Rechtsextremismus online Umtriebe im "Weltnetz"
"Homepage" heißt bei deutschtümelnden Neonazis gern "Heimseite". Das "Internet" ist dementsprechend das "Weltnetz". Und in dem sind Rechtsextreme recht rege - zur Verbreitung ihrer Ideologie und Gewinnung neuer Sympathisanten.
Von Kai Brinckmeier und Jonas Miller
Internet und soziale Medien verändern nicht nur die Gesellschaft tiefgreifend, sie haben sich inzwischen auch zum wichtigsten Kommunikationsmittel des deutschen Rechtsextremismus entwickelt. Im "Weltnetz" lässt sich die ganze ideologische und organisatorische Breite des deutscher Neonazis beobachten. Die langfristigen Auswirkungen dieser Nutzung sind allerdings noch längst nicht abzusehen.
Hass online
Bereits Anfang der 1990er-Jahre erkannten deutsche Rechtsextreme die Chancen, die die neue Technologie (damals noch Mailbox-Netze) für sie bot. Es dauerte in der Folge nicht lange, dann entstanden die ersten Websites, Diskussionsforen und Online-Shops. Seit Anfang der 2000er-Jahre zählen Sicherheitsbehörden und unabhängige Initiativen zwischen ein bis zweitausend verschiedene - primär deutsche - Online-Angebote im Web. Neue Formate wie Weblogs, soziale Medien oder Apps werden in kürzester Zeit für die eigenen Ziele adaptiert und eingesetzt.
"Ohne das Internet könnten wir niemals so viele junge Menschen für unsere Ideen und Theorien interessieren."
Ingrid Rimland, Ehefrau des deutsch-kanadischen Holocaust-Leugners Ernst Zündel (Zitat von 1996)
Nachschub für die Bewegung
Trefferliste der Suche nach "Adolf Hitler" bei Facebook - Rechtsextreme agitieren immer häufiger in Sozialen Netzwerken.
Bis heute ist die Rekrutierung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine zentrale Strategie für Neonazis im Internet. Dabei setzt man auf alle technischen Formate und Mittel, die bei Jugendlichen beliebt sind etwa Videos, Animationen, soziale Netzwerke und Musik. Vor allem die sozialen Netzwerke werden intensiv genutzt: Musikvideos rechtsextremer Bands auf Youtube, menschenverachtende Gruppen bei Facebook oder Twitter, oder die - verdeckte - Beteiligung an aktuellen Diskursen auf Weblogs. Ein anderer Weg ist der Aufbau eigener "sozialer Medien", die sich an den kommerziellen Vorbildern orientieren, inhaltlich aber Propaganda verbreiten. Egal ob YouTube oder eigenes Netzwerk, die Gefahr, dass Jugendliche den Nazis ins Netz gehen, ist erheblich.
Netzwerk von Netzwerken
Obwohl die rechte Szene organisatorisch und ideologisch sehr unterschiedlich aufgestellt ist, treffen Parteien wie die NPD auf rechtsextreme Bürgerinitiativen, Skinheads, Neonazis und Autonome Nationalisten auf intellektuelle Strömungen wie zum Beispiel "die Identitären" und bilden ein engmaschiges und weitverzweigtes Netzwerk aus Netzwerken. Internet und soziale Medien haben im Laufe der letzten 15 Jahre eine "Neonazi-Lebenswelt" entstehen lassen, die für den modernen Nazi keine Wünsche offen lässt: Klamotten kauft man beim Nazi-Versand-Händler des Vertrauens, genauso, wie die neuesten CDs oder MP3; ebenso weitere Produkte des täglichen Bedarfs wie Parfum, Literatur, Fahnen usw.
Bei Bedarf kann man sich im angegliederten Forum / Weblog / sozialen Netzwerk darüber auch gleich austauschen. Und wenn der Sinn nach Zweisamkeit steht, leistet die Nazi-Partnerbörse Abhilfe. Schließlich hilft das Netzwerk, Distanzen zu überwinden: Bayerische Gruppen organisieren gemeinsam Konzerte oder Demos mit den Kameraden aus Sachsen oder Hamburg; Vereinsamung oder Vereinzelung droht keinem Neonazi in einem niederbayrischen Dorf, wenn die Kameraden online immer gegenwärtig sind. Zusammengehalten wird dieses Netzwerk von Netzwerken durch Nationalismus, Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit, die Verherrlichung des Nationalsozialismus, die Leugnung des Holocaust und der Ablehnung der Demokratie.
Verbote verpuffen
Obwohl sich zahlreiche Gruppen und Initiativen gegen Neonazis im Internet engagieren und ihre Online-Angebote von staatlicher oder den Betreibern verboten und gesperrt werden, tauchen immer wieder neue Online-Präsenzen auf. Neonazis nutzen das Internet auch deswegen, weil sie damit die deutsche Gesetzgebung umgehen können: Ein Hakenkreuz oder die SS-Runen öffentlich zugänglich zu machen, ist in Deutschland zwar verboten, nicht aber in den USA oder in Asien. Deswegen nutzen Neonazis die Gelegenheit ihre Angebote in den Ländern zu hosten, in denen deutsches Recht nicht greift.
Hasskommentare im Netz
In sozialen Netzwerken wird angeregt über gesellschaftspolitische Themen wie beispielsweise die Flüchtlingspolitik diskutiert. Rechtsradikale oder rassistische Kommentare und Anfeindungen sind immer wieder zu lesen, besonders auf Facebook. Das US-Unternehmen hat nach großer Kritik angekündigt, schneller gegen Hasskommentare vorgehen zu wollen. Bundesweit kommt es derzeit vermehrt zu Gerichtsprozessen gegen Verfasser von rechter Hetze in sozialen Netzwerken.
Gesellschaftliche Aufklärung
Rechtsextremismus im Internet ist eine gesellschaftliche und politische Herausforderung, genauso wie die Existenz rechtsextremer Parteien oder rechtsextrem motivierter Gewalt. Obwohl das Thema Rechtsextremismus und Internet populär ist, fehlt es einerseits an einer einheitlichen Strategie aller beteiligten staatlichen und gesellschaftlichen Akteure, wie dem Problem begegnet werden könnte. Langfristig gesehen greifen Gegenmaßnahmen auf der anderen Seite zu kurz, wenn sie außer Acht lassen, dass es vor allem darauf ankommt, Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene so früh und offen wie möglich über das Thema aufzuklären.
Hörtipp: Die Neonazi-Ideologie des NSU im Dokumentarhörspiel "Saal 101"