Der spektakuläre Kampf ums AEG-Stammwerk
Wilde Proteste, wochenlange Streiks und deutschlandweite Solidarität: Es war einer der spektakulärsten Arbeitskämpfe der bayerischen Nachkriegsgeschichte. Vor zehn Jahren schloss das Nürnberger AEG-Werk. 1.700 Beschäftigte verloren ihren Job. Ein Schlag für die Region. Doch sie konnte sich wieder aufrappeln.
Vor zehn Jahren, am 12. Dezember 2005, besiegelt der schwedische Mutterkonzern Electrolux die Schließung des AEG-Stammwerks in Nürnberg. Die Wasch- und Spülmaschinenproduktion soll hauptsächlich nach Polen verlagert werden. Als Grund nennt Electrolux den rasanten Preisverfall bei Haushaltsgeräten: Mit jeder Waschmaschine, die in Deutschland hergestellt und verkauft wird, mache der Konzern 60 Euro Verlust. 1.700 Beschäftigte stehen vor dem Aus.
Spektakulärer Arbeitskampf
Was dann folgt, hat Bayern noch nicht gesehen: In einem spektakulären Arbeitskampf geht bei AEG in Nürnberg zwischen dem 20. Januar und 6. März 2006 nichts mehr – und doch sehr viel: 46 Tage lang protestieren die Beschäftigten vor den Werkstoren. Selbst in klirrend kalten Winternächten harren sie bei bis zu -14 Grad an brennenden Ölfässern aus. Unterstützung bekommen sie nicht nur aus der Bevölkerung und von Oberbürgermeister Ulrich Maly (SPD), auch Liedermacher Konstantin Wecker, Linken-Politiker Oskar Lafontaine, Sozialdemokrat Franz Müntefering oder Bambergs Erzbischof Ludwig Schick besuchen sie vor den Werkstoren.
Die "Weiße-Ware"-Branche ist aufgerüttelt: Aus dem ganzen Bundesgebiet erhalten die AEGler Solidaritätsbekundungen. In Sonderbussen reisen sogar tausende Kollegen der Konkurrenz von Bosch-Siemens, Miele, Bauknecht und Liebherr an, um die Nürnberger in ihrem Kampf zu unterstützen.
Teure Schließung
Ihr Ziel, das Nürnberger Werk zu retten, erreichen die AEGler zwar letzten Endes nicht. Dafür erstreiten sie sich einen nach Angaben der IG Metall in Deutschland zuvor noch nie erreichten Sozialtarifvertrag. Dem Mutterkonzern Electrolux kommt das teuer zu stehen: Die ursprünglich veranschlagten Kosten für die Schließung in Höhe von 240 Millionen verdoppelten sich. Ein Jahr nach der Schließung spricht die IG Metall von mehr als 500 Millionen Euro Kosten. "Die hätten die Finger davon gelassen, wenn sie das vorher gewusst hätten", so der damalige bayerische IG-Metall-Chef Werner Neugebauer.
Grundig, AEG, Quelle
Die großen Ex-Arbeitgeber in der Region
Grundig: maximal 28.000
Quelle: maximal 11.000
AEG: maximal 5.300
Die Werksschließung von AEG war für die Region ein herber Schlag. Die Schließung reiht sich ein in eine Folge von spektakulären Firmenpleiten: In den 2000er-Jahren machten die einstigen Giganten des deutschen Wirtschaftswunders im Großraum Nürnberg dicht. Wenige Jahre vor AEG verschwand mit der Grundig-Pleite ein großer Arbeitgeber, kurze Zeit später das Versandhaus Quelle.
Gestärkt aus der Krise
Doch die Region hat den Strukturwandel geschafft, sind sich Experten sicher. Waren in den 1970er-Jahren noch 60 Prozent der Beschäftigten in der Industrie tätig, ist es heute nur noch ein Drittel. Unternehmen wie Schaeffler, Diehl oder Leoni sind weltweit erfolgreich, daneben sind aber auch große Dienstleistungsunternehmen wie GfK oder Datev entstanden. Generell ist die Wirtschaft in der Region aber kleinteilig-mittelständischer und damit krisenfester geworden.
"Die Fürther Straße – dort waren Quelle, AEG, Triumph Adler – ist ein Hotspot des Strukturwandels, der zweierlei deutlich macht: Erstens, dieser Wandel hört nie auf, es kann uns immer wieder erwischen. Und zweitens, es ist am Ende nie nur Depression – aus diesen Ruinen kann durchaus auch wieder etwas Kreatives, Neues entstehen."
Ulrich Maly (SPD), Oberbürgermeister der Stadt Nürnberg
Video
Was bleibt?
Nach der Werksschließung 2006 ist in Nürnberg die Firmenzentrale des AEG-Mutterkonzerns Electrolux verblieben. 480 Menschen arbeiten heute in den Bereichen Entwicklung, Vertrieb, Kundendienst, Marketing und Logistik. Am AEG-Standort Rothenburg ob der Tauber werden von 900 Beschäftigten Herde und Kochmulden hergestellt.
Web-Tipp
Umfangreiche Firmengeschichte, zusammengetragen von einem ehemaligen Mitarbeiter