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Die Psychologie des Terrors "Es wird eine Art Immunisierung geben"

Der Terror betrifft uns, auch wenn er in Frankreich tobt. Die Angst schleicht sich auch bei uns ein. Wie verändert sie die Gesellschaft? Und was lässt sich dagegen tun? Die Psychologin Katrin Streich, Expertin für Bedrohungsmanagement, gibt Antworten. Von Michael Kubitza

Von: Michael Kubitza

Stand: 15.07.2016 | Archiv

Eine Frau legt einen Blumenstrauß nieder in der Nähe des Unglücksorts an dem am Nationalfeiertag viele Passanten von einem Lastwagenfahrer getötet wurden. | Bild: Reuters (RNSP)/Pascal Rossignol

BR24: Ihr Institut beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, wie sich potentielle Gewalttäter erkennen lassen ..

Die Diplompsychologin Katrin Streich ist stellvertretende Leiterin des Instituts für Psychologie und Bedrohungsmanagement in Darmstadt

Katrin Streich: Es gibt zumindest Anzeichen, die sich im Vorfeld erkennen lassen. Zieht sich jemand, der vorher lebhaft war, zurück? Oft fühlen sich die Täter ungerecht behandelt, ihre Gedanken laufen im Kreis. Auch: Zeigt jemand Interesse für Gewalttäter und Gewalttaten?

Manchmal sind die Täter Außenseiter, die kaum Kontakt zur "Mehrheitsgesellschaft" haben. Oft haben sie bereits eine kriminelle Karriere. Da ist der Staat  gefragt - nicht nur in den Strafanstalten, sondern auch in Behörden, an Schulen. Die Schwierigkeit ist, die Zeichen zu deuten, ohne die Betroffenen zu stigmatisieren.

BR24: Es hat den Eindruck, dass sich die Terroristen besonders auf Frankreich konzentrieren. Eine Zermürbungsstrategie?

Katrin Streich: Das spielt sicher mit rein. Es dürften aber viele Faktoren verantwortlich sein: Der Symbolwert des Nationalfeiertags, die Möglichkeit, mit geringem Aufwand möglichst viele Menschen zu treffen. Nicht zuletzt die Identifikation der Täter mit vorangegangenen Terrorakten, von denen es in Frankreich ja genug gegeben hat.

BR24: Der IS-Terrorismus zielt nicht so sehr auf Vertreter des Staates, sondern auf Kultur, Sport, Medien und vor allem auf "ganz normale Menschen", einschließlich Frauen und Kindern. Was bezweckt diese Strategie?

Katrin Streich: Das ist der Versuch, die westliche Gesellschaft dort zu treffen, wo's wehtut. Leute auf Straßenfesten, im Stadion, auf Konzerten - das könnte jeder von uns sein. Die Wirkung ist ganz anders als bei Anschlägen im Irak oder der Türkei, auch anders als etwa bei staatlichen Einrichtungen.

BR24: Nach fast jedem Anschlag ist zu hören, wir müssten jetzt einfach weitermachen, dürften unseren Lebensstil nicht aufgeben. Bloße Durchhalteparolen?

Katrin Streich: Das ist schon mehr. Da geht's um den Ausdruck einer inneren Haltung. Wer sich einschüchtern lässt, verlässt am Ende seine Wohnung nicht mehr.

BR24: Längst lässt sich beobachten, dass Menschen vor dem Oktoberfest-Besuch, selbst vor Zugfahrten eine Art "Gefahrenabwägung" durchspielen. Welchen Rat geben Sie mir, wenn ich ein mulmiges Gefühl im Bauch oder die "Schere im Kopf" spüre und loswerden will?

Katrin Streich: Das macht im Moment wohl fast jeder durch - ich denke an Jerome Boateng, der seine Familie lieber nicht im Stadion sehen wollte. Wichtig ist, sich seiner Angst zu stellen - wenn ich sie wegschiebe, kommt sie durch die Hintertür zurück, etwa in Form von Panikattacken. Also: Was genau macht mir Angst und was kann ich konkret dagegen tun? Zum Beispiel: mich mit anderen austauschen. Die Menschen um mich herum und meine Reaktion auf sie beobachten. Überlegen, wie ich im Ernstfall schnell wegkomme - der beste Fluchtweg ist nicht immer der, auf dem ich gekommen bin. Und im Zweifel: mich zu nichts zwingen.

BR24: Ihre Einschätzung: Schaffen die Terroristen es, unsere Gesellschaft durch Angst und Misstrauen zu zerstören?

Ich bin da eher zuversichtlich. Es wird einen Gewöhnungseffekt geben - nicht im Sinne von Abstumpfung, sondern von Immunisierung, von mentaler Stärkung. Je klarer unsere Haltung, desto weniger können die Terroristen bewirken.


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