Presse - Intendant


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BJVreport "Wir müssen nicht jeden Hype mitmachen"

BR-Intendant Ulrich Wilhelm über die Zukunft von Hybrid-TV, trimediales Arbeiten in der Kostenklemme und die Liebe zur bayerischen Heimat. Ein Interview von Senta Krasser und Michael Anger im BJVreport (4/2012).

Stand: 17.08.2012

Herr Wilhelm, die "rundshow" wurde bundesweit beachtet wie lange keine Sendung mehr aus Ihrem Haus. Medienmenschen bezeichneten sie wahlweise als "vielleicht größtes TV-Experiment" oder "lustige Technikspielerei". Wie kam das Social-TV-Projekt bei Ihnen an?
Ulrich Wilhelm: Wir sind hochzufrieden. In diesen vier Wochen konnte der Sender viele Erfahrungen sammeln. Ich habe mir selbst die Abläufe in der Regie während einer Sen- dung angesehen. Die Einbindung von Social Media in eine TV-Sendung ist zwar technisch komplex und dramaturgisch anspruchsvoll. Das "rundshow"-Team hat im Vorfeld und während der Sendestrecke aber viel experimentiert, wie Social-TV funktionieren kann. Dies war interaktives Fernsehen auf der Höhe der Zeit. Hohe Beachtung fand neben der Einbindung von Twitter und Google-Hang- out die Entwicklung der eigenen App "Die Macht", mit der über Themen abgestimmt oder Applaus in die Sendung eingespielt werden konnte.

Gibt es eine Fortsetzung?
Die "rundshow" war von vorneherein auf begrenzte Zeit angelegt. Unser Ziel war, redaktionelle und technische Erfahrungen zu sammeln.

Wird der Zuschauer demnächst etwa bei der "Münchner Runde" über die "rundshow"-erprobte App in Echtzeit virtuell Buh rufen oder applaudieren können?
Das "rundshow"-Konzept ist ganz sicher nicht auf jede andere TV-Sendung über- tragbar, aber interaktive  Elemente machen an vielen Stellen Sinn. Welche Elemente wir aus der rundshow einsetzen, werden unsere Programm-Macher entscheiden. Es war uns jedenfalls wichtig, Relevanz im Netz aufzu- bauen und das ist uns auch gelungen. Unsere App "Die Macht" war zeitweise auf Rang elf im App-Store, auch bei Twitter waren wir im- mer wieder Topthema.

Getwittert haben die digital natives, nicht das klassische BR-Publikum. Was wollen Sie tun, damit diese jungen, dynamischen, netzaf- finen Menschen Ihnen treu bleiben?
Im gesamten öffentlich-rechtlichen An- gebot bieten wir den Jüngeren zu wenig an. Wir müssen das Vollprogramm schrittweise verjüngen und zusätzliche, junge Angebote machen. Hybrid-TV kommt der Mediennutzung jüngerer Generationen zwar entgegen. Es wäre aber sicher falsch, sich allein hierauf zu konzentrieren. Viele Millionen Menschen werden noch jahrelang klassische Fernsehge- wohnheiten haben, auch wenn immer mehr mit Mediatheken umgehen können.

Ein Plädoyer für einen Jugendkanal,  wie ihn Ihr eigener Rundfunkrat fordert?
Wir werden die Diskussion in den nächs- ten Monaten sehr konstruktiv führen. Meine persönliche Auffassung ist, dass wir durch eine Bündelung von Digitalkanälen innerhalb der ARD, noch besser mit Unterstützung auch des ZDF, ein attraktives Angebot auch für jüngere Zuschauer machen können und machen sollten. Wir haben leider bei unter 50-Jährigen an Boden verloren und verfügen selbstverständlich über das kreative Potenzial, es besser zu machen.

Wie wollen Sie verbessern?
Um vom BR zu sprechen: Mit Sebastian Winkler und Sandra Rieß, die übrigens auch Ko-Moderatorin der "rundshow" war, haben wir zum  Beispiel zwei junge Moderatoren, die ihren Weg machen werden, auch national. Darüber hinaus sind wir dabei, unsere jungen Angebote auf neue Füße zu stellen: Nächstes Jahr gibt es einen Neustart unter neuem Namen und mit einem veränderten Konzept.

Es kursiert die Idee, an Ihrem Zweitkanal BR-alpha andere ARD-Anstalten zu beteiligen und so frei gewordene Ressourcen etwa in einen Jugendsender zu investieren. Gefällt Ihnen das?
Ich kenne diese Idee nicht. BR-alpha ist der einzige öffentlich-rechtliche Bildungskanal. Die KEF, die sich mit den Finanzen von ARD, ZDF und Deutschlandradio befasst, hat es einmal sogar das öffentlich-rechtlichste aller Programme genannt. Der besondere Akzent auf Bildung und Wissenschaft ist für uns wichtig. Ein Programm in dieser Güte und Nachhaltigkeit könnte sich kein werbefinanzierter Anbieter leisten.

Sie sagen "wichtig" – aber ist ein eigenes Bildungsprogramm noch zeitgemäß? Die Etats sind eingefroren, Sie müssen sparen und wissen nicht, was Sie nach Einführung der Haus- haltsabgabe 2013 erwartet.
Unsere  Programmautonomie  ist an  den finanziellen Rahmen gebunden, den uns die KEF und der Staatsvertrag vorgeben. Kultur, Bildung, Wissenschaft, Information sind, ne- ben Unterhaltung und Sport, die zentralen Programmpfeiler. Daran wird nicht zu rütteln sein. Was wir uns konkret leisten kön- nen, um diesen Programmzielen zu dienen, wird auch in den kommenden Jahren von den finanziellen Rahmenbedingungen abhängen.

Beim Sparen, denken Sie da zuerst ans Programm und dann ans Personal?
Wir brauchen leistungsfähigen Journalismus, der die komplexen Fragen unserer Zeit erklären kann. Und wir müssen ihn auf all den Ausspielwegen zugänglich machen, die unsere Beitragszahler nutzen.

Aber Sie müssen doch irgendwo runter mit den Kosten.
Seit 2009 ist die Rundfunkgebühr unver- ändert, seitdem sind auch die Etats beim BR eingefroren. Im gleichen Zeitraum sind zum Beispiel die  Energiekosten deutlich gestiegen. Bei gedeckeltem Haushalt muss auch jede Tariferhöhung oder Investition in neue Technik an anderer Stelle aufgefangen werden. Bislang haben wir es geschafft, unseren Qualitätsstandard dennoch zu halten. Hochwertige Programme sind ein hohes Gut für den gesellschaftlichen Diskurs. Eine politische Vorgabe, deutlich mehr zu sparen, würde es zunehmend schwierig machen, unseren Programmauftrag zu erfüllen. Ich werde die Diskussion über die hohe gesellschaftliche Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks offensiv führen.

Auf der einen Seite müssen Sie sparen, auf der anderen planen Sie ein Großprojekt unter dem Arbeitstitel "BR hoch 3". Worum geht es?
"BR hoch  3" ist der  Name für unseren Veränderungsprozess, den wir übrigens aus eigener Kraft organisieren. Wir reagieren damit, wie viele Medienunternehmen,  auf den rasanten Wandel der Mediennutzung in der digitalen Welt. In den vergangenen Monaten haben sich im gesamten BR Projektgruppen intensiv mit der Frage befasst, wie Fernsehen, Radio und Internet bei Themenplanung und Recherche zusammenwachsen können.

Zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?
Die Geschäftsleitung wird im Herbst entscheiden. Grundlage sind vielfältige Empfehlungen aus den Projektgruppen. Was mich besonders freut: Viele Mitarbeiter nehmen den BR inzwischen stärker als ein Haus wahr. Wir tauschen uns mehr aus. Viele Kollegen haben sich im Prozess erstmals kennen und schätzen gelernt. Für die künftige Unternehmenskultur, in der wir mehr zusammenarbeiten, sind das gute Voraussetzungen.

"BR hoch  3" heißt: Wenn in Peking ein Radl umfällt, recherchieren nicht sofort alle Redaktionen parallel?
Wichtig bleibt, dass wir so schnell wie bisher bei aktuellen Ereignissen auf Sendung gehen können. Die neuen Strukturen sollen es ermöglichen, dass wir in der gleichen Geschwindigkeit mehr Hintergründe  zu Ereignissen liefern können.

Ist das geplante Aktualitätenzentrum  als Pendant zum Newsdesk bei Tageszeitungen zu verstehen?
Wie die Newsdesks wollen wir sehr schnell zu guten Ergebnissen kommen, die wir dann auf unterschiedlichen Wegen verbreiten. Bisher gehen wir beispielsweise nicht offensiv genug mit eigenen Recherchen um und zitieren stattdessen andere Medien. Das Aktualitätenzentrum wird unsere publizistische Kraft stärken.

Hilft das Aktualitätenzentrum dem Qualitätsjournalismus – oder fördert es nicht eher den Häppchenjournalismus?
Diese Gefahr wollen wir vermeiden. Öffentlich-rechtlicher Programmauftrag heißt: Nachhaltigkeit und  Seriosität. Wir müssen nicht jeden Hype mitmachen.  Manch- mal muss man entschleunigen zugunsten nachhaltiger Recherche. Es geht darum, an Themen dran zu bleiben. Die Planer im Aktualitätenzentrum können gezielt Hintergrundrecherchen in Auftrag geben und somit das Angebot der Reporter ergänzen.

Sind Ihre Mitarbeiter bereit und vorbereitet, trimedial zu arbeiten? Da treffen doch lauter Spezialisten aus Funk und Fernsehen aufeinander.
Es wird auch in Zukunft die Spezialisierung geben. Und zugleich haben wir Mitarbeiter, die bi- und trimedial arbeiten können. Bei vielen Zeitungen verfolgt man den Gedanken: Wir wollen keine Spezialisten. Wir wollen Mitarbeiter, die offline und online bedienen. Wie sie es machen, ist nicht so wichtig.Volontäre werden bei uns selbstverständlich trimedial ausgebildet, sie lernen Hörfunkbeiträge und bewegen sich sicher im Fernsehen. Viele wollen sich auch nicht auf ein Medium festlegen lassen. Klar ist: Es wird weiter auch Spezialisten geben. Ein Feature erfordert  beispielsweise jahrelange Erfahrungen in einem Medium. Wer bisher für das Radio produziert hat, kann auch nicht über Nacht Fernsehen lernen. Wir werden aber in trimediale Fortbildung investieren. Es ist hilfreich, das Programm auch mit den Augen der Kollegen sehen zu lernen.

Trimedialität schafft zwangsläufig Synergien. Die allein rund 1500 freien Mitarbeiter, die der BR beschäftigt, brauchen Sie allesamt weiterhin fürs trimediale Arbeiten?
Wir brauchen sie für ein lebendiges Programm. Die Freien prägen es an so vielen Stellen und das wird auch weiter der Fall sein. Ich schätze die Arbeit unserer Freien außerordentlich. Ich möchte jetzt nicht mehr versprechen, als ich halten kann: Aber unser Ziel ist es, durch die Bündelung von Strukturen mehr Mittel für die Programmarbeit zu schaffen. Die Tagesplaner und Koordinatoren bilden zwar die Struktur für unsere Inhalte, gestalten sie aber nicht allein. Gut aufbereitete Inhalte werden immer wichtiger, weil die Welt so erklärungsbedürftig geworden ist.

Wenn Sie die Kraft der Freien so sehr schätzen – können Sie sich vorstellen, die Freien aktiv im Personalrat zu beteiligen, so wie es etwa WDR und MDR tun?
Das hat der Gesetzgeber zu entscheiden. Persönlich spreche ich regelmäßig mit der sehr aktiven Freienvertretung im BR und wir haben sie auch beim Prozess "BR hoch 3" maßgeblich beteiligt.

"BR hoch 3"

Der Bayerische Rundfunk will trimedial zusammenwachsen. Bestimmte Inhalte werden künftig in Teamarbeit für Hörfunk, Fernsehen und Internet recherchiert und geplant und dann auf den verschiedenen Ausspielwegen verbreitet. Die Reform "BR hoch 3" soll bis 2022 abgeschlossen sein. Ihr Herzstück ist ein Aktualitätenzentrum, in das auch Fachredaktionen wie der Sport integriert sind. Unklar ist noch, wo genau zusammengearbeitet wird. Bislang sind Fernsehen (Freimann, Unterföhring) und Hörfunk (Innenstadt) getrennt; an den Standorten will der BR festhalten. Weil das Funkhaus am Rundfunkplatz saniert werden muss, steht womöglich ein vorläufiger Umzug nach Freimann an. Die erforderlichen Investitionen sind teilweise eingeplant und sollen nicht zulasten der Programmqualität gehen. Im Oktober will die Geschäftsleitung nach intensivem Austausch mit Mitarbeitern und Gremien über Bau- und Umzugsaktivitäten entschei- den. Erste Organisationsänderungen zur Trimedialität sind schon umgesetzt: So ist der Hörfunk für Jugend und damit auch für entsprechende Fernsehformate zuständig. Onlinemitarbeiter werden im Team mit Hörfunk- und Fernsehkollegen die Nachrich- tenseiten auf BR.de gestalten.

Sind Sie sich schon im Klaren, wie Sie Ihre trimedial arbeitenden freien Mitarbeiter bezahlen wollen? Bisher sind beim Fernsehen die Spitzenverdiener, die Onliner dagegen arm dran. Wird zur Mitte zu nivelliert?
Das ist ein sehr komplexes Thema, das wir sorgfältig erarbeiten. Schon vor meiner Amtszeit wurde eine Projektgruppe eingesetzt, die sich um größere Vergleichbarkeit bei der Honorierung kümmert. Hier haben wir schon einiges umgesetzt. Auch mit den Gewerkschaften haben wir bereits vereinbart, dieses Thema zu untersuchen. Grundsätzlich gilt: Unterschiedlicher Aufwand muss unterschiedlich honoriert werden.

Wollen Sie trimedial sein bis in die Führungsspitzen? Sprich die Aufteilung in Hörfunk- und Fernsehdirektion aufheben?
Es gibt im öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Europa Beispiele für beides, also organisatorische Trennung von Hörfunk und Fernsehen und ebenso integrative Modelle, letztere mit steigender Tendenz. Wir werden das sorgfältig bewerten.

2014 wäre eine ideale Gelegenheit. Da geht Ihr Hörfunkdirektor in Pension.
Die Führungsstruktur  muss zu dem passen, was wir machen. Das schließt unseren Reformprozess ein.

2014 wissen Sie zumindest Bescheid, wie viel Ihnen die neue Haushaltsabgabe einbringt. Was meinen Sie: Wird’s mehr, wird’s weniger?
Im Voraus sind bei einem so grundlegenden Modellwechsel, wie es ihn am 1. Januar 2013 geben wird, keine verlässlichen Aussagen möglich. Frühestens im Herbst 2013 werden Tendenzen erkennbar sein für die Höhe der Einnahmen und ihre Verteilung auf die einzelnen Rundfunkanstalten. Klar ist auch: Die KEF wird etwaige Mehreinnahmen in den nächsten Bedarfsberechnungen berücksichtigen. Jedenfalls dürfen wir nicht mehr behalten als uns vom Bedarf her zusteht.

Herr Wilhelm, es fällt auf, dass sich Ihr Sender mit Programmen im Ersten, speziell mit Reportagen und Dokumentationen, zuletzt zurückgenommen hat. Wie wollen Sie den BR in der ARD positionieren?
Ich teile Ihre Einschätzung nicht, dass wir uns im Ersten zurückgenommen hätten. Die Zahl der Reportagen und Dokumentationen ist über die vergangenen Jahre annähernd konstant geblieben. Im laufenden Jahr bringen wir sogar mehr Sendungen ein als in den Vorjahren, seien es Naturdokumentationen am Montag über Inn und Donau oder diverse Reportagen über aktuelle politische Entwicklungen. Derzeit arbeiten wir gemeinsam mit dem SWR an einem großen Feature über die Umwälzungen im Nahen Osten. Aber auch in anderen Bereichen bringen wir uns ein. Etwa in der Unterhaltung. Für den Dezember produzieren wir eine Samstagabendshow, in der Prominente an der Seite von professionellen Zauberern Tricks einstudieren. Für Anfang 2013 bereiten wir einen Themenabend zu Kinderhandel in Europa vor. Natürlich würde ich mir noch mehr wünschen. Aber das ist in Zeiten knapper Kassen schwierig. Wir hatten auch in diesem Jahr wieder viele Sondereinsätze, die uns auch finanziell einiges abverlangt haben: Brennpunkte über die Eurokrise in Griechenland, die Berichterstattung aus Teheran, das Erdbeben in Italien, die verunglückte Costa Concordia.

Ihr Vorgänger legte den Fokus auf die Region, auf Heimat. Thomas Gruber führte etwa die Daily Soap "Dahoam is dahoam" ein. Sie dagegen kommen von der Weltbühne Berlin ...
... na ja.

Werden Sie den BR mehr über den bayerischen Tellerrand blicken lassen?
Regionalität ist ein Megathema. Der BR ist in seiner Heimatkompetenz  und  in seiner Schwerpunktsetzung mit Geschichten aus Bayern unerreicht. Das wollen wir auch künftig ausbauen. Im Übrigen wird Heimatbewusstsein auch bundesweit immer größer geschrieben. Schauen Sie sich an, was waren die erfolgreichsten Zeitschriftenneugründungen?

Sie meinen "Landlust" & Co.?
Diese Zeitschriften stellen Heimatliebe und regionale Identität in den Mittelpunkt. Das wollen die Menschen auch von uns. Wir wären nicht gut beraten, wenn wir unsere Stärke nicht weiter ausbauen würden.

Auch Ihr Herz schlägt für die Heimat?
Ich bin ja Bayer.


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