Tatort München: Das Wunderkind Fragen an Jule Ronstedt
Die Geschichte von "Das Wunderkind" erzählt den Mikrokosmos eines Männergefängnisses und beleuchtet darin Gewalt und Gegengewalt. Was ist für Sie der Kern der Geschichte und wofür steht Anja Bremmer in diesem männlich dominierten Kosmos?
Anja Bremmer ist in diesem Gefängnis die einzige Frau weit und breit. Sie muss sich in dieser Testosteron-Welt behaupten. Ihr unattraktives Äußeres schützt sie da ein Stück weit. Aber sie ist von dieser Negativität und Aggressivität auch gezeichnet, besser gesagt, etwas abgestumpft. Sie glaubt nicht mehr an die Menschen. Auch sie hat im Knast gelernt: Wenn du überleben willst, musst du dich durchsetzen, dir nehmen was du brauchst, die Macht, die du hast, für dich nutzen. Da liegt für mich der Kern dieser Geschichte: Gewalt produziert Gewalt. So entstehen Kriege. Und zwar in erster Linie unter Männern! Frauen ticken ganz anders. Ich denke, weil sie Leben schenken können und darum eher beschützen als zerstören… aber Anja Bremmer ist schon ein Teil dieses Systems geworden.
Ihre Figur der JVA-Beamtin Anja Bremmer ist außergewöhnlich. Allein optisch sind Sie kaum wiederzuerkennen, wie haben Sie sich diese besondere Rolle erarbeitet?
Ja, das war großartig und eine echte Abwechslung! Nur bei Thomas Stiller darf ich solche Figuren spielen. Darum schätze ich die Zusammenarbeit sehr! Er hat mir schon mehrere grenzwertige, sperrige Rollen geschrieben. Anja Bremmer ist weder sympathisch, noch will sie gefallen, das hat sie längst aufgegeben. Sondern eine dicke, häßliche Frau, die sich selbst nicht ausstehen kann und alle diese kriminellen Männer im Knast genauso verachtet. Aber innerhalb dieses Knastsystems hat sie sich eine Machtposition geschaffen. Im Knast ist sie jemand. Außerhalb, im realen Leben, wohl eher nicht. Die Entscheidung für die optische Veränderung hat Thomas Stiller vorgegeben und dann haben wir gemeinsam entschieden: der Hintern, die Schenkel, das muss alles richtig zu viel sein. Ich musste alle Eitelkeit ablegen und wurde ausgestopft. Dadurch bewege und laufe ich automatisch ganz anders. Und dann hatte ich noch die Idee mit der dickeren Oberlippe, weil dadurch auch das Gesicht aufgequollener aussieht, unangenehmer, der Leberfleck betont das auch noch, die Haare schön fettig und ungepflegt... fertig war Frau Bremmer. Ich durfte den Fatsiute und das Kostüm zum Proben mit nach Hause nehmen. Da bin ich dann ein paar Tage so durch meine Wohnung gewackelt, um das richtige Körpergefühl für die Rolle zu bekommen. Aber ich habe auch vorab recherchiert und eine JVA Beamtin interviewt. Sehr aufschlussreich! Sie hatte bereits die Innenperspektive zu ihrer eigenen Realität gemacht. Und keine besonders hohe Meinung über die Inhaftierten, wenig Empathie.
Wie haben Sie die Dreharbeiten in der JVA Landshut bei laufendem Betrieb wahrgenommen?
Das war wirklich sehr interessant. Da hat sich eine Tür zu einem, mir bis dahin unbekannten, neuen Kosmos geöffnet. Was mir erst dort klar wurde: Es geht auch hinter diesen Beamten täglich das große, schwere Tor zu. Die sind auch eingesperrt, bis sie Feierabend haben. Ich hatte zuvor recherchiert und einige Gespräche geführt und dann während dem Dreh viel Kontakt mit den dortigen JVA Beamtinnen und Beamten. Sie haben mir sehr offen und auch kritisch von ihrem Alltag erzählt. Und mir einiges gezeigt. Ich musste mit diesen Schlüsseln üben, die Türen routiniert und schnell aufzusperren, dabei wurde ich natürlich streng beaufsichtigt, nicht nur vom Regisseur. Ich hatte den original Masterkey! Aber sie haben auch von ihren Arbeitszeiten, dem Schichtdienst erzählt… u.a. auch von ihrer schlechten Ernährung, nachts noch Pommes und Pizza, alleine schon deshalb war der Fatsuite, in den mich die Kostümabteilung gesteckt hat, ganz richtig. - Die Inhaftierten habe ich nicht direkt erlebt, nur gehört… Rufe, Gegröle, Pfiffe, ...da brodelt es, man spürt diese Aggression, die Energie! Wenn man nach Drehschluss wieder seinen Personalausweis zurück bekommt, der an der Schleuse eingesammelt wurde, und ins Hotel darf, ist man jedenfalls froh.
Hatten Sie schon mal beim Tatort München mitgespielt?
Nein, leider noch nicht. Aber gerne wieder! Das nächste mal dann vielleicht im Abendkleid, und mit roten Lippen… ;)