Interview mit der "Welt" "Die Kosten für den Gasteig-Umbau werden steigen"
BR-Intendant Ulrich Wilhelm wirbt weiterhin für einen neuen Münchner Konzertsaal. Er hat mit der „Welt“ über die Konzertsaal-Pläne von Seehofer und Reiter gesprochen.
Blickt BR-Intendant Ulrich Wilhelm aus seinem großen Büro im 15. Stock des BR-Hochhauses über die Stadt, sieht er alle wichtigen Kulturstätten: Die Oper, die Pinakotheken und auch das Kulturzentrum Gasteig. Dort soll nach dem Willen des Ministerpräsidenten der Konzertsaal umgebaut werden. Wilhelm hat aber die Hoffnung auf einen neuen Saal noch nicht aufgegeben, wie er im Interview sagt.
Die Welt: Herr Wilhelm, welche klassische Musik hören Sie gerne?
Ulrich Wilhelm: Die Bandbreite ist groß. Ich höre zum Beispiel gern Opern, von Mozart bis Wagner, und natürlich Symphonien und Klavierkonzerte.
Ulrich Wilhelm: Diese so genannte Zwillingslösung beruht auf der Grundannahme, dass wir einen stagnierenden Klassikmarkt hätten. Doch das Gegenteil ist der Fall: Die Klassik floriert. Die Bevölkerung im Münchner Großraum ist in den vergangenen Jahrzehnten stark gewachsen, während seit 1953 kein zusätzlicher Sitzplatz für große Orchestermusik dazu gekommen ist. Wir brauchen daher dringend zusätzliche Kapazität. Außerdem gibt es eine steigende Nachfrage im Bereich Pop, Jazz und Filmmusik. Auch um diese Sparten abzudecken, brauchen wir den Gasteig, den Herkulessaal sowie eben einen zusätzlichen Saal.
Die Welt: Nach der Übereinkunft von Ministerpräsident Seehofer und Münchens Oberbürgermeister Reiter wird der einzige große Saal im Gasteig dichtgemacht und umgebaut, danach gibt es auch nicht mehr Plätze. Fühlen Sie sich auch zum Narren gehalten, wie Dirigent Mariss Jansons sagte?
Ulrich Wilhelm: Ich war so viele Jahre in der öffentlichen Verwaltung, dass ich die Zwänge der politisch Handelnden kenne und auch anerkenne. Wichtig ist, jetzt nicht bei der Entscheidung gegen einen zusätzlichen Saal stehen zu bleiben, sondern nach vorn zu schauen.
Die Welt: Das heißt?
Ulrich Wilhelm: Wir müssen noch einmal kritisch die Annahmen überprüfen und mit Sachargumenten für einen neuen Saal werben, so wie wir es seit Jahren tun.
Die Welt: Gibt es neue Argumente?
Ulrich Wilhelm: Ein Argument werden die Kosten für das Umbauen im Bestand sein, sie dürften deutlich höher liegen, als kalkuliert.
Die Welt: Ist es nicht absurd, ohne Kostenvoranschläge zu entscheiden?
Ulrich Wilhelm: Ministerpräsident Seehofer und Oberbürgermeister Reiter haben ja selbst auf die jetzt anstehende umfassende Überprüfung verwiesen. Das bietet möglicherweise die Gelegenheit, die Entscheidung zu überdenken. Ich würde mir das wünschen. Der Konzertsaal ist bei weitem kein Thema, das sich auf München und die Kultur-Elite beschränkt. Hier geht es um den Ruf Bayerns als Kunst- und Kulturstaat von internationalem Rang. Nicht umsonst wird über die Konzertsaal-Debatte weltweit berichtet. Mehr als die Hälfte der Unterstützer einer Online-Petition kommt überdies von außerhalb Münchens.
Die Welt: Hätten Sie mehr politische Unterstützung gewünscht?
Ulrich Wilhelm: Ich habe mich mit dem Ministerpräsidenten und Kunstminister Spaenle häufig ausgetauscht. Und ich verstehe ein Stück weit deren Enttäuschung, dass kein Standort ohne Proteste gefunden werden konnte. Das ist aber kein Konzertsaal-Spezifikum, das ist in München immer so. Es gibt viele konkurrierende Ansprüche für die wenigen freien Flächen im Stadtzentrum. Deshalb muss am Ende jeder Debatte eine politische Entscheidung stehen.
Die Welt: Ist die aktuelle Entscheidung also mutig oder kleinmütig?
Ulrich Wilhelm: Ich möchte keine Deutung vornehmen. Ich glaube aber, dass Politik immer Richtungsbestimmung ist. Jetzt besteht die Chance, das Erfolgsrezept Bayerns – mit seiner einzigartigen Verbindung von Lebensqualität, wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und kultureller Strahlkraft – fortzuführen. Ein größeres musikalisches Angebot führt zu mehr Besuchern, mehr Übernachtungen, mehr Ansiedlungen und mehr Steuereinnahmen. Ein neuer Konzertsaal bedeutet mehr Wachstum und refinanziert sich langfristig selbst.
Die Welt: Warum haben sich die großen Unternehmen und Mäzene in München nicht mehr engagiert?
Ulrich Wilhelm: Viele Bürger haben angekündigt, dieses Vorhaben mit Spenden zu unterstützen – aber nicht, solange es ein abstraktes Vorhaben bleibt. Sobald wir einen Standort haben, wird auch in beachtlichem Umfang gespendet werden.
Die Welt: Könnte ein Bürgerentscheid ein Ausweg sein?
Ulrich Wilhelm: Bisher haben wir es in Bayern bei kulturellen Vorhaben immer vermocht, auch ohne Bürgerentscheid zu einer anspruchsvollen Lösung zu kommen, zum Beispiel bei der Pinakothek der Moderne, der Sammlung Brandhorst, dem Museum des 20. Jahrhunderts in Nürnberg oder bei der Sammlung Schäfer in Schweinfurt.
Die Welt: Die Münchner Philharmoniker haben inzwischen die Gasteig-Lösung begrüßt. Ist es gelungen, einen Keil in die Klassik-Szene zu treiben?
Ulrich Wilhelm: Da würde ich differenzieren zwischen einer politischen Erklärung nach außen und dem gemeinsamen Anliegen der Musik. Es geht hier nicht um einen Konzertsaal für den Bayerischen Rundfunk. Wir würden zwar für ein Erstbelegungsrecht, für Miete und eine hochwertige technische Ausstattung dieser öffentlichen Infrastruktur bezahlen. Wir haben uns aber immer dafür ausgesprochen, mit den Münchner Philharmonikern und den vielen freien Konzertveranstaltern ein gemeinsames Nutzungskonzept für die dann drei Säle zu entwickeln. Wir setzen auf Kooperation mit den Philharmonikern, nicht auf Streit.
Die Welt: Der Ministerpräsident hat Ihnen vorgeworfen, dass Sie ihn zu wenig unterstützt hätten.
Ulrich Wilhelm: Wer die Sachlage kennt, weiß, dass das nicht stimmt. Seit meinem Amtsantritt setze ich mich vehement für einen neuen Konzertsaal ein – öffentlich und in vielen begleitenden Gesprächen.
Die Welt: Setzen sie jetzt auf die Wendigkeit des Ministerpräsidenten?
Ulrich Wilhelm: Es gibt die klare Aussage aus der Staatskanzlei und dem Rathaus, dass die Untersuchungen zu Bauzeiten, Kosten, zum Übergangsquartier für die Orchester eine große Rolle spielen werden. Das signalisiert Offenheit. Ich setze immer auf die Kraft der Argumente.
Die Welt: Der Ministerpräsident hat sie auch angegriffen, weil Sie nach Markus Söders Auftritt in "Dahoam is Dahoam"Politiker aus dem Unterhaltungsprogramm verbannt haben. Wie sehen Sie Ihr Verhältnis zur Staatsregierung?
Ulrich Wilhelm: Es entspricht dem gebotenen Verhältnis eines Intendanten einer unabhängigen Rundfunkanstalt. Das lässt keinen Raum für Freundschaftsdienste und Gefälligkeiten. Umgekehrt respektiere ich in hohem Maß die Verantwortung der Politik und der Gewählten für das ganze Land.
Die Welt: Warum wurde die Söder-Sequenz aus der Mediathek entfernt? Sollte der BR nicht dazu stehen, wenn etwas schief gelaufen ist?
Ulrich Wilhelm: Politiker-Auftritte in Unterhaltungssendungen sind an sich nichts Ungewöhnliches. In diesem Fall aber war das Problematische die Verbindung politischer Aussagen mit einem fiktionalen Format. Politische Aussagen gehören in Formate mit einem journalistischen Gegenüber, das kritisch nachfragen kann. Daher können wir diese Sequenz nicht weiter öffentlich verfügbar machen.
Die Welt: Dem BR wird auch vorgeworfen, in der Konzertsaal-Debatte zu viel Werbung in eigener Sache zu machen, zum Beispiel in einer Sondersendung des Bürgerforums.
Ulrich Wilhelm: Der Bayerische Rundfunk hat ausführlich berichtet und dabei die Ausgewogenheit bewahrt. Zu der Sendung waren führende Persönlichkeiten aller Seiten eingeladen und alle kamen zu Wort. Auch Online haben sich Befürworter und Gegner rege beteiligt.
Die Welt: Reagiert die CSU so heftig auf Ihre Entscheidungen, weil sie gedacht hat, der Intendant sei einer der Ihren?
Ulrich Wilhelm: Nein. Es gibt in hohem Maß Verständnis für die notwendige Unabhängigkeit der Medien.
Die Welt: Wird sich das gespannte Verhältnis zur CSU auf eine mögliche Wiederwahl als Intendant auswirken?
Ulrich Wilhelm: Über die Wiederwahl entscheidet allein der Rundfunkrat.
Die Welt: Wann werden Sie zum ersten Mal im neuen Konzertsaal sitzen?
Ulrich Wilhelm: Ich bin sicher, dass dieser neue Saal kommt. Wann es soweit ist, muss ich der Weisheit der Regierenden überlassen.
Ulrich Wilhelm, Smarter Politprofi
Seinen guten Ruf als verlässlicher und smarter Pressesprecher konnte Ulrich Wilhelm auch in Berlin bewahren. 2005 wurde der Journalist (Deutsche Journalistenschule) und Jurist (Uni München und Passau) von Angela Merkel ins Bundeskanzleramt geholt. Davor war er – nach einem kurzen Gastspiel als Amtschef im bayerischen Wissenschaftsministerium – Sprecher von Ministerpräsident und Unions-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber. 2011 wurde der zweifache Vater Intendant des Bayerischen Rundfunks. Obwohl er die Politik von der Seite des Akteurs und des Beobachters kennt, ist das ehemals gute Verhältnis zur CSU inzwischen angespannt.
Interview: Peter Issig
Quelle: Die Welt vom 21. Februar 2015