NSU-Prozess


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185. Verhandlungstag, 11.02.2015 Ein Neonazi, der sich nicht erinnern mag

Mit dem 40-jährigen Bernd T., einem der führenden Neonazis aus Nordhessen, stand ein Zeuge vor dem Oberlandesgericht, der mehr als genug Erfahrung mit der Justiz hat. Der bereits mehrfach inhaftierte Rechtsextermist, gegen den zur Zeit erneut ermittelt wird, ließ den Staatsschutzsenat des OLG München deutlich spüren, wie wenig Respekt er vor den Richtern hat.

Von: Oliver Bendixen

Stand: 11.02.2015 | Archiv

NSU-Prozess 112. Prozesstag (Archivbild) | Bild: picture-alliance/dpa

"Selbstständiger Unternehmer", herrschte der Zeuge den Vorsitzenden Richter an, der den 40-Jährigen gerade nach seinem Beruf gefragt hatte. Und das geschah in einem Ton, das die Zuhörer und Journalisten auf der vollbesetzten Empore zusammenzuckten - als hätte der bekennende Rechtsxtremist gerade "Führer-Stellvertreter" oder etwas ähnliches als Job angegeben. Dann folgte genauso aggressiv die Feststellung: Ich mache hier keine Angaben!"

Hardcore-Neonazi bringt Götzl nicht aus der Fassung

Gerichtssaal des NSU-Prozesses | Bild: Bayerischer Rundfunk zum Artikel 184. Verhandlungstag, 10.02.2015 "Die üblichen Stammtischparolen"

Hitlergruß und „Deutschland den Deutschen“. Solche Gesten und Parolen seien in den 90er-Jahren in der rechten Szene von Zwickau bei geselligen Abenden immer wieder vorgekommen. Das berichtete der Zeuge K. Von Mira Barthelmann [mehr]

Genau darauf aber war der Vorsitzende Richter Manfred Götzl vorbereitet: dass er es hier mit einem Hardcore-Neonazi zu tun hatte. Einem derart hafterfahrenen Zeugen ein paar Tage Ordnungsstrafe anzudrohen, führt zu gar nichts, dachte sich der Gerichtsvorsitzende vermutlich. Stattdessen bemühte er sich, ruhig aber gezielt den Neonazi erst einmal auf einen bei Gericht normalen Umgangston herunterzuholen - und das mit Erfolg.

Denn hören wollte der Senat den Zeugen auf jeden Fall. Gibt es doch ernsthafte Hinweise darauf, dass Bernd T. das NSU-Trio kannte und wusste, wann sich zumindest Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in Kassel und Nürnberg aufgehalten haben. Vier der zehn Morde, die dem NSU zur Last gelegt werden, waren in diesen beiden Städten verübt worden.

1 für A, 8 für H

In Kassel ist Bernd T. Chef der als gewaltbereit eingestuften Neonazi-Gruppe "Sturm 18". Die 1 steht für das A im Alphabet - A wie Adolf. Und die 8 für den achten Buchstaben H - wie Hitler. Zu der Organisation selbst wollte sich deren Chef aber ganz und gar nicht äußern - gegen die Gruppe läuft derteit ein behördliches Verbotsverfahren.

Mundlos und Böhnhardt? Nie gesehen!

In der Sache drehte sich die Befragung des Zeugen eine Stunde lang im Kreis. Die in München angeklagte Beate Zschäpe und die beiden Uwes will er nie gesehen haben - und von Kontaktleuten des untergetauchten Trios in der rechten Szene habe er keine Ahnung:

Auszug aus der Befragung

Frage des Vorsitzenden: "Warum haben Sie denn dann bei verschiedenen Vernehmungen durch die Polizei in der Vergangenheit dazu Angaben gemacht?"

Antwort Bernd T.: "Habe ich gar nicht. Die Kriminalbeamten haben in die Protokolle einfach reíngeschrieben, was sie dachten!"

Warum er dann die Vernehmungsniederschriften unterzeichnet habe, fragte Götzl. Die Antwort ist typisch für so viele Aussagen von Zeugen aus dem rechten Millieu vor diesem Gericht: "Weiß ich nicht mehr - keine Ahnung!" Wie er mit dieser Art der Aussageverweigerung umgehen will, ließ der Vorsitzende Richter zunächst nicht erkennen. 

Bombensplitter wie Jagdmunition

NSU Prozess Gerichtsprotokoll | Bild: BR zum Artikel NSU-Prozess: Gerichtssaal-Protokoll 185. Verhandlungstag: Skinhead im Zeugenstand

Erster Zeuge am heutigen Prozesstag ist der hessische Skinhead Bernd T. Der Neo-Nazi bestreitet heute, das Trio gekannt zu haben und kann sich an vieles nicht erinnern bzw. widerspricht immer wieder früheren Aussagen. [mehr]

Über die Wirkung der Nagelbombe, die am 9. Juni 2004 in der Kölner Keupstraße explodierte, berichteten am Nachmittag ein Gutachter des Bayerischen Landeskriminalamtes und ein Münchner Rechtsmediziner. Beide kamen übereinstimmend zu dem Schluss, dass die gewaltige Druckwelle der Detonation, die 800 Nägel in der Bombe und die Splitter einer zerberstenden Schaufensterscheibe ursächlich für die schweren Verletzungen bei den 22 Opfern des Anschlages waren. Der Münchner Rechtsmediziner Oliver Peschel, der sich ausführlich mit den Verletzungen bei den 22 Opfern des Anschlages befasst hatte, kam zu dem Schluss, dass die umherfliegenden Nägel und die Splitter der mit Schwarzpulver gefüllten Gasflasche wie die Munition großkalibriger Jagdwaffen gewirkt habe.

Bei einem der Opfer mussten zehn der Zimmermannsnägel aus dem Körper entfernt werden - bei einem anderen hatten die Eisenstifte Knochen durchschlagen. Dazu kamen Ohrenverletzungen und Glassplitter, die aus den Augen einiger Mäner enfernt werden mußten. Sie waren Kunden des türkischen Friseursalons, vor dem die Bomben gezündet worden war. Einige der Verletzten lagen wochenlang im Krankenhaus- andere litten lange Zeit psychisch unter den traumatischen Erlebnissen. Der Rechtsmediziner bestätigte, dass die Verletzungen bei einem halben Dutzend der Opfer aus der Kölner Keupstraße durchaus hätten tödlich sein können - vor allem bei jenen, die sich in einem Radius von etwa 25 Metern um den Tatort selbst befanden. Und die beschriebenen Langzeitfolgen psychischer Art seien typisch bei Menschen, die bei Anschlägen verletzt wurden.


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