IS und Christen Totale Vernichtung
Totale Vernichtung. Das ist die Strategie der Terrormiliz IS gegenüber Christen im Nordirak. Die report-München-Autoren Stefan Meining und Ahmet Senyurt sind in das Städtchen Bartella gereist. Sie sahen einen Ort des Grauens. Die Islamisten betrieben die Auslöschung einer Kultur.
Eine breite Überlandstraße führt uns von Erbil, der freien Millionenstadt im irakischen Kurdengebiet, Richtung Bartella, einem für die Region so typischen Landstädtchen. Je näher wir Bartella kommen, desto stärker prägen zerbombte Fabriken das Bild entlang dieser Straße. Uns kommen Militärtransporter, schweres Gerät und Busse voll mit Flüchtlingen aus dem nahen Mossul entgegen. Wir sind alleine. Wir haben eine Sondergenehmigung erhalten und können ohne irakische Presseoffiziere Bartella für ein paar Stunden besuchen. Ein letzter Checkpoint, dann sind wir endlich da. Wir parken unser Auto in einer Seitenstraße. Unser Kameramann Rone stammt aus Bartella. Er wird uns seine geschundene Heimatstadt zeigen.
Geisterstadt Bartella
Der erste Eindruck dieser vom Krieg zerstörten, verlassenen Geisterstädte in Syrien und im Irak ist immer der gleiche: Vertrocknetes Gras und Gestrüpp stehen hüfthoch zwischen zerbombten, ausgebrannten Häusern oder wuchern durch rissigen Asphalt oder aufgeplatzte Betondecken. Hinzu kommt immer diese gespenstisch anmutende Stille am Boden, während hoch oben im stahlblauen Himmel das weit entfernte Dröhnen von Flugzeugturbinen zu hören ist und jeden Besucher, egal ob Reporter oder Soldat, daran erinnert, dass er sich in einem Kriegsgebiet befindet.
Auch das Landstädtchen Bartella mit seinem einstmals knapp dreißigtausend Einwohnern gehört zu diesen schaurigen Orten. Bartella befand sich mehr als zwei Jahre in der Hand des sogenannten Islamischen Staates, abgekürzt IS. Erst Ende Oktober wurde das, was von Bartella übrig blieb, im Rahmen der Mossul-Offensive von der irakischen Armee und einer kleinen Christenmiliz befreit. Bartella ist ein Sinnbild für die Vernichtungspolitik des IS.
Im Zentrum des auch in besseren Tagen wenig ansehnlichen Städtchens Bartella gab es kleine Läden und eine große, eindrucksvolle alte Kirche. Denn Bartella war bis zum Einfall der Terrormilizen des sogenannten Islamischen Staates, abgekürzt IS, im August 2014 eine fast ausschließlich von orientalischen Christen bewohnte Stadt. Bartella liegt in der Ninive-Ebene und gehört somit zu einem Region, in der sich die Menschen noch während der Antike sehr früh zum Christentum bekannten. Die Christen haben hier immer ausgeharrt; selbst als der IS Mossul bereits eingenommen hatte.
Tunnel für den Hinterhalt
Jetzt ist Bartella eine zerstörte Geisterstadt. In einem Haus entdecken wir im Wohnzimmer ein Loch im Boden. Stufen führen in den Untergrund. Es ist der Eingang in ein tiefes, enges, hunderte Meter langes und verzweigtes Tunnelsystem des IS; vermutlich angelegt, um Soldaten unbemerkt anzugreifen. Noch immer hängen Kabel an den Wänden. Ein Schacht und ein Ventilator versorgte die IS-Leute mit Frischluft. Vor wenigen Wochen trieben sich hier noch IS-Leute herum. Die Decke ist kaum höher als 1,7 Meter. Wir müssen uns bücken. Wir bekommen Platzangst. Wir sollen ja nichts berühren, warnt uns Rone, unser Führer und Kameramann. Nach einigen Gehminuten in völliger Dunkelheit sehen wir vor uns mit einem Mal ein gleißendes Licht. Wir kriechen durch ein enges Loch und stehen neben einer Straße. Der perfekte Hinterhalt. So kämpft der IS auch in Mossul.
Tödliche Sprengfallen
In Bartella und anderen inzwischen befreiten Orten wurden zudem massenhaft improvisierte Minen entdeckt. Der Erfindungsreichtum des IS kennt auch hier keine Grenzen: Kochtöpfe, Lebensmittelpackungen und Elektrogeräte können tödliche Fallen bilden. Auch wir achten bei jedem Schritt ganz genau, wo wir hintreten. Auf Drähte achten. Nie, niemals eine Türe öffnen! Das könnte tödlich enden. Auch dies gehört zur Strategie des IS: Wer zurückkehrt, muss damit rechnen, dass im Durcheinander seines verwüsteten Hauses Sprengfallen liegen.
Planmäßige Zerstörungen
Sehr schnell bemerken wir, dass der IS Bartella völlig planmäßig zerstörte. Anscheinend war den IS-Terroristen klar, dass sie das Städtchen nicht halten konnten. Die Häuser der geflohenen Einwohner, die wir betreten konnten, wurden allesamt verwüstet; ohne jeden militärischen Sinn und Zweck wurden sogar Familienfotos aus Alben gestohlen; Spielzeugpuppen die Köpfe abgeschlagen. Wie reagieren die Bewohner auf diese wohldurchdachte, gezielte Gewalt?
Unser Kameramann Rone führt uns zu seinem Elternhaus. Wir kennen ihn als abgehärteten Kameramann, der an vielen Frontabschnitten im Irak und Syrien gedreht hat; auch für den Bayerischen Rundfunk. Doch als er uns sein völlig verwüstetes Elternhaus zeigt, kommen ihm die Tränen. Auch wir sind entsetzt. Wir stapfen durch Berge von Kleidern, Büchern, zertrümmerten Möbeln. Erneut wird uns klar: Die Personen, die hier wüteten, verfolgten einen konkreten Plan und hatten ein konkretes Ziel: Kein Mensch sollte sich hier wieder zuhause fühlen. Psychologen kennen diese Angstzustände bei Menschen, in deren Wohnungen eingebrochen wurde. Doch hier herrschte der IS! Wir stellen uns die Frage: Wie viel schlimmer muss es sein, zu wissen: Hier in meinem alten Zuhause tobten IS-Terroristen?
An vielen Mauern von Häusern von Bartella, die Christen bewohnten, findet sich in arabischer Sprache der Hinweis, es handele sich um Eigentum des sogenannten Islamischen Staates. Der Zutritt sei verboten. Auch so kann man Menschen demütigen und drohen: Wartet nur ab, bis wir wieder kommen!
Vernichtung einer Kultur
Es fällt schwer, in Bartella die Ruhe zu bewahren. Unfassbar, was wir auf dem Friedhof sehen: zertretene Kreuze. Der IS kippte sogar die Toten aus ihren Holzsärgen. Auch so kann eine uralte Kultur und Verbundenheit der Menschen mit einem Ort vernichtet werden und die Einwohner ins Ausland getrieben werden. Gut möglich, dass die Strategie des IS, so traurig es klingen mag, aufgeht, und kaum ein Christ jemals wieder nach Bartella zurückkehren wird.