Einfluss der Zuckerlobby auf EU Welche Gefahren drohen den Verbrauchern?
Die europäische Zuckerlobby soll mit millionenschweren Kampagnen die EU beeinflussen, um industriefreundliche Regelungen zu erreichen - in Zeiten, in denen europaweit über gesündere Ernährung diskutiert wird. Das geht aus dem Bericht "Ein Löffel Zucker: Wie die Lebensmittelindustrie gegen die Zucker-Regulierung der EU kämpft" der Organisation CEO hervor, der dem ARD-Magazin report München voliegt.
Der Lobby-kritischen Organisation Corporate Europe Observatory (CEO) zufolge wendet die Zuckerlobby verschiedene Strategien an. Laut ihrem Bericht soll ein Erfolg der Lobbyverbände sein, dass beispielsweise bei Verpackungsangaben nicht zwischen natürlichem und extra zugesetztem Zucker unterschieden wird. Hier seien die Interessen der Lobby geschickt durchgesetzt worden. Gesundheitsexperten kritisieren das. So mache es bei einem Früchtejoghurt beispielsweise einen Unterschied, ob die enthaltenen Zuckerarten natürlich vorhandene Zucker, zum Beispiel Milchzucker, oder beigemischte Zucker sind. Selbst wenn einzelne Mitgliedsstaaten oder Lebensmittelhändler dies kennzeichnen wollten, dürfen sie diese Information nicht auf die Verpackungen drucken. Die neue EU-Lebensmittelinformationsverordnung, die im Dezember 2016 in Kraft tritt, verbietet das sogar jetzt.
Vorwurf: Studien von Industrie bezahlt
Auch ein wissenschaftliches Gutachten der Europäischen Lebensmittelbehörde (EFSA) trage dazu bei, dass die Einschränkung des Zuckerkonsums oder neue Kennzeichnungspflichten weniger politisch verfolgt werden. Seit 2010 meint die EFSA, es gebe nicht genügend wissenschaftliche Beweise für einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Zuckerkonsum und Übergewicht, und daher auch keinen Grund, niedrigere Obergrenzen für zugesetzten Zucker zu setzen.
Von den dabei verwendeten fünf Studien, die diese Aussage stützten, wurden allerdings vier von der Industrie bezahlt, so der Bericht von Corporate Europe Observatory. Eine Sprecherin der EFSA räumt dies gegenüber über report München zum Teil ein:
"Sowohl unabhängige als auch von der Industrie finanzierte Studien waren Grundlage dieser Entscheidung."
EFSA
Der deutsche Verband Wirtschaftliche Vereinigung Zucker meint dazu:
"Wir halten es aber nicht für gerechtfertigt, industriegeförderte Studien von vorneherein als 'unwissenschaftlich' abzutun. Entscheidend für die Bewertung muss auch hier die angewandte Methodik sein sowie die transparente Information darüber, wer die Studie in wessen Auftrag realisiert hat."
Wirtschaftliche Vereinigung Zucker
Kritik von der WHO
Die EU-Behörde wurde dafür aber sogar von der Weltgesundheitsbehörde (WHO) kritisiert:
"Wir stellten fest, dass die EFSA alle Beweise und die Ergebnisse der wissenschaftlichen Arbeiten, einschließlich der aus den Jahren 2002 und 2007, außer acht gelassen hat."
Chizuru Nishida aus der WHO-Abteilung 'Ernährung für Gesundheit und Entwicklung' bei der WHO gegenüber report München
Im entscheidenden EFSA-Gremium "Diätische Produkte, Ernährung und Allergien" seien, so die Bewertung von CEO, nur zwei von 21 Wissenschaftlern ohne jegliche Interessenskonflikte gewesen.
"Die Mitglieder des Gremiums wurden alle überprüft und nach den strengen Kriterien der EFSA beurteilt. Keiner der Experten, die zu dieser Empfehlung beitrugen, hatte unserer Ansicht nach einen Interessenkonflikt."
EFSA-Sprecherin gegenüber report München
Vorwurf: Sponsering wissenschaftlicher Studien
Diese Interessenskonflikte entstehen auch durch eine weitere Strategie der Zucker- und Lebensmittelverbände. So würden sie wissenschaftliche Studien sponsern und eigenfinanzierte Industrieforschungen dann als Zulassungsstudien durchzusetzen.
"Für uns besteht der größte Skandal darin, dass die zuständigen EU-Behörden sich trotz der vielen eindeutigen Forschungsergebnisse immer noch nicht einig sind, welche Gesundheitsrisiken mit übermäßigem Zuckerkonsum in Verbindung stehen."
Katharine Ainger von CEO
Nach Angaben der WHO sind über 50 Prozent aller EU-Bürger übergewichtig oder fettsüchtig. Gesundheitsexperten machen hochverarbeitete Lebensmittel dafür mitverantwortlich. Vertreter der Industrie treten dem entschieden entgegen. So antwortet Verband Wirtschaftliche Vereinigung Zucker:
"Entscheidend ist die individuelle Energiebilanz. Wer mehr Kalorien aufnimmt, als er (oder sie) verbraucht, nimmt zu. Woher diese Kalorien kommen, spielt für das Körpergewicht keine Rolle. Deshalb bringt es nichts, eine Zutat, den Zucker, als vermeintlich Schuldigen zu brandmarken."
Wirtschaftliche Vereinigung Zucker
Doch selbst die EFSA erkennt auf Nachfrage an, dass es wissenschaftliche Belege dafür gebe, dass stark gezuckerte Getränke zur Gewichtszunahme beitragen können.
Basierend auf den Zahlen des EU-Transparenzregisters geben Verbände etwa 21,3 Millionen Euro jährlich aus, um Einfluss auf europäische Behörden zu nehmen.
Der CEO-Bericht
CEO ist die Abkürzung für Corporate Europe Observatory. Diese Lobby-kritische Organisation mit Sitz in Brüssel durchleuchtete in monatelanger Arbeit die Aktivitäten der europäischen Zuckerlobby. In ihrem Bericht "Ein Löffel Zucker: Wie die Lebensmittelindustrie gegen die Zucker-Regulierung der EU kämpft" listet CEO auf, wie millionenschwere Kampagnen dazu dienen sollten, EU-Institutionen zu beeinflussen und so eher industriefreundliche Regeln zu erreichen. report München konnte den Bericht vorab exklusiv einsehen.
Der CEO-Bericht "Ein Löffel Zucker: Wie die Lebensmittelindustrie gegen die Zucker-Regulierung der EU kämpft" erscheint zu einer Zeit, in der europaweit über gesündere Ernährung diskutiert wird. Dabei rückt auch die Rolle des hohen Zuckergehalts in Lebensmitteln immer mehr in den Fokus der Diskussion von Behörden und Verbraucherschützern.