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40 Jahre nach dem RAF-Terror im "Deutschen Herbst" Zeitzeugen blicken zurück

Der Herbst 1977 ging als Deutscher Herbst in die Geschichte ein. Die Bundesrepublik wurde schwer traumatisiert durch die Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer, durch die Entführung des Lufthansa-Flugzeugs "Landshut" und die Selbstmorde von Andreas Baader, Gudrun Ensslin sowie Jan-Carl Raspe, der Führungsspitze der ersten Generation der RAF, die im Stammheimer Gefängnis einsaß. Kontrovers blickt mit Zeitzeugen zurück.

Von: Christian Stücken

Stand: 03.10.2017 | Archiv |Bildnachweis

40 Jahre nach dem RAF-Terror im "Deutschen Herbst": Zeitzeugen blicken zurück

Der Deutsche Herbst beginnt an einem Montagabend in Köln. Es ist der 5. September 1977, kurz vor halb sechs. Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer ist auf dem Weg zu seiner Wohnung. Er kommt nicht dort an. Ein RAF-Kommando überfällt seinen Wagen, tötet seine Begleiter und entführt ihn. Als "Boss der Bosse" mit SS-Vergangenheit ist Schleyer für die RAF eine Leitfigur des verhassten kapitalistischen Systems. Mit ihm als Geisel sollen die Häftlinge der RAF im Gefängnis Stuttgart-Stammheim freigepresst werden. Polizeimeister Gottfried Plützer ist der erste am Tatort.

"Ich weiß nicht, wieviel Schuss das waren, aber weit über 100, 160, 170 Schuss wurden da abgefeuert, in die Autos rein. Insbesondere in das Begleitfahrzeug, in dem die drei Kollegen drin saßen."

Gottfried Plützer, damals Polizeimeister

Der Sohn von Schleyer, Hans-Eberhard fährt sofort in sein Elternhaus, als er von der Entführung seines Vaters hört.

"Es war eine solche Hektik, wie man sich vorstellen kann. Nachrichten haben sich überschlagen, man wusste nicht genau, was passiert ist. Man wusste, dass die drei Begleiter und der Fahrer getötet worden sind. Man wusste nicht, was mit meinem Vater geschehen ist."

Hanns-Eberhard Schleyer, Sohn von Hanns Martin Schleyer

Wochenlange Fahndung

Es beginnt der größte Polizeieinsatz in der Geschichte der Bundesrepublik. Tausende Beamte suchen die Terroristen und den Arbeitgeberpräsidenten. Fahrzeuge werden angehalten, Grenzübergänge kontrolliert.

Für Hanns Martin Schleyer ist es ein Martyrium. Die Terroristen verhören ihn, sperren ihn in einen Schrank, "Volksgefängnis" nennen sie das. Zuerst ist er in einem Hochhaus in Erftstadt-Liblar, im dritten Stock. Gerade einmal 12 Kilometer vom Tatort entfernt.

Die Polizei war ganz nah dran. Ein Polizei-Hauptmeister hatte das BKA auf eine verdächtige Wohnung hingewiesen. Es ist die Wohnung im Renngraben 8 in Erftstadt-Liblar. Doch der Hinweis geht auf den komplizierten Meldewegen der Polizei verloren. Dann ist die Chance vertan, Schleyer wird in ein Versteck nach Holland gebracht. Die Ermittler verlieren die Spur. Später bringen seine Entführer ihn nach Brüssel.

"Sein letztes Versteck, das ist bis heute völlig unbekannt. Man weiß nur, dass es ein Hochhaus war, in einem Randbereich. Es war mindestens die achte Etage. Und der Rest ist bis heute komplett unbekannt. Die Ermittler gehen davon aus, dass fünf Bewacher beim ihm waren. Ein harter Kern, aber die fünf schweigen eisern."

Butz Peters, RAF-Experte

Die Hauptpersonen der Terrorgruppe R.A.F.

Entführung der Landshut

13. Oktober 1977. Vier palästinensische Terroristen entführen die Lufthansa Maschine Landshut und zwingen sie zur Landung auf den Flughafen in Rom. An Bord sind 86 Passagiere und fünf Besatzungsmitglieder. Gabriele von Lutzau war damals Stewardess in der Landshut. An Bord spielen sich dramatische Szenen ab. Schon bald drohen die Terroristen damit, die ersten Geiseln zu erschießen.

"Es hieß, die jüdischen Hündinnen, 'the jewish bitches', bekommen jetzt Nummern und müssen sich morgen, morgens früh zum Erschießen melden. Selbstständig."

Gabriele von Lutzau, damals Stewardess in der Landshut

Entführung der "Landshut"

Die von vier Terroristen gekaperte Lufthansa-Boeing "Landshut" steht im Oktober 1977 auf dem Rollfeld des Flugplatzes in Dubai.  | Bild: picture-alliance/dpa zum Artikel Zeitzeugen des Terrors erinnern sich

1977 wurde die Lufthansa-Maschine "Landshut" mit 87 Geiseln von palästinensischen Terroristen entführt. Seitdem steht sie für ein gewalttätiges und blutiges Stück deutscher Geschichte. Kontrovers blickt mit Zeitzeugen zurück. [mehr]

Die palästinensischen Terroristen fordern 15 Millionen Dollar Lösegeld sowie die Freilassung von elf RAF-Häftlingen und zwei Palästinensern. Das Schicksal von Hanns Martin Schleyer gerät plötzlich in den Hintergrund. Die Landshut wird von den Terroristen über Zypern nach Dubai dirigiert. In Aden im Jemen erschießen die Terroristen Flugkapitän Jürgen Schumann und leiten die Maschine weiter nach Mogadischu.

Bundesregierung schickt GSG 9

Die Bundesregierung schickt Staatsminister Hans-Jürgen Wischnewski zum Verhandeln nach Mogadischu. Er soll den Einsatz der GSG 9 vorbereiten. Am späten Nachmittag des 17. Oktober landet die GSG 9 in Mogadischu. Unter ihnen Aribert Martin.

"Ich habe gedacht, mit einem Terroristen da kannst du fertig werden. Nur womit ich nicht fertig werden konnte in meinem Kopf war, wenn das Ding in die Luft fliegt. Da hatte ich auch Bammel, muss ich ganz ehrlich sagen."

Aribert Martin, damals GSG 9

Kurz vor Ablauf des Ultimatums wird den Terroristen im Flugzeug mitgeteilt, dass ihre Forderungen erfüllt werden. Es ist eine Finte. Am 18. Oktober 1977, wenige Minuten nach Mitternacht stürmen die GSG 9 Männer das Flugzeug.

"Es war absolut heikel, man hat angeblich sogar unsere Schatten gesehen. Es ist nicht zu glauben, dass da keiner wach geworden ist."

Aribert Martin, damals GSG 9

Drei der vier Terroristen werden getötet, eine wird schwer verletzt. Die Geiseln fliehen aus dem Flugzeug. Nach fast fünf Tagen in der Gewalt der Entführer sind die Geiseln wieder frei. Einige sind verletzt, aber alle haben die Befreiungsaktion überlebt.

Selbstmord in Stuttgart-Stammheim

Im Gefängnis in Stammheim erfahren die RAF-Häftlinge noch in der Nacht von der Entwicklung. Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe nehmen sich das Leben.

Hanns Martin Schleyer wird am Morgen des 19. Oktober ermordet im Kofferraum eines Autos in Mühlhausen aufgefunden. Der Deutsche Herbst ist der Anfang vom Ende der RAF. In der Gesellschaft beginnt ein Umdenken. Für Hanns Eberhard Schleyer ist das wenigstens ein kleiner Trost.

"Viele die zunächst klammheimliche Sympathien hatten, haben dann doch gemerkt, dass das ein verkehrter Weg ist."

Hanns-Eberhard Schleyer, Sohn von Hanns Martin Schleyer

Der damals amtierende Bundeskanzler Helmut Schmidt, der sich dem Erpressungsversuch der RAF widersetzt hatte, fühlte sich bis ans Ende seines Lebens mitschuldig am Tod von Hanns-Martin Schleyer. Nach diesem Mord gab es keine politische Geiselnahme mehr in Deutschland.

Hintergrund

1974 scheint der Terrorismus in der Bundesrepublik schon fast besiegt: Der harte Kern der Rote Armee Fraktion ist verhaftet, die Studentenproteste flauen ab. Die Verurteilung der RAF-Mitglieder Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe in einem ordentlichen Prozess werde dem Spuk ein Ende bereiten - glauben viele damals. Doch dann werden die Jahre 1974 bis 77 zu den blutigsten in der Geschichte des linken Terrors in der Bundesrepublik. Attentate und Geiselnahmen halten die Öffentlichkeit in Atem, der Staat wehrt sich mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln. Unschuldige geraten zwischen die Fronten.

Die tödlichen Schüsse auf Generalbundesanwalt Siegfried Buback und seine Begleiter am 7. April 1977 markieren den Beginn eines Terrorjahres, wie es die Bundesrepublik Deutschland noch nie erlebt hat. Nach einer Serie von Gewalttaten in den Monaten und Jahren zuvor eskalieren die Ereignisse schließlich im September und Oktober 1977. Und mit der Entführung Hans Martin Schleyers und der Lufthansamaschine "Landshut" steht der "Deutsche Herbst", die größte innenpolitische Krise der Bundesrepublik. Erst mit dem Tod der RAF-Mitglieder Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe am 18. Oktober und dem Auffinden des toten Hanns Martin Schleyer am folgenden Tag ist der "Deutsche Herbst" zu Ende - sechs Wochen, die die Republik verändern.

Linksterror in Deutschland







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Cosi , Mittwoch, 04.Oktober 2017, 22:42 Uhr

5. Abschaum

Die RAF war die Spitze des Abschaums unserer Gesellschaft.
Ich fand die Zeit grauenhaft.An jeder Ecke wurdest du mit dem Auto angehalten oder durchsucht.

Selbst wenn Poltiker nicht besonders beliebt waren oder auch korrupt waren, gibt das Niemanden das Recht über den Tod von Menschen zu entscheiden.
Einfach nur widerlich. .

Dieter, Mittwoch, 04.Oktober 2017, 10:57 Uhr

4. Die RAF -Zeit

Die geschmähte Bonner Republik brachte den Deutschen nicht bloß den größten Wirtschaftswunder-Wohlstandsschub ihrer Geschichte. Zum ersten Mal formierte sich eine sozial verfasste Gesellschaft, ein Wohlfahrtsstaat, der seinesgleichen suchte. Man integrierte Millionen Vertriebener und Flüchtlinge und achtete auf sanften Ausgleich nach innen wie nach außen. Dieses Adenauer-Deutschland versöhnte sich mit allen Nachbarn und legte den Grundstein für ein neues Europa - die beste Idee, die man auf diesem geschundenen Kontinent seit Generationen hatte. Nach den Zarathustras schufen just die „Spießer“ der Bonner Republik ein Deutschland, wie wir es noch nie hatten. Gerade das bürgerlich-christlich Miefige daran war sein guter Kern. Der Mief dieser Bescheidenheit duftet im Nachhinein nach wahrer Größe. Den heutigen ca. 26 % CDU Wähler müsste bei dem Satz und den heutigen Zuständen „ Sie wüsste nicht was sie anders machen sollte“ endlich ein Licht aufgehen.

  • Antwort von Leonia, Mittwoch, 04.Oktober, 12:15 Uhr anzeigen

Isabell Speidel, Mittwoch, 04.Oktober 2017, 08:39 Uhr

3. Ideologien im vorpolitischen Raum

Was man nicht vergessen darf, dass die Ideologen dieses Links-Terrorismus nicht nur in kommunistischen Parteien anzutreffen waren sondern eine Rolle bei der Gründung der Grünen gespielt haben. Einige Grüne haben die RAF in ihrer Funktion als Anwälte auch verteidigt wie Hans-Christian Ströbele, Otto Schily (der später zur SPD wechselte) u.a.
Da kann man sehen wie sich unsere Republik nach links verschoben hat und darum nach einem Korrektiv heute ringt.

  • Antwort von Leonia, Mittwoch, 04.Oktober, 09:13 Uhr anzeigen

  • Antwort von Erich, Mittwoch, 04.Oktober, 09:21 Uhr anzeigen

  • Antwort von Truderinger, Mittwoch, 04.Oktober, 09:46 Uhr anzeigen

  • Antwort von Leonia, Mittwoch, 04.Oktober, 11:01 Uhr anzeigen

Lang vorbei?, Mittwoch, 04.Oktober 2017, 08:37 Uhr

2.

Die Überschrift "40 Jahre nach dem RAF-Terror" ist so nicht korrekt.
Viele Attentate fanden ja erst später statt.

  • Antwort von Redaktion Kontrovers, Mittwoch, 04.Oktober, 16:25 Uhr anzeigen

Elvira, Mittwoch, 04.Oktober 2017, 08:09 Uhr

1. Zeitzeugen

Unvergessen ist das Foto das Helmut Schmidt vor der Kirche zeigt wie er H.M.Schleyers Witwe kondoliert.

Man sieht ihm die Schuld an die er fühlt.
Und er hat dies wohl bis an sein Lebensende getan.

Aber das ist was echte Männer tun, das richtige tun auch wenn es schmerzt.

Dieser Kommentar wurde gemäß den Richtlinien der Redaktion bearbeitet. Dieser Kommentar wurde von der BR-Redaktion entsprechend unseren
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  • Antwort von Rosl, Mittwoch, 04.Oktober, 12:53 Uhr anzeigen

  • Antwort von Wolf, Mittwoch, 04.Oktober, 16:17 Uhr anzeigen

  • Antwort von Leonia, Mittwoch, 04.Oktober, 20:19 Uhr anzeigen