Drehbuch-Legende Der Purucker und seine Zeit
Wenn er nichts gemacht hätte als diese eine Familiensaga in zwei Formaten - "Die Grandauers und ihre Zeit" im Radio, im Fernsehen "Die Löwengrube": Es hätte sich gelohnt. Tatsächlich hat Purucker sein Jahrhundert in unzähligen Arbeiten aufs Unterhaltsamste seziert und inszeniert.
Dass er Hitler am Anfang prima fand, lag an seiner Hose. Nicht an der von Hitler - der von Purucker. Den Matrosenanzug nämlich, den er vor 1933 tragen musste, hasste der kleine Willy. Ebenso die Alternative, das abgetragene Hirschlederbeinkleid seines Vaters, das viel zu lang und daher im weiteren Umfeld als "Kniepieslerhose" bekannt war. Bei der Hitlerjugend aber wurde man neu eingekleidet.
"...und daß in diesem Zusammenhang endlich einmal eine Hose zu haben war, die nicht über die Knie hing, hängen durfte, weil es nämlich eine Richtlinie gab, gegen die auch meine Eltern und vor allem meine Großmutter, wenn sie sich nicht mit Herrn Hitler anlegen wollten, machtlos waren, das alleine war für mich schon Grund genug, Pimpf zu werden."
Willy Purucker in Kurt Wilhelms Turmschreiber-Chronik
Der Vater - ein Haidhausener Bankangestellter - und die Mutter hatten bei der Sache kein gutes Gefühl, konnten aber nichts dagegen machen. Auch nicht dagegen, dass sich Willy nach dem Notabitur 1943 mit 17 Jahren als Kriegsfreiwilliger meldete und in Gefangenschaft geriet.
Als Purucker im Herbst 1945 nach München zurückkehrt, sind plötzlich alle schon immer dagegen gewesen und nur die ganz Üblen noch immer dafür. Willy Purucker aber - von der Sache mit der Hose gründlich geheilt - ist keiner, der sich die Geschichte leicht macht.
Ein Alleskönner im Schnelldurchlauf
Von jetzt ab schaut er ganz genau hin - erst als Karikaturist, später als Redakteur und Cartoonist bei der "Neuen Zeitung" München, dem Vorgänger der heutigen Süddeutschen, und als Mitherausgeber der Jugendzeitung "Wir". Dann kommt das Radio.
1947 wird mit Unterstützung von Radio München der so genannte Heimkehrer-Kreditfonds gegründet. Die Idee: Radiohörspiele sollen die Schicksale der Kriegsrückkehrer darstellen und so die Spendenbereitschaft fördern. Purucker ist auch hier dabei und kann so alle Bereiche des Hörfunks als Reporter, Sprecher, Autor und Regisseur kennen lernen - und wenig später auch das neue Medium Fernsehen. Die unterschiedlichen Darstellungsformen reizen ihn, ebenso die Tatsache, dass ihm in der Aufbauphase nicht ständig Experten vor der Nase stehen: "Die meisten waren Anfänger."
"Wenn man mir die Regierung angeboten hätte, hätt' ich die auch übernommen. Das ist die Macht der Unwissenheit. Heut würd' ich über die eigenen Beine stolpern, weil ich weiß wie schwierig vieles ist."
Purucker im Gespräch mit Stephanie Heinzeller, Eins zu Eins. Der Talk.
Löwengrube: Die Entdeckung des Alltags
1972 entfacht er einen Skandal, als er "Im bayerischen Stil" unverblümt den Ausverkauf von Kulturgütern beschreibt. Ein Gemeinderat, der sich getroffen fühlt, beschwert sich darüber, dass im Text 28-mal das Wort "Arschloch" vorkommt. 1979 dann erwärmt Purucker die BR-Verantwortlichen für ein Projekt, das ihm schon lange im Kopf herumspukt: Die buddenbrookshaft episch angelegte Geschichte einer Münchner Polizistenfamilie von der sogenannten "guten alten Zeit" bis zum Wirtschaftswunder - zwei Kriege, drei Generationen, vier politische Systeme, unzählige Erzählfäden. Ein Risiko: Noch nie hat jemand Weltgeschichte und bayerischen Alltag so intensiv ineinander verwoben. Doch die Zeit ist reif dafür.
Der Stoff wird ein Riesenerfolg, erst im Radio, später in der etwas veränderten TV-Fassung. Das liegt auch an den Darstellern: Das markante Timbre von Karl Obermayr enthält alle Zwischentöne eines Mannes, der sich in seiner Haut nicht wohlfühlt, das aber nicht zugeben kann. Aus den anderen Stimmen könnte man einen ziemlich vollzähligen Chor der bayerischen Schauspielgötter jener Zeit zusammenstellen.
"Sie hörten die Grandauers. Es sprachen ..."
Gerd Anthoff, Toni Berger, Gustl Bayrhammer, Katharina de Bruyn, Helmut Fischer, Max Grießer, Erich Hallhuber, Willy Harlander, Horst Kummeth, Ilse Neubauer, Romuald Pekny, Horst Sachtleben, Franziska Stömmer, Fritz Straßner, Udo Wachtveitl, Elmar Wepper und viele andere.
Jörg Hube: Vom Hausmeister zur Hauptfigur
Purucker selbst ist als Erzähler zu hören und in Nebenrollen der sehr junge Ottfried Fischer und Jörg Hube, der nicht ahnt, was Purucker noch mit ihm vor hat; der weiß es ja selbst noch nicht. Niemand ahnt Schlimmes, als Karl Obermayr im Studio klagt, dass sich sein Arm "irgendwie so pelzig" anfühlt. Wenig später ist der Mime tot, Krebs, und die Serie endet ungeplant mit dem Zweiten Weltkrieg.
Es dauert Jahre, bis das Fernsehen den Stoff übernimmt. Dann ist es Rainer Wolffhardt, der Regisseur und kongeniale Mitdenker Puruckers, der Hube für die Hauptrolle vorschlägt. Purucker ist skeptisch, ob der freigeistige Prackl Hube einen Kleinbürger verkörpern kann, der "seine Kleider von innen abwetzt vor Zittern und Angst." Doch Hube ist das Beste, was der Serie passieren kann. Publikum und Kritik sind beeindruckt, der Adolf-Grimme-Preis und der Bayerische Fernsehpreis folgen.
Purucker macht noch vieles andere, auch noch in seinen 70ern, meistens erfolgreich. Zu einer Fortsetzung der Grandauers kommt es zu seinem Bedauern nicht. Ab 2008 veröffentlicht er die Saga dreibändig in Buchform. Losgeworden ist er die Figuren bis zu seinem Tod nicht.
"Das war ein Dilemma, mit dem ich lange zu tun hatte. Wenn man so lange mit Figuren zu tun hat, werden die zu lebendigen Menschen, zu Nachbarn und Bekannten. Die sind mir dauernd in neue Stücke hineingeraten, in denen sie nichts zu tun hatten."
Purucker im Gespräch mit Stephanie Heinzeller, Eins zu Eins. Der Talk