Freistaat in naher Zukunft. Vergelt's Gott CSU, Tschüss Bayernland.

  • Antwort von johann butcher, Mittwoch, 05.Oktober, 09:42 Uhr anzeigen

  • Antwort von GH, Mittwoch, 05.Oktober, 12:23 Uhr anzeigen

  • Antwort von Inge, Mittwoch, 05.Oktober, 14:06 Uhr anzeigen

zorro , Mittwoch, 05.Oktober 2016, 08:50 Uhr

3. Euroentwertung, Griechenlandrettung, Asylflut

Zuwanderung, Aufbau Ost, Solidarzuschlag und und und. Für das "Normale" bleibt da nicht mehr viel Geld.

  • Antwort von waldler, Mittwoch, 05.Oktober, 09:29 Uhr anzeigen

  • Antwort von Lotti, Mittwoch, 05.Oktober, 10:05 Uhr anzeigen

  • Antwort von Truderinger, Mittwoch, 05.Oktober, 10:29 Uhr anzeigen

  • Antwort von Nicht aus Trudering, Mittwoch, 05.Oktober, 11:01 Uhr anzeigen

  • Antwort von Leo Bronstein, Mittwoch, 05.Oktober, 11:41 Uhr anzeigen

  • Antwort von Manfred, Mittwoch, 05.Oktober, 11:51 Uhr anzeigen

  • Antwort von Rolf, Mittwoch, 05.Oktober, 11:56 Uhr anzeigen

  • Antwort von München Süd, Mittwoch, 05.Oktober, 13:25 Uhr anzeigen

  • Antwort von Lustig, Mittwoch, 05.Oktober, 14:59 Uhr anzeigen

  • Antwort von Erich, Donnerstag, 06.Oktober, 13:20 Uhr anzeigen

Ute, Mittwoch, 05.Oktober 2016, 08:47 Uhr

2. Wir brauchen mehr Zuwanderung

Das entlastet die Kommunen.

  • Antwort von Erwin, Mittwoch, 05.Oktober, 14:13 Uhr anzeigen

Harald, Mittwoch, 05.Oktober 2016, 08:13 Uhr

1. Hirnlose "Entwicklungshilfe"

Da werden bereits florierende Regionen noch mehr mit Gewerbegebieten, Skiliften und Hotels zugesch..., während strukturschwache Regionen förmlich ausbluten.
Die Region südlich von München ist bzw. war ein Anziehungspunkt für Touristen und Ausflügler. So langsam kommen mir jedoch Bedenken, wenn allerorten Gewerbegebiete mit immer noch größeren Hallen die Gegend verschandeln.

Auch die dritte Startbahn braucht keiner, weil sie nur noch mehr Verkehr anzieht. Es wuselt schon genug im Großraum München. Mehr brauchen wir hier nicht.

Besondern bezeichnend fand ich die Beschwerde meiner neu zugezogenen Nachbarn über den starken Verkehr auf unserer Hauptstraße im Dorf. Dabei sind sie selbst Teil des Problems. Ihr Haus ist eines von fünf (5) Einfamilienhäusern, die einen (1) Bauernhof ersetzen. Mehr Familien = Bewohner = mehr Verkehr = weniger Ruhe. Das will aber keiner wahrhaben.

  • Antwort von roddy, Mittwoch, 05.Oktober, 08:38 Uhr anzeigen