NSU-Prozess: Gerichtssaal-Protokoll 82. Verhandlungstag, 03.02.2014
Am 82. Verhandlungstag hört das Gericht eine ehemalige Zwickauer Nachbarin von Beate Zschäpe und einen Mediziner, der der einen durch das NSU-Attentat in Heilbronn schwer verletzten Polizisten behandelte.
Sindy P., eine 28-jährige Verkäuferin, hat mehrere Jahre in der Zwickauer Polenzstraße als Nachbarin von Zschäpe gelebt. Nach Sindy P. hat das Gericht Dr. med Rudolf v. S. vernommen, der den durch das NSU-Attentat in Heilbronn schwer verletzten Polizisten Martin A. behandelt hatte. Martin A. war der Kollege der von Böhnhardt und Mundlos getöteten Polizistin Michèle Kiesewetter.
Zeugen:
Sindy P. (Komplex Polenzstraße)
Dr. med. Rudolf v. S. (Tatkomplex Kiesewetter, Behandlung Martin A.)
ARD-Reporter über das Geschehen im Gerichtssaal
(Eckhart Querner u. Tim Aßmann, BR)
Beginn 9.55 Uhr.
Es kommt Frau P., Sindy, 28 Jahre alt, Verkäuferin, Zwickau, stämmig, lange offene dunkle Haare in den Spitzen irgendwie rot.
Richter Mandred Götzl: Sie haben lange in der Polenzstr. (erste Wohnung des Trios in Zwickau) gewohnt. Kontakte zu einer Susann? Was können sie dazu erzählen?
Sindy P: Sind wegen meinen Eltern dahin gezogen. Erst Polenzstraße 2, dann Nummer 4
G: Wann dort gewohnt? Mit welchen Bewohnern Kontakt gehabt?
P: Ach Gott. Wann hingezogen? Vor vier, fünf Jahren weggezogen. Kontakt zu meinen Eltern sowie Familie K. und Familie R.
G: Weitere?
P: Die Frau S., Fam. B., der Herr St. der Hausmeister. Ja das war es eigentlich schon.
P: Man hatte Kontakt wenn man im Hof saß im Sommer draußen, hat man sich unterhalten, gegrillt, zusammen gegessen. Haben uns ganz normal unterhalten, mal nen Wein zusammen getrunken - was soll ich Ihnen noch erzählen?
G: Was sagt Ihnen der Name Susann?
P: Als ich in die Polenzstr. kam, hab ich sie (Zschäpe) unter dem Namen Lisa kennen gelernt.
G: Wann war das?
P: Als wir in der Polenzstr. 2 gewohnt haben.
G: Können Sie uns die Susann, Lisa beschreiben?
P: Wir haben gleiches Verhältnis gehabt wie zu anderen Nachbarn. Sie hat mit meiner Tochter gealbert, wir haben zusammen geredet, geraucht.
G: Lisa - Susann - können Sie etwas zu den Namen sagen?
P: Das (der Name "Susann" für Zschäpe) soll von einem Kind gekommen sein, das sie so angesprochen hat. Dann hat sich das so eingebürgert. Ich hab sie mit Namen Susann nicht angesprochen. Wir saßen zusammen, sie hat uns öfter besucht. Wir haben gegrillt, Abende mit den Kindern im Hof verbracht. Haben uns über Alltagsdinge unterhalten. Sie hat erzählt, dass sie viel verreisen, viel Urlaub machen. Ich hab in der Polenzstr. meistens nur die Lisa gesehen, die anderen beiden Herren eher selten.
G: Wen?
P: Ich kann die nicht so gut auseinander halten: Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos.
G: Wie lange waren sie in der Polenzstr. 2 gewesen?
P: Drei Jahre in der Polenzstr. 2. Wir haben Lisa nach und nach kennengelernt, über die anderen Bewohner.
G: Bei Keller-Übernahme, wie war Situation? (P. übernahm Kellerraum vom Trio)
P: Lisa hat gesagt, dass wir Hausmeister kontaktieren müssen. Mann (einer der Uwes?) hat sich ganz normal verhalten. Lisa hat bei uns in der Polenzstr. 2 gewohnt, daneben war die Schuldnerberatung.
G: Hat sie darüber berichtet, ob sie alleine wohnt oder jemand anderer auch?
P: Mein Stand war, dass sie studiert und ihr Freund irgendwas mit Elektro.
G: Hat sie mal erzählt, was sie studiert?
P: Nein. Ich hab wohl nur mitbekommen, dass sie gerne gelesen hat. Sie hat sich oft Bücher gekauft.
G: Konnten Sie den Äußerungen von Lisa entnehmen, dass ihr Freund in ihrer Wohnung wohnt?
P: Nein.
P: Manchmal ist sie vorbeigekommen, hat gefragt: wie siehts aus? haste Zeit, 'nen Kaffee zu trinken?
G: Wie kam es, dass im Keller ihr Freund zugegen war?
P: Keine Ahnung. Vorgestellt hat sie ihn uns nicht. Er hat hallo gesagt, Keller leer gemacht, dann Übergabe. Es war der Mann, den ich schon mal gesehen hatte, als ich ihm mal an der Haustür begegnet bin.
G: Also haben Sie ihn zweimal gesehen, einmal im Keller und einmal an der Haustüre?
P: Genau.
G: Wie häufig haben Sie sich gesehen in der Zeit?
P: Wie gesagt, ich hatte auch viel Kontakt zu Frau K. Dann hat man sich auch dort getroffen. Insgesamt so zwei bis dreimal pro Woche!
G: Das ist ja relativ häufig. Gesprächsthemen?
P: Das war mehr oder weniger von unserer Seite her. Man hat Lisa nicht so gefragt. Sie war 'ne Zuhörerin.
G: Wie war Situation nach Lisas Auszug?
P: Lisa wäre ja auch nicht ausgezogen, aber es ging um Wasserschaden, der bei ihr war. Mein Vater, der in der Polenzstr. Hausmeister war, hat sich mit mir mal Wasserschaden im Bad in Lisas Wohnung angesehen. Wasserflecken an der Wand, verrostete Heizung.
G: Haben Sie andere Räumlichkeiten der Wohnung gesehen?
P: Nein, sie hat uns gleich ins Bad geführt.
G: Wie lange zwischen Wasserschaden und Lisas Auszug?
P: Ein bis zwei Monate. Wir haben uns danach nach wie vor getroffen oder sie kam vorbei. War wie sonst. Man hat sich nicht mehr so häufig gesehen. Telefonnummer hatte ich nicht von ihr.
G: Wann hatten Sie letzten Kontakt zu ihr?
P: Das weiß ich nicht mehr. Am Schluss kam sie gar nicht mehr
G: Gab's einen Grund dafür?
P: Nein.
G: Haben Sie mal nach Telefonnummer gefragt?
P: Ehrlich gesagt nicht.
10.50 Uhr.
G: Ich leg' Ihnen jetzt Lichtbilder vor.
P: (Zeigt auf Foto Mundlos): Das ist der Herr, der uns den Keller übergeben hat. (Zeigt auf Foto Zschäpe): Das ist Lisa. (Zeigt auf Foto Böhnhardt): Dieses Bild kenn ich nur aus dem Fernsehen von den Berichten.
G: Haben Sie sich mal über Politik unterhalten?
P: Nein.
G. hält vor (aus polizeilicher Vernehmung von Sindy P.): Ich habe Susann auch an und ab mal in der Stadt getroffen. da hat sie Dinge für Kinder aus ihrem Freundeskreis gekauft.
P: Hat sie mir gesagt aber gesehen hab' ich es nicht.
G: Hat Lisa auch Wein getrunken?
P: Ja natürlich. Auf ganzen Abend verteilt vielleicht zwei, drei Gläser.
G: Hat man ihr da was angemerkt?
P: Nee eigentlich wie immer also.
G. hält vor: Susann kam öfter bei mir in der Äußeren Plauenschenstr. vorbei, mit Frau K. (also nachdem die Zeugin aus der Polenzstr. weggezogen war).
P: Ja.
G: Sind sie mal um irgendwelche Erledigungen gebeten worden? Post oder so?
P: Nee. Das hat sie alles selbst gemacht. Bei uns hat auch niemand geklingelt. Post oder so wie es üblich wäre.
G: Gab's gemeinsame Fotos?
P: Frau K. hat mal ein, zwei gemacht.
P: Gab dann Streit mit Frau K. und da hab ich sie (Lisa) auch nicht mehr gesehen. Ich hatte was weiter erzählt (über K.). Lisa wollte, dass wir uns wieder vertragen (P. und K.).
G: Was wusste Lisa über sie und ihre Familie? Was haben sie ihr so erzählt?
P: Dass ich mal selbstständig war, wo mein Mann arbeitet, meine Tochter zur Schule geht.
G: Wusste sie ihre Geburtsdaten?
P: Das wüsste ich nicht. Von uns jetzt selber nicht. Nein.
G: Hießen sie damals schon P.?
P: Nein. noch S. Habe am 20.3.2010 geheiratet. Ab dann hieß ich P.
Pause bis 11.05 Uhr.
(Tim Aßmann, BR)
11.10 Uhr.
G: hält vor: in Brandschutt Frühlingsstr. Dokumente auf "Lisa P." (also Nachname der Zeugin) gefunden. Lisa mal irgendwelche Dokumente gegeben?
P: Nein. Habe mal Unterlagen weggeschmissen in Papiertonne im Hof.
Anette Greger (Vertreterin der Bundesanwaltschaft): zu Wasserschaden: hält vor: Frage: Waren Sie jemals in Wohnung von Susann? Ja, einmal mit meinem Vater. Auch Flur gesehen. Sie (Lisa) erklärte, dass das Zimmer ihres Freundes gedämmt war wegen seiner Anlage. War das so?
P: Ja.
RA Doris Dierbach (Nebenklage-Anwältin der Eltern von Halit Yozgat): Wann war Streit mit Freundin?
P: drei, vier Wochen bevor alles passiert ist (Frühlingsstraßen-Explosion).
RA Eberhard Reinecke (Nebenklage-Anwalt der Opfer des Anschlags in der Kölner Keupstraße): Haben sie im letzten halben Jahr mit Frau K. oder anderen aus der Polenzstraße über Frau Zschäpe oder diesen Prozess gesprochen?
P: Nicht intensiv.
R: Darunter kann ich mir nichts vorstellen.
RA Wolfgang Heer (Verteidigung Zschäpe) findet, dass Reinecke versucht der Zeugin was in den Mund zu legen. Er hält das nicht für zulässig.
Götzl findet, dass Reinecke ganz normal nachfragt.
Heer will unbedingt das letzte Wort haben und redet pennälerhaft immer wieder dagegen. Götzl lässt Reinecke weiter fragen.
Etwas später kommt das Fragerecht zu RA Yavuz Narin (Nebenklage-Anwalt der Hinterbliebenen von Theodoros Boulgarides). Er hält diverse Namen vor. Die Zeugin kennt nur Patrick K., den Sohn von Heike K. und sagt: Ja, den kennt mein Mann auch.
N: pol. Gesinnung ihres Mannes?
P: Normal.
N: Ihre?
P: Normal.
N: Konkreter werden?
P: Inwiefern.
Jochen Weingarten (Vertreter der Bundesanwaltschaft) beanstandet. So lange nicht erklärt wird, warum die Frage nach der pol. Einstellung relevant ist, darf sie nicht gestellt werden.
Zeugin muss den Gerichtssaal verlassen.
N: Auf Facebook-Seite von P. sind Hetzgedichte über Ausländer, "Paulchen Panther"-Bild mit "I love you" versehen. In anderer Aussage wurde Torsten P. (Ehemann der Zeugin) als "richtiger Rechter" bezeichnet. Könnte sein, dass Zeugin Zschäpe nicht belasten will und deshalb andere Angaben macht als sonst, wenn ihre Einstellung eine andere wäre.
Narin will die Facebook-Funde einbringen, braucht aber Zeit zur Vorbereitung.
Zeugin P. soll um 13.30 Uhr wiederkommen.
(Tim Aßmann, BR)
11.50 Uhr.
Befragung Zeuge Dr. med. Rudolf S., Facharzt für Neurologie.
Götzl bittet über Behandlung Martin A. zu berichten.
S: Unterliege ich ärztlicher Schweigepflicht? Habe keine Entbindung.
RA Walter Martinek (Nebenklage-Anwalt von Martin A.): Jeder ihn (Martin A.) behandelnde Arzt ist von Schweigepflicht entbunden.
S: Kliniken Schmieder sind neurologische Rehaklinik. In diesem Fall Behandlung nach Schussverletzung. Störungen sollen durch Übungen verbessert werden. Behandelt vom 18.6 bis 18.7.2007 in Tagesbehandlung. Komplett entlassen Ende August. Er erklärt nun im Fachdeutsch das Verletzungsmuster Martin A. nach dem Kopfschuss. Er erläutert dann das Programm mit diversen Therapien in Einzel- und Gruppentherapie. Martin A. war sehr freundlicher Mensch, der sehr interessiert war, wieder Schritt in Normalität zu machen. Sein großes Ziel war, wieder in Beruf einzusteigen. Zur Erinnerung: Amnesie ist bei so einer Verletzung erwartbar. Ich wurde gefragt, ob es Tricks gibt, Gedächtnislücke zu überwinden? Glaube ich eher nicht, weil wahrscheinlich durch Schwere der Verletzung die Bildung von Gedächtnisinhalten in dem Moment einfach unterbrochen ist. Hypnose? Da Martin A. mir komplett stabil erschien, hatte ich von ärztlicher Seite dagegen keine Einwände.
Zu Martin A.s Störungen: rechte Hand, Gleichgewichtsstörungen, Aufmerksamkeit gestört. Diese kognitiven Einschätzungen haben sich am Ende der Behandlung komplett zurückgebildet. Es bestand weiter Gleichgewichtsstörung und kleine Einschränkung an der rechten Hand.
G: Ist jetzt mit Folgeerscheinungen zu rechnen?
S: Auf Dauer bleibt die knöcherne Verletzung. Die wurde plastisch gedeckt, aber das ist ja nicht normal. Patient wie er hat immer erhöhtes Epilepsie-Risiko. Befinden sich noch Rest-Projektilteile im Kopf. Davon können Risiken bis hin zum Hirn-Abszess ausgehen. Feinstörungen an rechter Hand.
G: Wird das so bleiben?
S: Müsste man Folgebeobachtung machen. Dauerzustand wird üblicherweise angenommen wenn 2 Jahre später nochmal Gutachten gemacht wird. Mein Stand ist von 2007.
Pause bis 13.30 Uhr.
(Paul-Elmar Jöris, WDR, u. Eckhart Querner, BR)
13.35 Uhr.
Sindy P. wird wieder herein geführt. RA Wolfgang Sturm (Verteidigung Zschäpe) beanstandet Frage nach politischer Einstellung besonders des Ehemanns. In der bisherigen Aussage gebe es keinen Ansatzpunkt, dass die Zeugin bisher ihrer nicht Wahrheitspflicht nachgekommen ist.
Narin: Was verstehen Sie unter normaler politischer Gesinnung?
P: Wie jeder Mensch auch, oder?
Narin hält aus Aussage Patrick K. (bei Polizei) vor: Torsten P., Ehemann der Zeugin, spreche deutlich aus, was er denke.
N: Wählen Sie Favoriten auf Ihrer Facebook-Seite aus?
P: Zugriff haben mein Mann und ich.
N: Haben Sie sich mit Mann über NSU-Prozess unterhalten?
P: Ja.
N: Kennen Sie das "Paulchen Panther"-Video?
P: Ja.
P: Er (ihr Mann) hat ne politische Überzeugung, aber dazu soll er sich selber äußern.
RA Sturm: Hat sich Lisa mal politisch geäußert?
P: Wenn sie bei uns war, dann nicht.
RA Dierbach: Woher kennen Sie das "Paulchen Panther"-Video?
P: Aus dem Fernsehen.
D: Kennen Sie das auch woanders her?
P: Nein.
Weiterer NK-Anwalt zu Bücher-Käufen und Lektüre von Zschäpe und fragt weiter, ob sie wisse, was Z. studiert hat.
P. hat nicht nachgefragt, wusste nur, dass Zschäpe von zu Hause aus studiert.
Ende für heute, 13.55 Uhr.
Hinweis
Diese Texte sind eine Auswahl der Mitschriften der Reporter der ARD und des BR während der zentralen Verhandlungstage im sogenannten "NSU-Prozess", eines beispiellosen Verfahrens der deutschen Rechtsgeschichte. Wir dokumentieren diesen "Originalton", weil es in der deutschen Praxis des Strafprozessrechts, selbst bei derartig wichtigen Verfahren, kein offizielles und umfassendes Gerichtsprotokoll gibt. Wir erfüllen damit unsere Informationspflicht, um allen, die keinen der begehrten Sitzplätze im Gerichtssaal erhalten haben, einen - durchaus auch subjektiven - Eindruck der Prozessereignisse zu vermitteln. Die Zusammenfassungen der sogenannten "Saalinfos" unserer Reporter sind redaktionell bearbeitet, zum Teil gekürzt. Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben und es kann natürlich auch keine Gewähr für die Richtigkeit jedes einzelnen Wortes gegeben werden. Die Redaktion distanziert sich ausdrücklich von den Inhalten der Aussagen der Prozessteilnehmer.