NSU-Prozess: Gerichtssaal-Protokoll 313. Verhandlungstag, 29.9.2016
Am heutigen Verhandlungstag ergreift Beate Zschäpe erstmalig das Wort, nachdem sie seit Beginn des Prozesses im Mai 2013 geschwiegen hatte. Sie verliest eine kurze Erklärung, in welcher sie sich vom nationalsozialistischen Gedankengut distanziert und ihr Fehlverhalten verurteilt. Zuvor beantwortet die Verteidigung Zschäpes durch Rechtsanwalt Borchert Fragen des Gerichts von vergangener Woche.
Zuvor beantwortet die Verteidigung Zschäpes durch Rechtsanwalt Hermann Borchert Fragen des Gerichts von vergangener Woche.
Zeugen:
- keine
ARD-Reporter über das Geschehen im Gerichtssaal
(Tim Aßmann, BR)
Vor Beginn: Nach Wochen ist auch Zschäpe-Wahlverteidiger Hermann Borchert wieder anwesend.
Beginn 9.48 Uhr.
Richter Manfred Götzl: Heute gegebenenfalls Angaben von Ihnen Frau Zschäpe. Haben Sie das vorbereitet? Dann bitte.
Hermann Borchert (Verteidigung von Zschäpe): Werde die Beantwortung der Fragen verlesen.
(Gigi Deppe, SWR)
Auf die Frage nach Schlafmitteln, Schmerzmitteln, Betäubungsmitteln: Lediglich Ibuprofen, rezeptfrei, weitere nicht.
Auf die Frage nach Zusammenleben, Gemeinsamkeiten, Gesprächsthemen, Veränderungen: Bis 26. Januar 1998 (Untertauchen des Trios) waren Gemeinsamkeiten mit Uwe Mundlos: Treffen, Musik hören, Freunde, keine politischen Diskussionen.
Gemeinsamkeiten mit Uwe Böhnhardt.: s. o. und Karten spielen - später, als wir Ralf Wohlleben kennenlernten, wurden auch politische Aktivitäten diskutiert.
(Tim Aßmann, BR)
Auf die Frage nach Konfliktfeldern: Dass ich klammerte, was zur vorübergehenden Trennung führte.
Nach 26. Januar 1998 Gemeinsamkeiten: Sport, gemeinsame Aktivitäten, Spiele wie "Risiko" oder "Siedler von Catan". Weiteres Thema waren unsere Katzen. Gespräche über Politik waren nicht an der Tagesordnung, nur wenn besondere Ereignisse wie Irakkrieg. Keine Gespräche über Raubüberfälle, an Planungen wurde ich nie beteiligt.
Konfliktfelder: Möchte insbesondere die von den Beiden verübten Mordtaten als Konfliktfelder bezeichnen, auch Streitigkeiten über Internetnutzung (welchen Anschluss in der Wohnung), herumliegende Waffen und die 10.000 Euro an Holger G.
(Gigi Deppe, SWR)
Nicht die Kleinigkeiten des täglichen Lebens (z. B: Zahnpastatube offen herumliegen lassen). Mussten diszipliniert in Enge leben und Kompromisse machen. Mundlos war allerdings nicht zu Kompromissen bereit.
(Tim Aßmann, BR)
Mundlos bestand auf sportlicher Betätigung, machte da keine Kompromisse. Auch Rauchen von Zigaretten und Alkohol meinerseits waren Konfliktfelder, auch wenn ich mich zu lange mit den Nachbarn unterhalten habe, wurde das von den Beiden nicht gerne gesehen.
Unser Zusammenleben möchte ich als monoton bezeichnen.
(Gigi Deppe, SWR)
Auf die Frage, was sie gelesen und welche Filme sie gesehen hat: Immer schon gern viel gelesen - Fantasy-Romane, Krimis, Tatsachenromane. Beispiele: "Herr der Ringe", "Harry Potter", "Stephen King".
Im Fernsehen z. B. "Desparate Housewifes". Mag sehr gerne Robert de Niro, "Fluch der Karibik", "Der kleine Lord", "Miss Marple". Im Laufe der Zeit immer weniger Filme, mehr Serien. Auch Bücher wurden immer kürzer - fehlte die Ruhe.
(Tim Aßmann, BR)
Auf die Frage nach den wichtigsten Personen: Meine Großmutter, Mundlos und Böhnhardt waren in meinem Leben die wichtigsten Bezugspersonen. Meine Oma war immer für mich da, hat mich nie angelogen.
Verhältnis zu Wohlleben würde ich als enge Freundschaft bezeichnen.
Susann E. war ab 2006 enge Freundin. Dinge, die mich belasteten, habe ich nicht angesprochen.
Habe mit niemandem über emotionales Dilemma gesprochen.
Konkrete Kriterien für die Auswahl der Opfer der Tötungsdelikte sind mir nicht bekannt. Natürlich hatte ich Gedanken, dass ihre Taten ausländerfeindlichen Hintergrund hatten, konkrete und ehrliche Antworten von ihnen nicht erhalten. Für mich war das Töten das Erschreckende und nicht der Umstand, ob es sich um einen Ausländer oder einen Deutschen handelte.
Nein, es gab keine weiteren Wohnungen.
(Gigi Deppe, SWR)
Vor 11. Januar 2007 wussten die E.s (Mitangeklagter André E. und dessen Ehefrau Susann E.) nicht, wovon wir gelebt haben.
Mir nicht bekannt, dass die Uwes bei Fahrten DVDs (Bekenner-DVDs) mit sich führten, erst bei Durchsicht der Akten erfahren, war wiederholt überrascht, wie ich im Unklaren gelassen und angelogen wurde.
Vor erstem Raubüberfall: Finanzielle Reserven aufgebraucht, Geld beschaffen. Es wurde nicht konkret gesprochen, welche Aufgabe ich übernehmen soll, ich habe gleich gesagt, dass ich viel zu viel Angst habe, ich habe abgelehnt, etwas zu machen. Damit war das Thema beendet.
Auf die Frage, warum sie gesagt hat, das Mundlos fotografiert hat (nach den Morden): Habe von niemandem erfahren, dass er tatsächlich fotografiert hat. Meine Annahme beruht auf Vermutungen, weil Mundlos meistens derjenige war, der im Urlaub fotografiert hat, er war Technikfreak, deswegen habe ich gemutmaßt, er hat fotografiert.
Auf die Frage, warum sie gesagt hat, wäre sie nun auch in einen Mord verwickelt? Auf Grund der Schilderungen, wir lebten ja in engsten räumlichen Verhältnissen, man hätte schließen können auf Mittäterschaft. Auch weil ich in den Medien als Mörderin vorverurteilt wurde.
Auf die Frage, was nach Untertauchen beabsichtigt war: Wollten aus der Ferne beobachten, was passiert. Es waren viele Unterlagen in der Garage: Propaganda, Fingerabdrücke. Was ist im Fokus der Ermittlungen? Mundlos wollte Zeit vergehen lassen, wollte auch Abitur machen auf dem Ilmenaukolleg, Informatik studieren, Abschlussprüfen, hatte auch Bücher dabei.
Auf die Frage nach Handgreiflichkeiten, den Übergriffen von Böhnhardt und der Rolle von Mundlos: Mundlos war dabei, hat nicht einfach zugeschaut, ist auf Böhnhardt los, um mich zu verteidigen. Es gab eine Prügelei, die ich nicht näher beschreiben möchte.
Es war nicht abgesprochen, wie ich mich verhalten sollte, hätte mich nicht erschossen (gemeint ist ihr Verhalten nach einem Tod der Uwes). Gedanken über Brand und DVD zu verschicken bezogen sich nur auf den Fall, wenn denen außerhalb etwas zugestoßen wäre.
(Tim Aßmann,BR)
Von Vorfall mit Luftgewehr nichts bekannt. (Gemeint ist der mögliche Luftgewehrschuss von Böhnhardt auf einen Bauarbeiter in Chemnitz.)
RA Borchert ist nun mit der Verlesung von Antworten seiner Mandantin auf Fragen des Gerichts fertig und kündigt eine mündliche Erklärung seiner Mandantin an. Zschäpe ergreift unmittelbar danach das Wort.
Zschäpe (liest vom Blatt ab): Es ist mir ein Anliegen mitzuteilen: Als ich Uwe Böhnhardt kennenlernte, identifizierte ich mich durchaus mit Teilen des nationalsozialistischen Gedankenguts, später wurde das Thema zunehmend unwichtiger für mich, hege heute keine solchen Gedanken mehr.
(Gigi Deppe, SWR)
Gewalt ist für mich kein Mittel zur Durchsetzung von Politik. Beurteile Menschen heute nicht nach Herkunft.
(Tim Aßmann, BR)
Ich verurteile, was Böhnhardt und Mundlos den Opfern und ihren Familien angetan haben und ich verurteile auch mein eigenes Fehlverhalten - so wie ich es in bisherigen Stellungnahmen zum Ausdruck gebracht habe.
(Damit ist die erste mündliche Stellungnahme von Beate Zschäpe beendet. Sie dürfte nicht länger als maximal zwei Minuten gedauert haben.)
(Gigi Deppe, SWR)
RA Sebastian Scharmer (Nebenklage-Anwalt der Angehörigen des ermordeten Mehmet Kubasik) fragt nach, ob sich an Zschäpes Einstellung, keine Fragen der Nebenklage zu beantworten, etwas geändert habe?
Borchert: Nein.
(Tim Aßmann, BR)
Götzl: Denken auch daran, die Schreiben von Frau Zschäpe an das Gericht einzuführen. (Also die Briefe, in denen sie sich über Haftbedingungen aber vor allem über die Pflichtverteidiger Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm beschwert.)
RA Wolfgang Heer (Verteidigung von Zschäpe): Auch bzgl. Entpflichtung? (Also dem Versuch Zschäpes, die drei Pflichtverteidiger vom Mandat entbinden zu lassen.)
Götzl: Ja.
Heer: Widersprechen, behalten uns Begründung vor.
Götzl (an alle Prozessbeteiligten): Bitte Stellung zu nehmen, soweit es um Punkt geht: Mögliche Beschlagnahme des Briefes. (des Briefes Zschäpe an Robin S.)
Wolfgang Stahl (Verteidigung von Zschäpe): Haben alles dazu gesagt.
(Gigi Deppe, SWR)
Es gibt eine Diskussion um das Verlesen des Briefes, inwieweit das im psychiatrischen Gutachten Berücksichtigung findet.
10.18 Uhr Uhr.
Diverse Beweisanträge:
- ob Mundlos in "The Voice of Zwickau" geschrieben hat.
- Zeuge E., kein Aussageverweigerungsrecht, weil Taten verjährt.
Götzl teilt den Beschluss mit, dass diverse Beweisanträge im Zusammenhang mit Wohlleben abgelehnt sind. (Inwieweit er rechte Festivals organisiert hat.)
Ende.
Hinweis
Diese Texte sind eine Auswahl der Mitschriften der Reporter der ARD und des BR während der zentralen Verhandlungstage im sogenannten "NSU-Prozess", eines beispiellosen Verfahrens der deutschen Rechtsgeschichte. Wir dokumentieren diesen "Originalton", weil es in der deutschen Praxis des Strafprozessrechts, selbst bei derartig wichtigen Verfahren, kein offizielles und umfassendes Gerichtsprotokoll gibt. Wir erfüllen damit unsere Informationspflicht, um allen, die keinen der begehrten Sitzplätze im Gerichtssaal erhalten haben, einen - durchaus auch subjektiven - Eindruck der Prozessereignisse zu vermitteln. Die Zusammenfassungen der sogenannten "Saalinfos" unserer Reporter sind redaktionell bearbeitet, zum Teil gekürzt. Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben und es kann natürlich auch keine Gewähr für die Richtigkeit jedes einzelnen Wortes gegeben werden. Die Redaktion distanziert sich ausdrücklich von den Inhalten der Aussagen der Prozessteilnehmer.