Türkei nach dem Putschversuch Mehr als 6.000 Menschen verhaftet
Auf den Putschversuch folgt die Verhaftungswelle. Die türkische Regierung hat bislang rund 6.000 Menschen festgenommen: darunter mehr als 2.700 Richter, darunter Verfassungsrichter sowie weit mehr als 2.800 Militärangehörige. Erdogan-Anhänger feierten bis in den Morgen hinein.

Alles wieder unter Kontrolle, überall in der Türkei hat die Regierung nach eigenen Angaben die Macht zurückerobert. In mehreren Städten, unter anderem auf dem Taskim-Platz in Istanbul, gab es Siegesfeiern von vielen tausend Erdogan-Anhängern. Sie skandierten den Namen ihres Präsidenten, hielten Erdogan-Bilder in die Höhe und schwenkten türkische Fahnen. In einer Rede forderte Präsident Recep Tayyip Erdogan von US-Präsident Barack Obama die Auslieferung des islamischen Predigers Fethullah Gülen. Der Erzfeind des türkischen Präsidenten lebt im Exil in den USA. Erdogan machte die Bewegung des Predigers für den Putschversuch verantwortlich.
Wenn die USA wirklich ein Partner der Türkei seien, müssten sie dieser Aufforderung nachkommen. Die Türkei liefere schließlich ihrerseits Terroristen an die USA aus.
Tausende Regierungskritiker werden verhaftet
Die von Erdogan nach dem Putschversuch angekündigte Säuberungsaktion ist unterdessen in vollem Gange. CNN Turk berichtete über die Festnahme von zwei Verfassungsrichtern. Davor waren bereits zehn Mitglieder des türkischen Staatsrats und fünf Angehörige des Hohen Rats der Richter und Staatsanwälte festgenommen worden. Gegen 140 Richter sind laut türkischen Medien Haftbefehle ergangen, Büros und Wohnungen der Beschuldigten seien durchsucht worden. 2.700 Richter wurden abgesetzt, fast ein Fünftel der Richter des Landes.
Laut dem Chef der Richtergewerkschaft Mustafa Karadag handelt es sich bei ihnen nicht nur um mutmaßliche Unterstützer des Putsches, sondern auch unbeteiligte Kritiker Erdogans.
Bereits in der Nacht zum Samstag, also kurz nach Beginn der Gewalt, hatte Erdogan angekündigt, gegen die Hintermänner vorzugehen. Den Umsturzversuch bezeichnete er als "Segen Gottes", weil er die Gelegenheit biete, die Armee von Regierungsgegnern zu säubern. Die Regierung hat nach eigenen Angaben mehr als 2.800 am Putschversuch beteiligte Militärs festnehmen lassen. Der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim beschrieb das Vorgehen der Regierung gegen die Aufständischen gestern so.
"Es gibt viele von ihnen. Sie wurden vom Dienst suspendiert, andere sind verhaftet worden. Einige werden wir noch festnehmen, nach ihnen wird gefahndet. Jedenfalls haben wir fast alle Drahtzieher in Gewahrsam genommen. Die Dinge sind unter Kontrolle."
Ministerpräsident Binali Yildirim
Der islamische Prediger hat den Vorwurf, hinter dem Putsch zu stecken, zurückgewiesen und den Versuch scharf verurteilt. Ministerpräsident Yildirim unterstrich Erdogans Forderung nach Gülens Auslieferung mit den Worten, jedes Land, das Gülen unterstütze, werde als im Kriegszustand mit der Türkei betrachtet. Kerry erklärte, die USA seien bereit, der Türkei dabei zu helfen, die Verantwortlichen für den Putschversuch ausfindig zu machen. Die Vereinigten Staaten würden aber nur dann Maßnahmen ergreifen, wenn es Beweise gegen Gülen gebe.
Bei den Kämpfen in der Nacht zum Samstag kamen laut Yildirim 265 Menschen ums Leben, unter ihnen mehr als 100 Putschisten. Mehr als 1.100 Menschen wurden verletzt.
Kämpfe bis zum Morgen
Am Freitagabend hatte das Drama begonnen: Die Putschisten, die vor allem aus den Reihen der Luftwaffe und der Panzerverbände kamen hatten die Macht im ganzen Land für sich reklamiert. Kampfflugzeuge flogen über Ankara. Militärfahrzeuge blockierten Brücken in Istanbul. In Istanbul kam es am Taksim-Platz zu einem Feuergefecht zwischen Polizei und Soldaten, Medien meldeten darüber hinaus Schüsse auf demonstrierende Putschgegner an der Bosporus-Brücke.
Am frühen Samstagmorgen jedoch drehte sich die Situation: Kampfjets griffen Panzer der Putschisten an, die am Präsidentenpalast in Ankara aufgefahren waren. Erdogan hatte zu diesem Zeitpunkt bereits seinen Urlaub am Mittelmeer abgebrochen und wurde in Istanbul von jubelnden Anhängern erwartet.
Reaktion aus Berlin
Bundeskanzlerin Angela Merkel verurteilte den Putschversuch scharf und forderte ein Ende des Blutvergießens. Zugleich rief sie die türkische Regierung zu einem rechtsstaatlichen Umgang mit den Putschisten auf. Gerade im Umgang mit den Verantwortlichen für die tragischen Ereignisse der letzten Nacht sollte sich der Rechtsstaat beweisen, sagte sie. An alle Deutschen, die sich in der Türkei aufhalten, appellierte Merkel, sich umsichtig zu verhalten und auf die aktuellen Hinweise des Auswärtigen Amtes zu achten.
Informationen für Urlauber
Das Auswärtige Amt hat seine Reisehinweise für die Türkei aktualisiert. Es schreibt jetzt: "Reisenden in Istanbul und Ankara wird bis zur vollständigen Klärung der Lage weiterhin zu äußerster Vorsicht geraten. Dies gilt insbesondere auf öffentlichen Plätzen für Menschenansammlungen. Im Zweifelsfall wird geraten, in sichere Wohnungen und Hotels zurückzukehren und die Medienberichterstattung sowie diese Reise- und Sicherheitshinweise aufmerksam zu verfolgen." Viele Fluggesellschaften haben Flüge nach Istanbul und Ankara gestrichen, in die Urlaubsregionen im Süden und Westen der Türkei wird aber weiter geflogen. Die Lufthansa will am Sonntag den normalen Flugbetrieb in die Türkei wieder aufnehmen. Grundsätzlich sollten sich Urlauber rechtzeitig bei ihren Gesellschaften oder Veranstaltern informieren. Etliche Reiseunternehmen bieten auch eine kostenlose Umbuchung oder Stornierung an.
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Ein Bayer, Sonntag, 17.Juli 2016, 14:10 Uhr
10. Die Stabilität der Türkei wackelt
Wer auch immer den Umsturz wollte, hat nur eines erreicht: Die weiterhin schleichende Instabilität der Türkei. Erdogan stellt sich jetzt einen "Freifahrtsschein" für alles Mögliche aus und setzt sich bei seinen Amstkollegen der Welt in die Nesseln. Wirtschaftlich gesehen wird das Land an Bedeutung verlieren, weil kein vernünftiger Handelspartner mehr auf Aussagen von türkischen Wirtschaftsführern vertrauen kann. Und die Hälfte des türkische Volks vertraut einem Autokraten, der es ins Verderben führt, weil er vermutlich noch an das glaubt, was er sagt und tut, obwohl es gegen die Menschlichkeit und damit gegen die eigene Bevölkerung ist. Militärmächte wie die USA und Rußland werden nicht mehr auf die stabilisierende Komponente der Türkei im Nahen Osten vertrauen können. Die Karten werden jetzt sicherlich neu gemischt, aber die Türkei ist nun der "Schwarze Peter", den keiner brauchen kann. Schade um die 50 Prozent der Bevölkerung, die ihrem Präsidenten misstrauen. Sie muß es jetzt büßen.
Antwort von Pro Erdogan, Montag, 18.Juli, 15:51 Uhr anzeigen
"Erdogan stellt sich ... türkischen Wirtschaftsführern vertrauen kann"
Warum? Weil man bemüht ist, kompromisslos einen Akt des Hochverrats aufzuklären? Soll das dazu führen, dass man nicht mehr glaubhaft ist???
"Und die Hälfte...gegen die Menschlichkeit und damit gegen die eigene Bevölkerung ist"
Die Konzentration Deutschlands liegt einzig darauf, was nun mit dem Flüchtlingsdeal passiert.
Einem Deal, der dazu vereinbart wurde sich seiner Verantwortung für die Menschlichkeit zu entziehen! Zumindest auf den Großteil der Verantwortung.
Der Rest deines Artikels ist an Spekulation nicht mehr zu übertreffen und kann nur als Stimmungsmache bezeichnet werden.
Die Finanzmärkte heute (18.07.2016) zeigen sich stabil, kein Weltuntergang also.
Jetzt mal eine Spekulation meinerseits: Wären heute Neuwahlen, garantiere ich mit Haus und Hof auf einen Wahlsieg mit über 60%.
Ab einem bestimmten Punkt zählen Parteizugehörigkeiten in der Türkei absolut NICHTS. Erst das Vaterland!!!!!!!!!!!!!!!!
Matze, Sonntag, 17.Juli 2016, 13:43 Uhr
9. Schade
Lieder hat dieser Putsch noch nicht funktioniert, ich vertrauen auf den nächsten und auf das Todesurteil des wahnsinnigen Despoten Erdowahn. Kommt Zeit, kommt Rat, kommt Attentat!
Barbara, Sonntag, 17.Juli 2016, 13:13 Uhr
8. "Ubi societas, ibi jus!" So sagten schon die Humanisten vor 2000 Jahren,
Politische Machtkämpfe und Umstürze gab es schon immer. Das römische Recht kennt daher den Ausspruch: "Ubi societas, ibi jus!" (Wo es eine Gesellschaft gibt, da braucht man auch eine Rechtsordnung). Denn anders kann ein Gemeinwesen nicht ordentlich funktionieren.
Antwort von HP, Sonntag, 17.Juli, 13:30 Uhr anzeigen
@Barbara
...und, was hat das mit dem Theater in der Türkei zu tun ?
Antwort von Die nette Barbara, Sonntag, 17.Juli, 14:12 Uhr anzeigen
"???? ?? ????, ???? ????? ? ?????????? ??? ?? ?? ??????? ?? ?? ???? ? ?????." So sieht's aus.
Antwort von Cosi, Sonntag, 17.Juli, 18:17 Uhr anzeigen
@ Barbara
Ja genau ein Gemein-Wesen ist Erdogan, das stimmt. Gemein gegen seine eigene Bevölkerung. (...) Manche Despoten können nur durch Putsch oder Attentat aus dem Verkehr gezogen werden. Beispiele erspare ich mir ,die werden sie schon kennen, bei ihrer Schlauheit. Dieser Kommentar wurde von der BR-Redaktion entsprechend unseren
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Cosi, Sonntag, 17.Juli 2016, 12:57 Uhr
7. Drama mit vielen Akten und Akteuren
Das ist doch klar eine Inszenierung von Erdogan.Die Todesstrafe will er ja schon länger einführen, nun hat er ja einen Persilschein dafür. Die Türken währen gerne in der EU , so wird das nix.Die Islamisierung ist ja voll im Gange ,weil wer demonstriert und geht auf die Straße , alle Hardliner die für Erdogan sind.
Die Türkei ist weit entfernt von Europa und ein Eintritt ist völlig utopisch. Wer in EU leben will muss sich unseren Regeln anpassen.
Wer zwei Pässe hat ,bekommt bei kriminellen Handlungen den D- Pass abgenommen und verliert die deutsche Staatsbürgerschaft.
Was soll das denn für eine Demokratie sein in der Türkei? Anwälte ,Richter, Journalisten u. v. A. werden eingebuchtet ohne einen Gerichtverhandlung.Die Türkei ist reich an Macht,Korruption und Geld .Aber arm im Geiste,Toleranz und Demokratie in dieser Beziehung ist die Türkei ein Entwicklungsland. Was hat dieser Despot nur aus diesem Land gemacht?
Attatürk trennte Staat und Religion ..und das war gut!
Dilletant, Sonntag, 17.Juli 2016, 11:02 Uhr
6. Putsch war doch nur ein Pütschchen...
Würden Putschisten sich nicht an vorderster Stelle die Regierung vorknöpfen?
Ich hätte gedacht, die Regierung wäre das erste Ziel eines Putsches. Zeitgleich dann mit der Besetzung wichtiger strategischer Einrichtungen. Aber die Putschisten wussten offenbar gar nicht, wo Erdogan war?
Sehr dubios, aber an Verschwörung glaube ich auch nicht. Es ließe sich nicht auf Dauer geheimhalten.
Antwort von B.Blatt, Sonntag, 17.Juli, 14:14 Uhr anzeigen
@Dilettant
zu Ihrem letzten Satz:
In einer Demokratie lässt sich ein inszenierter Vorgang auf Dauer nur sehr schwer -wenn überhaupt- verheimlichen.
In einer Diktatur -zu dieser Kategorie kann man die Türkei mittlerweile wohl rechnen- ist dies jedoch die Regel.
Unangenehme Personen werden kaltgestellt, Mitwisser werden entweder spurlos beseitigt oder zu Geständnissen gezwungen und anschließend beseitigt.
Gibt Ihnen das Gerede Erdogans im Hinblick auf die Wiedereinführung der Todesstrafe nicht zu denken?
Antwort von Dilletant mit 2 LL, Sonntag, 17.Juli, 17:41 Uhr anzeigen
@B.Blatt
Pseudo heisst tatsächlich Dilletant im Gegensatz zum Dilettanten ;-) - Aber, egal, was glauben Sie wie Tag für Tag Nachrichten zustande kommen?
Und auch in der Türkei gibt es Whistleblower. Geschwätzigkeit ist menschlich. Sehen Sie sich .das Mitteilungsbedürfnis der Kommentarschreiber an oder in social media. Informationen können relativ diskret gestreut werden. Deshalb tobt ja eine Art Medienkrieg zwischen Medien und alternativen (verschwörerischen) Medien.
Erdogan traue ich vieles zu, da gebe ich ihnen recht. Diese Blöße würde allerdings nicht einmal er sich geben. Um die Todesstrafe einzuführen? Die Richtung hätte er auch bei den vergangenen Anschlägen einschlagen können. Oder um Richter zu feuern? Auch das hat er schon anlaßlos durchgeführt.
Die Türken haben Erdogan leider noch nicht durchschaut, aber sie werden es noch merken, welche Art "Demokratie" es in der Türkei geben wird.