40 Jahre nach dem RAF-Terror im "Deutschen Herbst" Zeitzeugen blicken zurück
Der Herbst 1977 ging als Deutscher Herbst in die Geschichte ein. Die Bundesrepublik wurde schwer traumatisiert durch die Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer, durch die Entführung des Lufthansa-Flugzeugs "Landshut" und die Selbstmorde von Andreas Baader, Gudrun Ensslin sowie Jan-Carl Raspe, der Führungsspitze der ersten Generation der RAF, die im Stammheimer Gefängnis einsaß. Kontrovers blickt mit Zeitzeugen zurück.
Der Deutsche Herbst beginnt an einem Montagabend in Köln. Es ist der 5. September 1977, kurz vor halb sechs. Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer ist auf dem Weg zu seiner Wohnung. Er kommt nicht dort an. Ein RAF-Kommando überfällt seinen Wagen, tötet seine Begleiter und entführt ihn. Als "Boss der Bosse" mit SS-Vergangenheit ist Schleyer für die RAF eine Leitfigur des verhassten kapitalistischen Systems. Mit ihm als Geisel sollen die Häftlinge der RAF im Gefängnis Stuttgart-Stammheim freigepresst werden. Polizeimeister Gottfried Plützer ist der erste am Tatort.
Der Sohn von Schleyer, Hans-Eberhard fährt sofort in sein Elternhaus, als er von der Entführung seines Vaters hört.
"Es war eine solche Hektik, wie man sich vorstellen kann. Nachrichten haben sich überschlagen, man wusste nicht genau, was passiert ist. Man wusste, dass die drei Begleiter und der Fahrer getötet worden sind. Man wusste nicht, was mit meinem Vater geschehen ist."
Hanns-Eberhard Schleyer, Sohn von Hanns Martin Schleyer
Wochenlange Fahndung
Es beginnt der größte Polizeieinsatz in der Geschichte der Bundesrepublik. Tausende Beamte suchen die Terroristen und den Arbeitgeberpräsidenten. Fahrzeuge werden angehalten, Grenzübergänge kontrolliert.
Für Hanns Martin Schleyer ist es ein Martyrium. Die Terroristen verhören ihn, sperren ihn in einen Schrank, "Volksgefängnis" nennen sie das. Zuerst ist er in einem Hochhaus in Erftstadt-Liblar, im dritten Stock. Gerade einmal 12 Kilometer vom Tatort entfernt.
Die Polizei war ganz nah dran. Ein Polizei-Hauptmeister hatte das BKA auf eine verdächtige Wohnung hingewiesen. Es ist die Wohnung im Renngraben 8 in Erftstadt-Liblar. Doch der Hinweis geht auf den komplizierten Meldewegen der Polizei verloren. Dann ist die Chance vertan, Schleyer wird in ein Versteck nach Holland gebracht. Die Ermittler verlieren die Spur. Später bringen seine Entführer ihn nach Brüssel.
"Sein letztes Versteck, das ist bis heute völlig unbekannt. Man weiß nur, dass es ein Hochhaus war, in einem Randbereich. Es war mindestens die achte Etage. Und der Rest ist bis heute komplett unbekannt. Die Ermittler gehen davon aus, dass fünf Bewacher beim ihm waren. Ein harter Kern, aber die fünf schweigen eisern."
Butz Peters, RAF-Experte
Die Hauptpersonen der Terrorgruppe R.A.F.
Entführung der Landshut
13. Oktober 1977. Vier palästinensische Terroristen entführen die Lufthansa Maschine Landshut und zwingen sie zur Landung auf den Flughafen in Rom. An Bord sind 86 Passagiere und fünf Besatzungsmitglieder. Gabriele von Lutzau war damals Stewardess in der Landshut. An Bord spielen sich dramatische Szenen ab. Schon bald drohen die Terroristen damit, die ersten Geiseln zu erschießen.
Entführung der "Landshut"
Die palästinensischen Terroristen fordern 15 Millionen Dollar Lösegeld sowie die Freilassung von elf RAF-Häftlingen und zwei Palästinensern. Das Schicksal von Hanns Martin Schleyer gerät plötzlich in den Hintergrund. Die Landshut wird von den Terroristen über Zypern nach Dubai dirigiert. In Aden im Jemen erschießen die Terroristen Flugkapitän Jürgen Schumann und leiten die Maschine weiter nach Mogadischu.
Bundesregierung schickt GSG 9
Die Bundesregierung schickt Staatsminister Hans-Jürgen Wischnewski zum Verhandeln nach Mogadischu. Er soll den Einsatz der GSG 9 vorbereiten. Am späten Nachmittag des 17. Oktober landet die GSG 9 in Mogadischu. Unter ihnen Aribert Martin.
Kurz vor Ablauf des Ultimatums wird den Terroristen im Flugzeug mitgeteilt, dass ihre Forderungen erfüllt werden. Es ist eine Finte. Am 18. Oktober 1977, wenige Minuten nach Mitternacht stürmen die GSG 9 Männer das Flugzeug.
"Es war absolut heikel, man hat angeblich sogar unsere Schatten gesehen. Es ist nicht zu glauben, dass da keiner wach geworden ist."
Aribert Martin, damals GSG 9
Drei der vier Terroristen werden getötet, eine wird schwer verletzt. Die Geiseln fliehen aus dem Flugzeug. Nach fast fünf Tagen in der Gewalt der Entführer sind die Geiseln wieder frei. Einige sind verletzt, aber alle haben die Befreiungsaktion überlebt.
Selbstmord in Stuttgart-Stammheim
Im Gefängnis in Stammheim erfahren die RAF-Häftlinge noch in der Nacht von der Entwicklung. Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe nehmen sich das Leben.
Hanns Martin Schleyer wird am Morgen des 19. Oktober ermordet im Kofferraum eines Autos in Mühlhausen aufgefunden. Der Deutsche Herbst ist der Anfang vom Ende der RAF. In der Gesellschaft beginnt ein Umdenken. Für Hanns Eberhard Schleyer ist das wenigstens ein kleiner Trost.
Der damals amtierende Bundeskanzler Helmut Schmidt, der sich dem Erpressungsversuch der RAF widersetzt hatte, fühlte sich bis ans Ende seines Lebens mitschuldig am Tod von Hanns-Martin Schleyer. Nach diesem Mord gab es keine politische Geiselnahme mehr in Deutschland.
Hintergrund
1974 scheint der Terrorismus in der Bundesrepublik schon fast besiegt: Der harte Kern der Rote Armee Fraktion ist verhaftet, die Studentenproteste flauen ab. Die Verurteilung der RAF-Mitglieder Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe in einem ordentlichen Prozess werde dem Spuk ein Ende bereiten - glauben viele damals. Doch dann werden die Jahre 1974 bis 77 zu den blutigsten in der Geschichte des linken Terrors in der Bundesrepublik. Attentate und Geiselnahmen halten die Öffentlichkeit in Atem, der Staat wehrt sich mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln. Unschuldige geraten zwischen die Fronten.
Die tödlichen Schüsse auf Generalbundesanwalt Siegfried Buback und seine Begleiter am 7. April 1977 markieren den Beginn eines Terrorjahres, wie es die Bundesrepublik Deutschland noch nie erlebt hat. Nach einer Serie von Gewalttaten in den Monaten und Jahren zuvor eskalieren die Ereignisse schließlich im September und Oktober 1977. Und mit der Entführung Hans Martin Schleyers und der Lufthansamaschine "Landshut" steht der "Deutsche Herbst", die größte innenpolitische Krise der Bundesrepublik. Erst mit dem Tod der RAF-Mitglieder Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe am 18. Oktober und dem Auffinden des toten Hanns Martin Schleyer am folgenden Tag ist der "Deutsche Herbst" zu Ende - sechs Wochen, die die Republik verändern.
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Cosi , Mittwoch, 04.Oktober 2017, 22:42 Uhr
5. Abschaum
Die RAF war die Spitze des Abschaums unserer Gesellschaft.
Ich fand die Zeit grauenhaft.An jeder Ecke wurdest du mit dem Auto angehalten oder durchsucht.
Selbst wenn Poltiker nicht besonders beliebt waren oder auch korrupt waren, gibt das Niemanden das Recht über den Tod von Menschen zu entscheiden.
Einfach nur widerlich. .
Dieter, Mittwoch, 04.Oktober 2017, 10:57 Uhr
4. Die RAF -Zeit
Die geschmähte Bonner Republik brachte den Deutschen nicht bloß den größten Wirtschaftswunder-Wohlstandsschub ihrer Geschichte. Zum ersten Mal formierte sich eine sozial verfasste Gesellschaft, ein Wohlfahrtsstaat, der seinesgleichen suchte. Man integrierte Millionen Vertriebener und Flüchtlinge und achtete auf sanften Ausgleich nach innen wie nach außen. Dieses Adenauer-Deutschland versöhnte sich mit allen Nachbarn und legte den Grundstein für ein neues Europa - die beste Idee, die man auf diesem geschundenen Kontinent seit Generationen hatte. Nach den Zarathustras schufen just die „Spießer“ der Bonner Republik ein Deutschland, wie wir es noch nie hatten. Gerade das bürgerlich-christlich Miefige daran war sein guter Kern. Der Mief dieser Bescheidenheit duftet im Nachhinein nach wahrer Größe. Den heutigen ca. 26 % CDU Wähler müsste bei dem Satz und den heutigen Zuständen „ Sie wüsste nicht was sie anders machen sollte“ endlich ein Licht aufgehen.
Antwort von Leonia, Mittwoch, 04.Oktober, 12:15 Uhr
Nicht das "Spießige" und "Miefige" der 50er und 60er war für den wirtschaftlichen Erfolg grundlegend, sondern die enorme Nachfrage nach Gütern aufgrund der weitreichenden Zerstörungen durch den selbst angezettelten Krieg. Zudem darf nicht vergessen werden, dass der Westen Deutschlands seine noch vorhandenen Industrieanlagen und verbliebene Infrastruktur wie Gleise weiterhin nutzen konnte und nicht wie der Osten, der sie als Reparationen an Russland verlor.
Hätte nicht die Jugend damals von diesem Mief die Schnauze voll gehabt, hätte der die positive Entwicklung binnen kurzem erstickt. Es mangelte damals schon an Arbeitskräften, aber die Frauen mussten sich damals vom Ehemann bescheinigen lassen, dass sie Arbeit suchen durften und fehlten größtenteils dem Arbeitsmarkt. Während der ersten großen Koalition entstand die außerparlamentarische Opposition (APO). Nach der großen Koalition entwickelte sich die Friedensbewegung daraus und leider auch eine kleine extremistische Gruppe, die RAF.
Isabell Speidel, Mittwoch, 04.Oktober 2017, 08:39 Uhr
3. Ideologien im vorpolitischen Raum
Was man nicht vergessen darf, dass die Ideologen dieses Links-Terrorismus nicht nur in kommunistischen Parteien anzutreffen waren sondern eine Rolle bei der Gründung der Grünen gespielt haben. Einige Grüne haben die RAF in ihrer Funktion als Anwälte auch verteidigt wie Hans-Christian Ströbele, Otto Schily (der später zur SPD wechselte) u.a.
Da kann man sehen wie sich unsere Republik nach links verschoben hat und darum nach einem Korrektiv heute ringt.
Antwort von Leonia, Mittwoch, 04.Oktober, 09:13 Uhr
Ihre politische Bewertung dieser Entwicklung ist weder seriös, noch wird sie der Komplexität gerecht. Und was völlig durch Ihr Bewertungsraster fällt, dass sind Figuren wie Mahler (damals ebenfalls RAF-Anwalt) oder Elsässer (damals Chefredakteur des linken Magazins "Konkret"), die beide heute am politisch rechten Rand tätig sind, Elsässer als Chefredakteur von Compact. Es gibt soweit ich weiß noch weitere ehemalige Linke oder Linksextreme, die den kurzen Weg ins rechte politische Lager gewählt haben.
An diesen Beispielen kann man sehen, dass es sich um sehr persönliche Entwicklungen und Veränderungen handelt und nicht um etwas, das man einer von Menschen aus politischen Richtungen gegründeten Partei ankreiden kann.
Die Grünen entstanden vielmehr als Folge der Friedensbewegung. Letztlich zählten zu den Gründungsmitgliedern der Grünen ebenfalls Menschen, die einer eher nationalradikalen Denkungsart anhingen, ich denke da zB an Gruhl.
Antwort von Erich, Mittwoch, 04.Oktober, 09:21 Uhr
Volltreffer Isabell!
Viele aus dem Dunstkreis der RAF Denke saßen im Bundestag und weiteren Schaltszellellen dieses Landes! Daraus ergab sich dieser Linksgrünversiffte Staat.
Antwort von Truderinger, Mittwoch, 04.Oktober, 09:46 Uhr
Man hätte ja an diesem Tag auch erst einmal an die Opfer des linksextremen Terrors denken können, aber nein! Viel schöner für Rechtsschwurbler ist es, die Grünen und die SPD in die Nähe der Terroristen zu rücken und gleichzeitig auch noch zu unterstellen, die RAF wäre für den Linksruck in Deutschland verantwortlich. Ähnlich bescheuert wäre es übrigens, den NSU für den jetzigen Rechtsruck verantwortlich zu machen!
Antwort von Leonia, Mittwoch, 04.Oktober, 11:01 Uhr
Lieber Herr Erich, Ihr Kommentar entbehrt der Logik. Und Sie unterschlagen die dubiosen Figuren, die aus der gleichen "Apo-Ursuppe" stammten und nun die Basis für die von Ihnen bevorzugte politische Richtung legten.
Denn wie erklären Sie sich dann den Erfolg der Rechten, die unter anderem mit dem von mir weiter oben erwähnten Horst Mahler (ehemals Anwalt der RAF-Attentäter und selbst angeklagt), sowie mit Jürgen Elsässers Unterstützung begannen? Elsässers damalige Zeitschrift Konkret bot unter anderem der RAF-Gründerin Ulrike Meinhof Raum für ihre Veröffentlichungen. Ihrer, Herr Erich, Logik gemäß entstand dann auf dieser Saat das rechtsbraun "versiffte" Lager?
Lang vorbei?, Mittwoch, 04.Oktober 2017, 08:37 Uhr
2.
Die Überschrift "40 Jahre nach dem RAF-Terror" ist so nicht korrekt.
Viele Attentate fanden ja erst später statt.
Antwort von Redaktion Kontrovers, Mittwoch, 04.Oktober, 16:25 Uhr
Sie haben recht, das ist missverständlich formuliert. Vielen Dank für den Hinweis.
Wir haben die Überschrift, die sich ja auf die Geschehnisse rund um den Deutschen Herbst beziehen soll, jetzt entsprechend ergänzt.
Elvira, Mittwoch, 04.Oktober 2017, 08:09 Uhr
1. Zeitzeugen
Unvergessen ist das Foto das Helmut Schmidt vor der Kirche zeigt wie er H.M.Schleyers Witwe kondoliert.
Man sieht ihm die Schuld an die er fühlt.
Und er hat dies wohl bis an sein Lebensende getan.
Aber das ist was echte Männer tun, das richtige tun auch wenn es schmerzt.
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Antwort von Rosl, Mittwoch, 04.Oktober, 12:53 Uhr
Ja, nachdem er Schleyer hat erschießen lassen. Dieser war halt kein Sozifreund und ausgesprochen kultiviert.
Antwort von Wolf, Mittwoch, 04.Oktober, 16:17 Uhr
@rosl,
Dieser Kommentar macht deutlich wie moralisch verkommen ihre Denke ist. Unterste Schublade,das alleraller letzte! Pfui!
Antwort von Leonia, Mittwoch, 04.Oktober, 20:19 Uhr
Herr Schleyer war schon vor dem Attentat eine kontrovers betrachtete Persönlichkeit: ehemaliger Burschenschafter, dann Mitglied der Waffen-SS und zur nämlichen Zeit ein einen harten und arbeitnehmerfeindlichen Kurs vorgebender Arbeitgeberpräsident. Auch wenn ihm niemand dieses Schicksal mit Entführung und Ermordung gewünscht hat, wurde er in der durchschnittlichen Bevölkerung sehr kritisch gesehen. Ihn als kultiviert zu bezeichnen wäre mir sicherlich nicht eingefallen, weil ich jemanden mit Burschenschafter- und Waffen-SS-Hintergrund nicht als kultiviert betrachten kann. Aber wohlgemerkt, das rechtfertigt weder seine Entführung noch seine Ermordung.