NSU-Prozess: Gerichtssaal-Protokoll 41. Verhandlungstag, 01.10.2013
Es geht um den Mordfall Yozgat, den 21jährigen Halit Yozgat, der im Internetcafé der Familie in Kassel erschossen wurde. Zur Tatzeit im Internetcafé: ein (inzwischen suspendierter) Mitarbeiter des hessischen Verfassungschutzes: Andreas T. Die Hauptzeugen an diesem 41. Verhandlungstag: Ismail Yozgat, der Vater des ermordeten Halit – und Andreas T.
Gleich zu Beginn schildert Ismail Yozgat, wie er seinen sterbenden Sohn im Internetcafé gefunden hat. Er ist voller Vertrauen in die Richter, er schreit seinen Schmerz heraus, er führt vor, wie er seinen Sohn gefunden hat, wie der dort in seinem Blut lag, zeichnet eine Skizze des Tatorts. Szenen, die lange nachwirken.
Am Nachmittag, der Kontrast: der Zeuge Andreas T., früher Verfassungsschützer aus Kassel, der im Internetcafé saß und bestreitet, irgendetwas von dem Mord mitbekommen zu haben. Er muss sich der Kritik stellen, sich nicht sofort als Zeuge gemeldet zu haben. Andreas T. sagt, er habe damals angenommen, nicht zur Tatzeit am Tatort gewesen zu sein und er habe sich auch aus Angst vor privaten sowie dienstlichen Konsequenzen nicht gemeldet. Die Vernehmung T.s wird unterbrochen und wird an anderen Tagen fortgesetzt.
Zeugen
- Ismail Yozgat, Vater des Opfers Halit Yozgat (fand seinen sterbenden Sohn im Internet-Café)
- Emre E., Auszubildender (Zeuge im Mordfall Yozgat, Kassel)
- Hediye C., Hausfrau (Zeugin im Mordfall Yozgat, Kassel)
- Andreas T., Beamter des Landes Hessen, ehemaliger Verfassungsschützer (Zeuge im Mordfall Yozgat, Kassel)
ARD-Reporter über das Geschehen im Gerichtssaal
(Heike Borufka, HR)
Rechtsanwalt Nahrath (Verteidigung Wohlleben) vertritt Rechtsanwältin Schneiders. Filmteams und Fotografen werden nun raus geschickt. Die Angeklagte Zschäpe, die ihnen wie immer den Rücken zukehrte, dreht sich um, setzt sich und holt ihren Laptop aus einer pinkfarbenen Tasche.
9.45 Uhr. Zeuge Ahmed A. (Telefonzelle Internetcafé vorne) ist nicht da. Ismail Yozgat wird vorgezogen. Vorher zehn Minuten Pause bis 10.00 Uhr.
(Holger Schmidt, SWR)
9.55 Uhr. Unter den Zuschauern: Winfried Ridder (ehemaliger Referatsleiter im Bundesamt für Verfassungsschutz).
(Thies Marsen, BR)
10.03 Uhr. Anwalt Nahrath vertritt Rechtsanwältin Nicole Schneiders, weil die parallel zum NSU-Prozess auch im Prozess gegen die Neonazikameradschaft "AG Mittelrhein" verteidigt.
(Gunnar Breske, MDR)
10.30 Uhr. Zu Beginn moniert Rechtsanwältin Sturm (Verteidigung Zschäpe), dass von Seiten der Nebenkläger Fotos von Frau Zschäpe gemacht wurden, die inzwischen wieder gelöscht wurden.
Vernehmung Yozgat: Ismail Yozgat, der Vater des Mordopfers, hat auf der Zeugenbank Platz genommen, links neben ihm ein Dolmetscher, rechts sein Anwalt Alexander Kienzle, leicht hinter ihm seine Ehefrau. Herr Yozgat möchte seine Adresse nicht nennen, nach leichtem Hin und Her akzeptiert Richter Götzl.
(Holger Schmidt, SWR)
10.25 Uhr. Ismail Yozgat, 58, Frührentner, Anschrift wie bekannt.
Yozgat (per Dolmetscher): Sehr geehrter Herr Götzl, sehr geehrte Mitglieder dieses Gerichts, sehr geehrte Bundesanwälte, sehr geehrte Familien der Märtyrer, sehr geehrte Freunde, ich begrüße sie alle respektvoll. Ich bin Ismail Yozgat, der Vater des 21-jährigen Halit Yozgat, des Märtyrers, der am 6. April durch zwei Schüsse in den Kopf erschossen wurde und in meinen Armen gestorben ist. Zunächst möchte ich den Angehörigen der zehn Märtyrer mein herzliches Beileid wünschen und ihnen viel Geduld wünschen. Ich bedanke mich bei ihnen, Herr Vorsitzender Richter, für das Interesse, das sie uns gegenüber gezeigt haben. Ich möchte mit ihnen einige Vorkommnisse, die wir erlitten haben, teilen. Ich möchte zunächst mitteilen, wir befinden uns hier zwecks der Gerichtsverhandlung gegen die Angeklagten, die wegen des Todes unseres Sohnes, unserer Väter, der Polizeibeamtin hier sind.
Götzl unterbricht und weist auf die Frage und seine Zeugeneigenschaft hin.
Zeuge Ismail Yozgat: 6. April: Ich arbeitete um 15.00 Uhr im Internetcafé, mein Sohn kam herein, am nächsten Tag hatte ich Geburtstag. Er sagte mir, dass seine Mutter draußen im Wagen wartet. Mein Sohn hatte meiner Frau Geld gegeben, damit sie für meinen Geburtstag für mich ein Geschenk kaufen konnte. Sie hat für mich für 23 Euro eine Werkzeugkiste gekauft. Ich ließ meine Frau in der Stadt zurück, ich hatte mich zwei oder drei Minuten verspätet. Als ich zurückkam, sah ich meinen Sohn in seinem Blut. Am nächsten Tag habe ich mir meinen Geburtstag verboten. Bis zu meinem Tod, wird der Geburtstag nicht mehr gefeiert. Am 8. April brachten wir den Leichnam meines Sohnes in die Türkei. Um 12.00 Uhr habe ich mit meinen Händen meinen Sohn in das Grab gelegt. Ich kann nie vergessen. Wieso haben sie meinen Sohn getötet? Was hat er für eine Tat begangen? Ich hatte früher fünf Kinder, es sind nur vier zurückgeblieben. Meine Familie blieb ohne meinen Sohn. Ich habe geschaut und gesehen, dass das Zimmer von meinem Halit versiegelt war. Ich konnte nicht mal zum Andenken in das Zimmer meines Sohnes gehen. Es waren viele Gerüchte in die Welt gesetzt. Eines der Gerüchte war, die Polizei habe im Zimmer meines Sohnes 40.000 Euro gefunden. Die Polizei teilte mir mit, dass das alles gelogen ist. Genau fünfeinhalb Jahre haben wir uns nicht getraut, als Familie hinaus zu gehen. Alle haben uns feindselig angesehen. Sowohl die Deutschen, als auch die Türken. Wer hat Deinen Sohn getötet? Wegen Haschisch oder Heroin? Döner-Mord? Warum haben sie mein Lämmchen getötet?
(Gunnar Breske, MDR)
Zeuge Ismail Yozgat: Warum haben sie mein Lämmchen getötet? Als ob das nicht ausgereicht hätte: Während ich im Laden war, habe ich immer meine Freunde und Verwandten in der Türkei angerufen. Die Polizei hat all diese Verwandten vernommen und schlecht über uns geredet. Nicht einmal in der Türkei hat meine Familie mit mir gesprochen. Ich habe das nicht verkraftet, ich erlitt einen Herzinfarkt. Meine Frau war in der Stadt, meine Töchter in der Arbeit (als der Mord stattfand). Die Polizei hat mich für eine halbe Stunde vernommen. Als ich zurückkam, waren viele Menschen in unserer Wohnung - wer hat meiner Frau, meinen Töchtern gesagt, dass er tot ist? Hätte ich nicht zu einem späteren Zeitpunkt vernommen werden können - mich mit meiner Familie beschäftigen können? Am zweiten Verhandlungstag haben die Verteidiger behauptet, dass die Familien 850.000 Euro bekommen haben. Wir haben kein Geld bekommen, wollen wir auch nicht. Bis gestern hatte ich vollstes Vertrauen in die deutsche Justiz, aber gestern habe ich gehört, dass Andreas T. freigelassen wurde wegen Befehl von oben. Ich konnte bis heute Morgen nicht einschlafen. Mein Vertrauen ist auf unter 50 Prozent gesunken. Jetzt Tatort-Beschreibung: War verspätet - sonst steht er schon draußen - heute nicht. Sah ihn drinnen nicht, dachte er repariert Computer. Sah dann auf Schreibtisch zwei Tropfen rote Farbe. Wollte vorbeigehen, sah meinen Sohn dort liegen, er gab keine Antwort, er gab keine Antwort ... ER GAB KEINE ANTWORT (Yozgat schreit - steht auf - ruft immer wieder: ER GAB KEINE ANTWORT).
Zschäpe sitzt wie versteinert, starrt auf Laptop, keine Regung.
(Thies Marsen, BR)
10.32 Uhr. Zeuge Ismail Yozgat: Jetzt komme ich zur Sache. Ich kam zur Ampel am Internetcafé, circa 200 Meter entfernt. Ich hatte mich verspätet, um 17 Uhr sollte er zur Abendschule gehen und ich sollte ihn abholen. Immer wenn ich mich verspäte, wartet er vor dem Laden auf mich. Ich kam, aber es war niemand vor der Tür. Ich ging rein, Sohn war nicht am Tisch, ich dachte, vielleicht repariert er die Computer drinnen. Während ich in das Zimmer mit den Computern hinein gehe, habe ich zwei rote Tropfen gesehen. Ich habe mir gedacht, vielleicht hat Halit Farbe verschüttet. Während ich so vorbeiging, habe ich meinen Sohn liegen sehen. Ich habe den Tisch weg, habe den Sohn in meinen Arm genommen. Ich habe keine Antwort bekommen (Schreit immer wieder: "Keine Antwort" auf Türkisch). Am frühen Morgen waren wir beide zwecks Magenspiegelung zum Arzt gefahren. Ich habe gesagt: Frühstückt mit eurer Mutter, ich frühstücke im Laden. Ich habe bis dahin noch nie jemanden gesehen, der erschossen worden war. Ich dachte, es lag an der Magenspiegelung. Ich habe ihn angeschaut und ihn voller Blut gesehen, habe ihn langsam auf den Boden gelegt. In der Tasche nach Telefon gesucht, ich konnte nicht anrufen. Bin schließlich ins Türkische Teehaus, ich habe den dortigen Freunden gesagt, es ist meinem Sohn etwas passiert, sie sollen helfen. Die Polizei kam, der Krankenwagen kam, sie ließen mich nicht mehr in den Wagen hinein.
(Heike Borufka, HR)
10.06 Uhr. Danach brachten mich die Polizeibeamten aufs Revier. Ich hatte ihnen das erzählt, das ist alles. Wenn Sie wollen, kann ich zu Ihnen (an den Richtertisch) kommen und das zeichnen. Yozgat geht vor, Zschäpe verschränkt die Arme, schaut vor, dann wieder in ihren Computer. Ismal Yozgat malt Internetcafé auf.
(Gunnar Breske, MDR)
10.46 Uhr. Yozgat zeigt am Richtertisch in eigener Skizze die Position seines Sohnes (immer wieder kommt seine Frau mit nach vorn, bringt ihm unter anderem seine Brille) Es geht um genaue Position des Toten - Yozgat legt sich hin, um es zu demonstrieren, vor die Verteidigerbank - direkt vor der Angklagten Zschäpe. Richter Götzl hält frühere Aussage vor: Opfer sei auf dem Bauch gelegen, Hinterkopf sei voll Blut gewesen, Yozgat erklärt, dass er seinen Sohn, als er ihn fand, umdrehte.
(Heike Borufka, HR)
10.52 Uhr. Auf Nachfragen des Vorsitzenden Richters: Um zu ihm zu kommen, muss ich den Hocker weggeworfen haben. Aber daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Das ganze Geld lag in der Kasse. Das haben mir die Polizeibeamten gesagt. Ich habe ihnen geglaubt. Ich habe das nicht geprüft. Ich habe niemanden gesehen.
Richter Götzl: Wir haben Zeit und ich bitte Sie, sich auch zu beruhigen, Herr Yozgat. Dann ist das auch einfacher für die Verfahrensbeteiligten.
Yozgat: Ich frage mich, ob sie ihn erschossen haben und durch den Hinterausgang geflüchtet sind. Nur eine Person habe ich gesehen, die telefonierte. Im hinteren Bereich telefonierte eine Frau. Als ich schrie, kam sie raus. Zwei Personen sollen da gewesen sein. Ich kann mich erinnern, dass ich die Zelle mit der Nummer 3 oder 4 betreten habe zum Telefonieren. Die Frau soll in kleinem Zimmer gewesen sein. Ich habe nur eine Person gesehen, nur den Araber, ob Afghane oder Araber weiß ich nicht. Später kamen die anderen aufgrund meines Schreis. Die Frau, die telefoniert hat und dann die Jungen, die drinnen, also im Internet waren, der Libanese und der Palästinenser, der Junge, er war ein Freund von Halit. Vom Aussehen kenne ich ihn.
15 Minuten Pause bis 11.05 Uhr.
(Heike Borufka, HR)
11.25 Uhr. Auf Nachfragen des Vorsitzenden Richters: Beim Reingehen auf der linken Seite telefonierte Mann, in Nummer 3 oder 4. Es kann sein, dass ich die Zelle mit der Nummer 5 betreten habe. Yozgat geht wieder vor, zeigt auf Skizze Er kam mir ein wenig schlank vor, aber momentan, egal, was ich ihnen sage, es kann falsch sein. Es ist inzwischen sieben Jahre her. Ich weiß nicht, was er getan hat, ich habe mich mit meinem Sohn beschäftigt. Die Polizeibeamten sagten, dass sie ihn vernommen hätten. Aber wenn ich ihn sehe, würde ich ihn wiedererkennen. So, wie ich das eben geschildert habe. Die Verteidiger sollen ja behauptet haben, dass die Familienangehörigen der Märtyrer 850 000 Euro bekommen haben. Wir, die Familie Yozgat, wollen überhaupt kein Geld. Wir bitten den deutschen Staat nur um ein einziges, wir wollen nur einen Namen haben. Mein Sohn ist im Jahr 1982 in der Holländischen Straße geboren, am 2. Januar, und am 6. April wurde er unter der gleichen Nummer in der gleichen Anschrift erschossen. Das ist für uns sehr wichtig, dass diese Holländische Straße in Halit-Straße umbenannt wird. Ich wäre ihnen bis zu meinem Tod dankbar, wenn Sie das veranlassen könnten. Danke schön!
Auf Nachfrage von Nebenklage-Anwalt Schön: Blutflecken auf dem Tisch waren sehr klein. Als ich laut schrie, kam die Frau von innen heraus aus dem Telefonbereich. Wir haben hinten ein Zimmer, sie telefonierte in diesem Bereich.
Auf Nachfrage von Nebenklage-Vertreter Langer: 50 Cent lagen in der Mitte des Tisches, aber es ist sieben Jahre her. Ich vermute nur. Mein Sohn wird nicht wieder zurückkommen. Im Jenseits werde ich meinen Sohn wiedertreffen.
Verteidigung Wohlleben: Wie gelegen?
Yozgat: Die Wand ist diejenige Stelle und dort gibt es einen Abstand von mindestens 50 Zentimetern von der Haupttür, also das ist die Hauptwand. Dort gibt es eine Stelle, wo eine Tür hingehört, habe die Tür abmontiert und ein dünnes Brett eingebaut. Sein Kopf war genau an der Stelle.
11.24 Uhr. Ende der Befragung des Zeugen Ismail Yozgat.
(Heike Borufka, HR)
11.30 Uhr. Emre E. (Tatortzeuge), 22, Anlagenmechaniker für Sanitär, Azubi, Kassel. Gegen 17 Uhr oder 18 Uhr (bei Polizei ausgesagt: 16 bis 17 Uhr). Ich bin da hin, hab da Internet gespielt und diverse Seiten gesurft. Dann kam dieses Geräusch, das dumpfe. Das habe ich in Verbindung gebracht mit einem herabfallenden PC. Kurz danach hab ich den Vater brüllen gehört: Halit, mein Sohn. Ich dachte, er ruft nach einem Herzinfarkt seinen Sohn. Dann bin ich nach vorne gegangen und hab den Halit am Boden liegen sehen. Ich war ziemlich aufgeregt. Dann bin ich raus gerannt, hab Hilfe gesucht. Auf der anderen Straßenseite war so ein Feuerwehrwagen, ein VW-Bus T5. Hab‘ gebeten zu helfen. Ist auch sofort hin. Dann bin ich wieder hingegangen, rausgegangen, dann kamen auch schon die Polizisten. Dann wurde ich auch gleich schon mitgenommen. Ich war hinten im PC-Raum. Der Eingang war ja ein bisschen versetzt, ich war genau gegenüber vom Eingang. Da es ein bisschen versetzt ist, konnte ich nicht reinschauen. Bin auch nicht der Größte, davor ist eine Blende und ich konnte nichts sehen. Da war noch einer, ein Jugendlicher, von dem habe ich aber nichts gewusst. Der war in der Ecke, der konnte gar nichts sehen. Er war, wenn man reinkommt, ganz rechts. Links vom Eingang waren zwei PCs gegenüber. Ich war auf dem rechten PC. Kannte den Anderen vom Sehen her. Wie die Person heißt, weiß ich nicht, aber er ist, glaube ich, Palästinenser. Er ist dann sofort zum Halit, hat sich niedergekniet, hat seinen Kopf gehalten, hat halt versucht, zu helfen. Halit hat hinter dem Tresen, also hinter seinem Tisch, gelegen. Wenn man das Internetcafé betritt, dann rechts.
Dass er erschossen wurde, habe ich dann auch erst gegen 11.00 Uhr oder 12.00 Uhr mitbekommen, im Revier. Da kam ein Polizeibeamter und fragte: Weißt Du überhaupt, was Sache ist? Davor dachte ich mir, er ist umgefallen wegen dem Geräusch und mit dem Kopf gegen eine Kante. Ich hab für eine Stunde gebucht gehabt und das war ziemlich gegen Ende hin. Bei der Aufregung, da konnte ich gar nichts wahrnehmen. Außer dem dumpfen Geräusch nichts gehört. Daraufhin war's leise, dann kam sein Vater und hat geschrien. Damals war ich 14 und Schüsse hab ich noch nie gehört gehabt. Ich war da ziemlich oft. Halit war wie ein großer Bruder für mich. Er war immer nett zu mir. Wir haben uns auch gut verstanden damals. Ich bin sehr oft vernommen worden. Er kam auch nicht nach hinten. Ich bin nicht nach vorne gegangen. Aussage bei Polizei: Kam ein älterer Mann in den Computerraum und fragte, ob jemand da sei. Er kam öfter. Er war 30 bis 40 Jahre alt, schwarze, kurze Haare, Schnurbart. Keine Erinnerung mehr. Ich hab Halit in den Armen von dem Palästinenser gesehen. Da war er (Zeuge stockt) – weiß ich jetzt nicht mehr. Zeuge kommt vor und erklärt anhand der Skizze dass er eine Frau mit einem kleinen Kind wahrgenommen hat. Sie war aber dann irgendwie verschwunden.
(Gunnar Breske, MDR)
12.09 Uhr.
S: Was haben Sie gespielt? – Vorhalt aus der polizeilichen Vernehmung des Zeugen: Gegen 16.50 Uhr hörte ich Knall, war mit "Call of Duty" befasst, dann nur gesurft ... Wie lang? Alles bevor der Vater reinkam?
Zeuge Emre E.: Als Vater rein kam, stand ich auf ...
Nachfrage Richter Götzl: An welchem PC saßen Sie? In Vernehmung Platz 3 angegeben - heute überzeugt Platz 4.
E.: Bleibt dabei: Platz 4.
(Thies Marsen, BR)
Richter Götzl: Wie viel Zeit zwischen Geräusch und Benutzung des PCs?
Emre E.: Fünf Minuten.
Zeuge E. zeigt auf dem Plan, wie Halit Yozgat lag und wo er gesessen hat.
Nebenklage-Anwalt Narin: War die Tür offen, als sie das Café betreten haben?
E.: Kann ich mich nicht mehr erinnern.
RA Narin: Mit Palästinenser gesprochen?
E.: Weiß ich nicht mehr.
RA Narin: Feuerwehrwagen?
E.: der stand da, bin hingelaufen, der hat gewendet und ist hingekommen.
RA Narin: Gerüche wahrgenommen?
E.: Nein.
Nebenklage-Anwalt Langer: Wie lief das ab im Internetcafé?
E.: Man ging rein, sagte man will Platz so und so viel, dann hat er das freigeschaltet und dann wurde das digital abgerechnet oder man konnte für eine Stunde buchen.
Langer: Musste von Halit Yozgat immer freigeschaltet werden, sonst lief es nicht?
E.: Nach meiner Erinnerung schon.
Langer: Vorher bezahlen?
E.: Ich hab das immer so gemacht: Erst bezahlt, nach der Zeit wurde Bildschirm gesperrt, dann bin ich rausgegangen.
Langer: Ist das bei Anderen anders gelaufen?
E.: Man konnte auch einfach reingehen und an den PC und je nachdem wurde dann bezahlt.
Nebenklage-Anwalt Clemm: Wie ist Kontakt zur Polizei zustande gekommen?
E.: Da wurde gefragt, wer war drinnen? Und ich habe mich gemeldet. Dann hat der gesagt: Du kommst jetzt mal mit.
Clemm: Haben sich noch mehr Personen gemeldet?
E.: Da wo ich stand, stand ich alleine.
Clemm hält aus Polizeiprotokoll vor.
E.: hat keine Erinnerung.
Rechtsanwältin Sturm (Verteidigung Zschäpe): Wurde Ihnen die Zeit irgendwo angezeigt, die Sie verbraucht haben?
E.: Am Bildschirm. Oben rechts oder unten rechts war eine Zeitangabe.
Sturm: Erinnern Sie sich noch, was Sie am PC gemacht haben?
E.: (etwas zögerlich) ein „Ego-Shooter“.
Sturm hält aus Protokoll vor: Hörte Knall, schaute nicht hoch, war im Chatroom von MSN - haben Sie da auch geschrieben?
E.: Da hab ich auch geschrieben. Nachdem ich den Vater gehört habe bin ich aufgestanden und vorgegangen.
Rechtsanwalt Pausch (Verteidiger Carsten S.): Als Sie das Geräusch hörten, surften sie nur noch oder spielten Sie nur noch?
E.: Nur noch gesurft.
Richter Götzl: Hält vor, aus Nachvernehmung: Kurz vor 17 Uhr schaute ich auf meine Uhr, ob die Zeit fürs Surfen vorbei war, da kam ein Mann in meinen Raum und fragte allgemein, ob jemand da wäre.
E.: Kann mich nicht erinnern.
Götzl: Kurz darauf kam der Mann nochmal und fragte wieder nach jemandem. Er ging dann wieder nach vorne zu den Telefonzellen, Schnurrbart, kein Türke, dunkle Haut.
(Heike Borufka, HR)
12.10 Uhr. Zeugin Hediye C., 33, Hausfrau: Ich ging dorthin, um mit der Türkei zu telefonieren. Mit meinem Kind ging ich rein. Der Mann hat mich empfangen. Es gab ein Familienzimmer dort. Ich habe die Tür zu gemacht. Ich habe also telefoniert mit der Türkei. Ich habe gesprochen. Ich bin aufgeregt. Nachdem ich am Telefon gesprochen hatte, habe ich Schreie gehört, nachdem ich cirka zehn Minuten im Zimmer war. Habe gedacht, es gibt eine Schlägerei. Als ich aber gehört habe, dass sein Vater geschrien hat, bin ich rausgegangen. Er sagte, sie sollen seinen Sohn erschossen haben. Ich bin mit meinem Kind raus. Dann kam die Ambulanz. Danach bin ich nach Hause. Ich war schwanger. Habe mich unwohl gefühlt. Von zu Hause aus bin ich ins Krankenhaus gefahren. Ich war im siebten Monat schwanger. Ich blieb vier Monate stationär im Krankenhaus. Ich habe das Kind frühzeitig geboren. Es war eine Frühgeburt. Er sollte einen Monat im Krankenhaus bleiben. Ich bin aufgeregt.
Richter Götzl hilft, indem er jetzt Fragen stellt.
Zeugin C.: Ich habe vergessen, aber es war gegen14.00 oder 15.00 Uhr. Ich glaube, gegen 15.00 Uhr. Nachdem ich fünf bis zehn Minuten drinnen gesprochen hatte, bin ich rausgerannt. Hatte mit meiner älteren Schwester gesprochen.
Götzl: Geräusche gehört?
C.: Ich hatte ein Kind, das zweieinhalb Jahre alt war. Das Kind spielte, deshalb habe ich nicht so viel gehört, aber ich habe das Schreien des Mannes gehört. Hatte den Kinderwagen, der war klein, bis zum Mann, der dort war, mitgenommen. Ich meine die Person, die erschossen wurde. Ich habe nur ihn gesehen, sonst niemand. Habe mich zehn bis15 Minuten dort aufgehalten.
Götzl: Lage des Opfers?
C.: Ich habe ihn nicht gesehen. Aufgrund der Schreie bin ich heraus gekommen. Weil mein Kind geweint hat, habe ich es mitgenommen und bin heraus gegangen. Ich habe seitdem Angst in geschlossenen Räumen. Und wenn das Kind laut ist, habe ich Angst. Ich weiß nicht genau, ob ich mit meiner Schwester oder meinem Bruder gesprochen habe, aber ich habe gesprochen. Ich habe zunächst telefoniert, einmal aufgelegt, dann nochmal gesprochen. Bei Polizei ausgesagt: Habe dreimal Geräusche gehört, so: tak, tak, tak. So, als ob draußen jemand an die Wand klopft. Es war aber kein Klopfen an die Kabinentür selbst. Heute weiß ich das nicht mehr genau.
Götzl: Schüsse gehört?
C.: Nein, habe ich nicht gehört.
Gegen die Tür wurde nicht geklopft, aber mir kam es so vor, also ob cirka drei Minuten vor dem Schreien eine Person mit einer schwarzen Jacke vorbei ging. Habe die Person nicht genau gesehen. Habe das Gesicht nicht gesehen.
Götzl hält vor: Bei Polizei ausgesagt: War langer Kerl, größer als mein Mann. Mein Mann ist 1,72 Meter. Die Zeugin bestätigt das. Trug eine dunkle Jacke. War schon ein Geräusch, aber weil mein Kind neben mir gespielt hat, konnte ich das nicht genau verstehen. Einerseits habe ich telefoniert, andererseits spielte mein Kind.
Götzl hält vor: Bei Polizei ausgesagt: an die Tür geklopft. Heute: An die Tür hat niemand geklopft, sonst hätte ich das gehört. Das mit der Tür fällt mir nicht ein, aber dass er so vorbei ging, das weiß ich.
Rechtsanwalt Nahrath (Verteidigung Wohlleben): Noch andere gesehen, als Sie rauskamen?
Zeugin C.: Als ich herauskam, fragte ich, was ist passiert? Er hat gesagt, sie haben meinen Sohn erschossen.
Nahrath: War außer Vater und Sohn jemand in Laden?
C.: Im Internetbereich waren schon vorher Personen. Als ich heraus kam, lief der Vater hin und her. Also, mir fällt das jetzt nicht ein, ob noch mehr da waren.
(Im folgenden geht es um den ehemaligen Verfassungsschützer Andreas T., der – zufällig oder nicht – am Tatort war, Yozgats Internetcafé in Kassel.)
(Gunnar Breske, MDR)
Antrag Nebenklage-Anwältin Basay: Beiziehen der Akten zur TKÜ (Telekommunikationsüberwachung) zum Beschuldigten Andreas T. - T. telefonierte nach Verlassen des Internetcafés um 17.19 Uhr mit einer Quelle aus der rechten Szene. Basay referiert problematische Punkte in Bezug auf T.: Ablehnung der polizeilichen Vernehmung der V-Leute, Gespräch von T. über den Fall mit Vorgesetzten, Aussagen der Vorgesetzten im Untersuchungsausschuss des Bundestages und so weiter. Richter Götzl moniert, der Antrag hätte weit vorher gestellt werden können. Pause bis 14.00 Uhr.
(Heike Borufka, HR)
14.08 Uhr. Richter Götzl: Stellungnahmen zu diesem Antrag?
Bundesanwalt Diemer: Seit zwei Monaten bekannt, dass Andreas T. zum Prozess kommt. Halte es für unsachgerecht, einen solchen Antrag zu stellen, wenn der Zeuge schon vor der Tür steht. In der Sache treten wir dem Antrag entgegen.
Oberstaatsanwalt Weingarten: Wir beantragen, die Beiziehung der bei der Bundesanwaltschaft liegenden Akten, abzulehnen. Die Akten sind aus der eingestellten Ermittlung der Staatsanwaltschaft Kassel. Deshalb behandelt die Bundesanwaltschaft die Akten als Spurenakten, die nicht zuletzt zum Schutz der Persönlichkeitsrechte von T. und anderen nicht zu den Gerichtsakten genommen worden sind. Behauptung der Nebenklage, nicht Akteneinsicht bekommen zu haben, ist falsch. Hätten schon längst eingesehen werden können. Antragsteller haben nicht einmal einen solchen Antrag gestellt. Andere haben dies schon längst getan und die Akten eingesehen.
Rechtsanwalt Rabe (Nebenklage, Familie Simsek): Diese Akten liegen uns eindeutig nicht vor, auch Gericht nicht. Sind überzeugt, diese Spurenakten gehören zu Sachakten. T. ist wichtiger Zeuge. Um seine Glaubwürdigkeit zu beurteilen, ist es wichtig, alle Vernehmungen von ihm zu kennen. Deshalb unerlässlich.
Rechtsanwältin Dierbach: Zeuge T. hat potentiell eine so große Beweisbedeutung, dass diese Akten von Bedeutung sind. Unterstützen den Antrag von Beiziehung. Beiziehung ist etwas anderes als Einsicht. Zu Frage Persönlichkeitsrecht: T. hat selbst mit Printmedien und Rundfunk gesprochen.
Rechtsanwältin Clemm: pflichtet bei.
Richter Götzl zu Anwalt Rabe: Lasse mir keine Bedingungen von Ihnen auferlegen. Mich unter Druck setzen, geht nicht. Geht ja letztlich um die Möglichkeit, dass Sie Schwierigkeiten bei der Befragung sehen, wenn Sie Akten nicht eingesehen haben. Jetzt ist es halb drei. Wenn wir mit der Vernehmung beginnen, werden wir bis zu einem gewissen Punkt kommen. Denke, wir werden Sie sowieso unterbrechen müssen. Sollten jetzt damit anfangen.
Oberstaatsanwalt Weingarten: Bei aller Liebe zum Pragmatismus ist die Frage der Beiziehung eine prinzipielle Frage. Angaben zu Privat- und Intimsphäre in den Akten. Wir sind ausdrücklich dagegen, dass der Aktenbestand der Allgemeinheit zugänglich gemacht wird.
Richter Götzl: Dann haben Sie jetzt nicht zugehört, es geht jetzt um die Frage, ob der Zeuge T. jetzt vernommen werden kann. Ich habe nicht vor, außer Sie beantragen das jetzt, über diese Frage jetzt zu entscheiden. Wenn’s nach mir geht, will ich mit der Zeugenvernehmung jetzt beginnen.
14.24 Uhr. Zeuge Andreas T. (glatzköpfig, dunkel gekleidet), 46, Beamter des Landes Hessen.
Aussagegenehmigung RP (Regierungspräsident) Kassel: Erteile Ihnen die Genehmigung, als Zeuge auszusagen. Von der Genehmigung ist die Vorlage sächlicher Beweismittel, insbesondere der Akten nicht erfasst.
Richter Götzl: Herr T., es geht uns um den Tod Halit Yozgats. Uns würde interessieren, was Sie damals für Beobachtungen gemacht haben, wie lange Sie vor Ort waren. Ich belehre Sie vorsorglich nach §55 (Aussageverweigerungsrecht, um sich nicht selbst zu belasten).
Zeuge Andreas T.: Ich bin an diesem Tag nach Dienstschluss bei dem Internetcafé vorbeigefahren, hab vor dem Café angehalten und wollte für einige Minuten reingehen, um auf einer Internetseite nachzuschauen, ob Nachrichten für mich eingegangen sind, ob jemand da war. Ich war nicht zum ersten Mal da. An diesem Tag hab ich das Café betreten. Herr Halit Yozgat hat mir einen Platz zugewiesen. Habe mich auf diesem Chatportal eingeloggt, habe etwa zehn Minuten gesurft, wie ich es aus dem Protokoll weiß, hab‘ Café wieder verlassen, mich ausgeloggt, Programm runtergefahren. Bin nach vorne gegangen, um zu bezahlen. Hab Herrn Yozgat nicht wahrgenommen, nicht gesehen. Bin zur Tür rausgegangen, ob er draußen ist. Hab ihn nicht gesehen, bin nochmal rein. Bin in rückwärtigen Raum, soweit ich mich erinnere. Hab ihn dort auch nicht wahrgenommen. Hab kurzen Moment im Vorraum gestanden. Weil ich nach Hause wollte, hab‘ ich mir dann gedacht, ich lege das übliche Geld hin. Damals dachte ich nicht, dass es mein letzter Besuch war. Wollte ihm beim nächsten Mal sagen, hab‘ 50 Cent auf den Tresen gelegt, bin in mein Auto und nach Hause gefahren. Am nächsten Tag hatte ich frei. Von der Tat hab ich erst am Sonntag erfahren aus der örtlichen Zeitung. Am nächsten Tag hab ich meine Stempelkarte in der Behörde angeguckt. Hab festgestellt, dass ich nur am Mittwoch dort gewesen sein kann. Bin dem Trugschluss unterlegen, ich war 24 Stunden vor der Tat da und habe mich dann deshalb nicht bei der Polizei gemeldet. War ein Fehler, grundsätzlich mit niemandem zu sprechen, war mir klar. In der Folge kam dann am 21. April die Polizei zu mir und eröffnete mir, dass sich herausgestellt hat, dass ich an dem Tag, an dem die Tat geschehen ist, dort war. Bin mitgenommen worden und verhört worden. Am 22. April konnte ich dann gehen. Es folgten dann noch weitere Verhöre in der Folgezeit. Es ist mir eigentlich später bewusst geworden, dass es falsch war, mit niemandem zu sprechen. Ich hatte auch die Gelegenheit dazu, auf meiner Dienststelle oder mit der Polizei. Hatte auch private Gründe, weil ich jung verheiratet war. Habe mir gedacht, es hätte auch dienstliche Nachteile, weil in der Nähe des Internetcafés ein Beobachtungsobjekt war. Mir war bewusst, dass es nicht zu den guten Arbeitsmethoden eines V-Mann-Führers gehört, sich in der Nähe eines Beobachtungsobjekts herum zu treiben.
Richter Götzl fragt nach Tätigkeit damals.
Zeuge Andreas T.: Ich war damit befasst, menschliche Quellen zu führen, so genannte V-Leute. Mein Schwerpunkt lag im Bereich des Islamismus.
T. dazu dass er nicht zur Polizei ging: Diese Einschätzung war subjektiv von mir. Ist mir klar, dass meine Einschätzung völlig falsch war. Aus heutiger Sicht völlig klar, dass ich meine Prioritäten falsch gesetzt habe. Erleichtert hat es mich, dass ich überhaupt keine Wahrnehmungen gemacht habe und es mir nicht seltsam vorkam, dass ich ihn nicht angetroffen habe. Ich muss sagen, aus heutiger Sicht war meine Handlungsweise völlig falsch. Habe selber Schwierigkeiten, es mir zu erklären, aber es ist leider so gewesen.
Richter Götzl: Wie viele Quellen geführt?
Andreas T: Fünf Quellen im Bereich Islamismus, eine im Bereich Rechtsextremismus.
Götzl: Diese Quelle im Bereich des Rechtsextremismus: Können Sie darauf genauer eingehen, wie Sie Kontakt hatten?
T.: Nicht aus eigener Erinnerung, aber aus dem, was ich rekonstruieren konnte direkt nach meiner Vernehmung beim Generalbundesanwalt. Dort wurde mir vorgehalten, dass es zwei Verbindungen mit der Quelle an dem Tag gegeben hat. Das war mir gar nicht mehr bewusst. War auch 2006 bei den Vernehmungen nicht erwähnt worden. Habe angeboten, dass ich den Kalender einsehe. Konnte daraus rekonstruieren, dass die Quelle mich gegen Mittag versucht hat, anzurufen. Kann nicht mehr sagen, ob ich rangegangen bin. Jedenfalls habe ich ihn später aus dem Büro angerufen und einen Termin für Montag, 10. April, ausgemacht. Hat sich offenbar gemeldet, weil er für April noch kein Geld bekommen hat. In Kalendereinträgen stand das. Konnte mich nicht erinnern.
Götzl: Worum ging es bei diesen Informationen, die Sie von der Quelle erhalten hatten?
T.: Ging um den Bereich der rechtsextremistischen Parteienlandschaft. Die Frage nach dem genauen Zielobjekt für die Quelle war schon Teil der Erörterung im Bundestags-U-Ausschuss. Durfte ich nicht nennen, ging um kleine unspektakuläre Partei im rechten Bereich. Hab diese Person nach meiner Ausbildung übernommen. Ging wohl darum, zu gucken, ob ich mich in dieser Position eigne.
Götzl: Ab wann beim Landesamt für Verfassungsschutz?
T.: War früher bei Deutscher Bundespost tätig. Im Februar 1994 zunächst für drei Monate abgeordnet worden, im Mai versetzt worden. War zunächst in Südhessen im Bereich der Observationen tätig. Dann ergab sich die Möglichkeit, in meine Heimat, nach Nordhessen, zurückzukehren. Habe mich im mittleren Dienst mit Ermittlungen beschäftigt. Dann habe ich im Jahr 2000 die Möglichkeit gehabt, in gehobenen Dienst aufzusteigen. War bis 2003 abgeordnet. Nach Ende der Ausbildung wurde ich mit der Quellenführung betraut. Diese Tätigkeit habe ich dann ausgeübt bis 21. April, bis zu meiner Suspendierung.
Götzl: Worum ging es bei den Gesprächen vor dem fraglichen Tag und beim nächsten Gespräch?
T.: Also, üblicherweise habe ich versucht, von der Quelle Informationen zu bekommen über diese Partei. Das lief recht schleppend, auch weil die Partei keine große Aktivität an den Tag legte. Teilweise war es dann so, dass nur allgemeine Dinge besprochen wurden. Man spricht natürlich auch persönliche Dinge an, nicht die eigenen, sondern die der Quelle. Habe an dieses Gespräch keine Erinnerung mehr. Konnte nur anhand des Kalenders rekonstruieren, dass dieses Gespräch stattgefunden hat. Ich war sehr aufgewühlt, nachdem ich von der Tat erfahren habe. Ich weiß nicht, ob er mir Informationen gegeben hat, die ich in Berichtsform weiterleiten könnte. Was ich definitiv weiß, ist, dass ich keine Informationen im Zusammenhang mit der Tat bekommen habe. Habe seitdem auch keinen Zugang mehr zu meinen Aufzeichnungen. Weiß deshalb auch nicht mehr, ob ich einen Bericht gefertigt habe.
Götzl: Haben Sie mit der Quelle über diese Tat gesprochen?
T.: Er hat mich offensichtlich auf das Thema angesprochen und ich habe es offenbar relativ schnell beiseite gedrängt. Kann mich aber nicht mehr erinnern. Erfuhr ich im Bundestagsuntersuchungsausschuss. Keine eigenen Erinnerungen daran, vermutlich, weil ich so aufgewühlt war. Er hat offenbar danach gefragt.
Götzl: Wann war letzter Kontakt vor dem Tatgeschehen?
T.: Kann ich so nicht einordnen, könnte ich aus Kalender lesen. Sind vermutlich beim BVA oder bei meiner alten Dienststelle.
Götzl: Wie kamen Sie dazu, eine falsche Zuordnung hinsichtlich des Tages zu treffen? Wie war die Entwicklung und wie haben Sie das rekonstruiert?
T.: War auf meiner Stempelkarte: Am Mittwoch bin ich früher gegangen und am Donnerstag wohl um 16.45 Uhr. Das, was dann bei den Überlegungen in meinem Kopf stattgefunden haben muss, ist, dass es dieser Donnerstag gar nicht gewesen sein konnte. Dieses Problem, was jeder andere hat, mir zu glauben, hatte ich in dem Moment selber und dann hat mir geholfen, dass ich gesehen habe: am Mittwoch bist du früher rausgegangen als sonst. Bis zu dem Moment, an dem mir massiv klar gemacht worden ist, dass es so nicht gewesen sein kann.
Götzl: Ist ja nur ein kurzer Zeitraum, von Sonntag, Information und Ereignisse, die liegen nur ganz wenige Tage zurück. Ich habe da Schwierigkeiten. Was war denn an den anderen Tagen?
T.: Zum einen war es so, dass ich bedingt durch das Chatten recht häufig im Café war in der Zeit vorher. Es war mir selber gar nicht mehr möglich, dass ich die einzelnen Tage… Bin teilweise auch tagsüber in der Pause dagewesen. Hatte für mich gar keine Möglichkeit, das für mich sicher zu prüfen. Leider war es auch so, dass ich mich leider gedanklich sehr schnell auf diese Erklärung für mich zurückgezogen habe. Ich bin auch nicht stolz darauf.
Götzl: Waren sie denn in der Woche in einer andere Zeit im Internetcafé gewesen?
T.: War in verschiedenen Internetcafés in Kassel, so dass ich gar nicht mehr in der Lage war zu sagen, zu welcher Zeit ich wo war.
Götzl: Sie haben versucht, das Ganze zu rekonstruieren?
T.: Ja und dabei habe ich es mir leider sehr leicht gemacht. Ich kann nicht so dicht an dem Verbrechen gewesen sein und nichts, aber auch gar nichts mitbekommen haben. Ich hab auch später versucht, in Gesprächen mit einem Psychologen rauszufinden versucht, ob das irgendwie erklärbar war. Aber ich bin zu keinem Ergebnis gekommen. Diesen Trugschluss begreife ich selbst nicht, aber den kann ich auch nicht ungeschehen machen. Dass ich mich geirrt habe in dem Tag, ist mir klar geworden am 21. April, aber da stand die Polizei ja schon bei mir. Da musste ich den Gedanken nicht mehr revidieren, da wurde ich ja eingeholt. Wir erwarteten unser erstes gemeinsames Kind und ich in einem Internetcafé chattend, ich hatte Angst um meine Beziehung und alles, was da kommen sollte. Hat dazu geführt, dass ich diese Fehleinschätzung dankbar angenommen hatte. Alles zusammen muss das bei mir ausgelöst haben.
Götzl: Wie kommt es dazu, dass Sie sagen, Sie hatten Angst? Die Frage stellt sich einfach, ob Sie sich hier raushalten wollten, aus welchen Gründen auch immer.
T.: Nein, wenn ich irgendetwas wahrgenommen hätte, hätte ich nie zu dieser Einschätzung kommen können. Dann hätte ich das Gespräch gesucht.
Götzl: Dann wäre die Angst nachvollziehbar.
T.: Diese Angst hatte nichts damit zu tun, dass ich irgendetwas gesehen oder mitbekommen hätte. Sonst wäre das ja anders herum gewesen.
Götzl: Haben Sie rekonstruiert, was Sie an den jeweiligen Tagen gemacht haben? Sind nur sehr wenige Tage und das Ganze ist ja sehr übersichtlich.
T.: Dienstag bis Donnerstag habe ich tagsüber meinen üblichen Dienst gemacht. Für Mittwoch kann ich es aus Erinnerung heraus nicht sagen. Freitag hatte ich Urlaub, da war der Geburtstag von meiner Mutter. Da war ich mit meiner Frau unterwegs. Vormittags war ich in der Stadt einkaufen. Samstag war ganz normal. Am Sonntag habe ich dann irgendwann im Verlauf des Tages von dem Vorkommnis erfahren.
Götzl: Wir werden jetzt mal 15 Minuten Pause machen, ich würde Sie bitten, das zum einen zur Erholung, aber auch zum Überlegen zu nutzen.
(Holger Schmidt, SWR)
16.25 Uhr. Richter Götzl hakt nach. Privater Bereich?
Zeuge Andreas T.: Ich war jung verheiratet, wir erwarteten unser erstes gemeinsames Kind, stockt, und ich gehe chatten, das ging nicht. Habe mir eingeredet, es war ein anderer Tag. Hatte Angst, alles zu verlieren.
Götzl: Wieso soll das dienstliche und private Konsequenzen haben?
T.: Privat: Problem: Wie Internetcafé erklären? Dienstlich: Problem: Was machst Du da? Diese Dinge waren ...
Götzl: Hatte Ehefrau etwas dagegen, dass Sie ein Internetcafé betreten? Hatte Ihr Dienstherr was dagegen?
T.: Dienstlich war es meine Befürchtung!
Götzl: Das ist subjektiv.
T.: Objektiven Grund gab es nicht. Privat: Als meine Frau davon erfahren hat, war die Situation eine ganz andere. Wenn ich ihr irgendwas dazu erzählt hätte, hätte ich es ihr sicher verkaufen können.
Götzl: In der Logik Ihrer Erklärung ist das nicht zu erklären, warum Sie geschockt und aufgewühlt gewesen sind, weil Sie zu einem Zeitpunkt in einem Internetcafé waren, zu dem gar nichts passiert ist. Die Frage ist doch, ob Sie sich raushalten wollten, aus welchen Gründen auch immer.
T.: Wenn ich etwas wahrgenommen hätte, hätte ich nicht so handeln können. Diese Angst hatte nichts damit zu tun, dass ich irgendetwas gesehen oder mitbekommen hätte. Ich hätte ja niemals auf den Gedanken kommen können, wenn in meinem Kopf gewesen wäre: "Ja, du hast dir das ja nur schön geredet".
(Heike Borufka, HR)
15.46 Uhr. Richter Götzl fasst zusammen, aus Sicht des Zeugen: Hatten jetzt Tage rekapituliert. Sie standen vor einem verlängerten Wochenende. Besuch in dem Internetcafé war doch das letzte, bevor Sie ins lange Wochenende gingen. Insofern besteht die Frage, wie es zu der Fehleinordnung kommen konnte.
T: Bin vom Büro aus mit dem Auto am Internetcafé nicht vorbeigefahren, sondern hab angehalten. Danach bin ich auf direktem Wege nach Hause gefahren. Ich hab eben die Viertelstunde da gesessen und versucht, eine Antwort zu finden. Ich mache mir wirklich über diesen Punkt "Warum?" seit 2006 immer wieder Gedanken und versuche immer wieder zu ergründen: "Wie bist du darauf gekommen, dass du Mittwoch in dem Café warst?" Ich habe bis heute leider darauf keine Antwort gefunden. Ich verstehe mich selber nicht. Ich komme selber zu keiner Lösung. Ich hätte selbst gerne eine, um das ganze Geschehen zu verarbeiten. Es gelingt mir nicht. Es tut mir leid.
Götzl: Sie waren geübt, Beobachtungen zu machen. Sie waren ein gewisses Training ja gewohnt. Wie kann es da zu einer solchen Fehleinordnung kommen?
T.: Bei Observationen liegt die Aufmerksamkeit auf einem ganz bestimmten Ziel. Tätigkeit war immer entsprechend zielgerichtet. Ich weiß sicher noch, dass Herr Halit Yozgat mir den Platz zugesichert hat. Ich weiß auch, dass ich nicht alleine in dem hinteren Raum war. Ich bin in das Café reingekommen. Mir wurde der Platz an dem PC zugewiesen. Ich habe mich eingeloggt. Nach gefühlten einigen Minuten, vielleicht zehn Minuten, habe ich mich dann wieder ausgeloggt und wollte dann wegfahren.
Götzl: Wann waren Sie etwa dort?
T.: Ich hab wohl gegen viertel vor fünf ausgestempelt. Der Weg war nur sehr kurz. Habe mich dann so gegen zehn vor fünf eingeloggt und gegen fünf ausgeloggt. Der Platz war ziemlich mitten im Raum. Es war der PC Nummer 2. Ich habe nach eingegangenen Nachrichten geguckt, wohl auch etwas geschrieben. Soweit ich mich erinnere, war ich wohl nur auf dieser Chatline.
Götzl: Warum wollten Sie das noch erledigen und was haben Sie noch erledigt?
T.: Auf dieser Chatline ganz trivial zu gucken, ob Nachrichten eingegangen sind und wohl auch noch, um welche zu schreiben.
Götzl: Waren noch andere Personen da?
T.: Ich weiß noch, ich war nicht alleine im Raum. Alles andere ist verwässert worden durch all das andere, was ich später noch erfahren habe. Bewusst keine Erinnerungen an andere Personen.
(Zschäpe schaukelt auf ihrem Stuhl hin und her, Arme vor der Brust verschränkt.)
Götzl: Haben Sie mit jemandem gesprochen?
T.: Nein.
Götzl: Wie oft waren Sie dort?
T.: Mehrmals die Woche.
Götzl: Wie haben Sie es normalerweise mit der Bezahlung gehalten?
T.: Ich habe mich ausgeloggt, bin vor gegangen und er hat mir gesagt, was ich bezahlen soll.
Götzl: Haben Sie nicht in Betracht gezogen, zu warten, bis Herr Yozgat wieder da ist?
T.: Ich hatte leider den umgekehrten Schluss gezogen, dachte, dass ich das Geld da hinlege und in ein paar Tagen frage: "Haben Sie das Geld gefunden?"
Götzl: Gab's irgendwelche Termine, die Sie noch hatten?
T.: Wollte einfach nur nach Hause. Waren gerade umgezogen. Wollte einfach nur nach Hause.
Götzl: Haben Sie beim Verlassen des Internetcafés noch irgendwelche Personen angetroffen?
T.: Nein, Weg zum Auto war sehr kurz. Ich parkte vor dem Internetcafé auf dem langen Parkstreifen. Götzl: Sind Ihnen irgendwelche Blutspuren im vorderen Bereich des Internetcafés aufgefallen?
T.: Nein.
Götzl: Haben sie irgendwelche Geräusche wahrgenommen?
T.: Aus der damaligen Erinnerung? Nein. Ich weiß noch, dass ich das, was ich damals ausgesagt habe, wahrheitsgemäß gemacht habe.
Götzl: Welche Position haben Sie zu dem Schreibtisch eingenommen?
T.: Um in den vorderen Raum zu kommen, bin ich an der Schmalseite des Tisches vorbeigegangen. Hab den Tisch nicht wahrgenommen. Bin rausgegangen und wieder rein, also dreimal daran vorbei. Als ich 50 Cent hinlegte, stand ich vor dem Tresen an der langen Seite.
Götzl: Wie groß sind Sie?
T.: Etwa 1,89 Meter.
Götzl: Haben Sie hinter den Tisch geblickt?
T.: Nein.
Götzl: Haben Sie sich Gedanken dazu gemacht, wo Herr Yozgat sich aufhält?
T.: Im ersten Moment hatte ich den Gedanken, wo ist er. Dann beim Reinkommen hatte ich den Gedanken, dass er vielleicht da ist, wo die Toiletten sind. Weitere Gedanken habe ich mir in dem Moment nicht mehr gemacht, weil ich mir natürlich auch nicht vorstellen konnte, dass so etwas Schreckliches passiert sein konnte.
Götzl: Wir werden Ihre Einvernahme jetzt unterbrechen und Sie erneut vorladen. Ich weiß noch nicht, wann.
T.: Darf ich vielleicht noch die Gelegenheit nutzen, den Opfern und den Hinterbliebenen mein tief empfundenes Mitleid auszusprechen.
16.20 Uhr.
Rechtsanwalt Behnke (Nebenklage): Die Eindrücke, die die Zeugenaussagen hinterlassen haben: Das Bedrückendste ist das offensichtliche völlige Fehlen des Verständnisses für die Opfer. Psychologische Bruchlosigkeit. Wurde deutlich, dass die Taten nur das Töten von Menschen ohne persönliche Motive zum Ziel hatten. Über diese Aussagen kann das Gericht nicht hinweggehen, hat für das weitere Vorgehen Bedeutung. Ist dringend nötig, dass Angeklagte Zschäpe endlich zu den Vorwürfen Stellung nimmt.
(Zschäpe schaut aufmerksam zu ihm.)
Behnke: Die beiden Zeugen haben mich veranlasst, diesen Appell an die Angeklagte auszusprechen, nun endlich mal was zu sagen.
Hinweis
Diese Texte sind eine Auswahl der Mitschriften der Reporter der ARD und des BR während der zentralen Verhandlungstage im sogenannten "NSU-Prozess", eines beispiellosen Verfahrens der deutschen Rechtsgeschichte. Wir dokumentieren diesen "Originalton", weil es in der deutschen Praxis des Strafprozessrechts, selbst bei derartig wichtigen Verfahren, kein offizielles und umfassendes Gerichtsprotokoll gibt. Wir erfüllen damit unsere Informationspflicht, um allen, die keinen der begehrten Sitzplätze im Gerichtssaal erhalten haben, einen - durchaus auch subjektiven - Eindruck der Prozessereignisse zu vermitteln. Die Zusammenfassungen der sogenannten "Saalinfos" unserer Reporter sind redaktionell bearbeitet, zum Teil gekürzt. Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben und es kann natürlich auch keine Gewähr für die Richtigkeit jedes einzelnen Wortes gegeben werden. Die Redaktion distanziert sich ausdrücklich von den Inhalten der Aussagen der Prozessteilnehmer.