EU will Bahnticket spendieren Nur wenige profitieren von der Interrail-Lotterie
Die Idee klang super: Europäer sollen zum 18. Geburtstag ein Interrailticket geschenkt bekommen, um die EU zu erfahren. Doch das Geld, das die EU dafür einplant, reicht längst nicht für alle.
Tatsächlich, es gäbe da eine Menge Dinge, die ich ohne mein Interrail-Ticket nicht über Europa gelernt hätte: Auf einer Fahrt durch Kantabrien haben mir die Leute gezeigt, dass spanische Clubs nie vor dem Morgengrauen öffnen. Auf der Zug-Fähre nach Sizilien habe ich erlebt, wie schön - und wie arm Europa sein kann. Und nicht nur über Europa, auch über sich selbst lernt man einiges. Auf dem Zeltplatz in Frankreich habe ich auf Englisch mit Osteuropäerinnen über die Englischkenntnisse von Ostdeutschen gelästert - bis sich herausgestellt hat, dass eine der Osteuropäerinnen selbst aus Leipzig kommt. Mein Fazit: Eine Interrail-Reise ist unvergesslich - und Europa ein bereicherndes Abenteuer.
Freies Interrail nur für jeden 20.
Das hat mittlerweile auch die Politik verstanden, zumindest der Teil, der Europa nach wie vor retten will. Selbst in der CSU gibt es diese Menschen, wie zum Beispiel Manfred Weber. Und bei der EU-Kommission kommt der Vorschlag offenbar gut an.
Zusätzlich zum Ausbildungs-Förderprogramm „Erasmus Plus“ erhält sie 50 Millionen Euro. Ein Teil davon soll dafür verwendet werden, 18-Jährigen das Ticket zu kaufen. Das Problem dabei: Um allen jungen Erwachsenen zum Geburtstag die Eisenbahn-Reise durch Europa zu ermöglichen, wären 1 bis 1,5 Milliarden Euro notwendig. EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc hat deshalb schon laut über eine Lotterie nachgedacht: Wer 18 wird und das richtige Los zieht, bekäme dann ein Ticket. Das wäre eine magere Ausbeute. Mit dem Geld, das die Kommission jetzt angedacht hat, könnte man bestenfalls jedem 20. Europäer ein Ticket schenken. Doch die Idee hat noch mehr Haken.
Nur ein kostenloses Interrail-Ticket ist zu wenig
Eine wichtige Frage ist doch: Wer kann sich eigentlich eine Interrailreise leisten – selbst wenn sie ihn nichts kostet? Mit 18 Jahren arbeiten viele längst, andere kümmern sich um ihre Uni-Bewerbung. Nicht jeder hat also die Zeit, monatelang durch Europa zu gondeln. Außerdem bleibt so eine kostenlose Fahrt durch Europa trotzdem eine Geldfrage, schließlich muss man am Reiseziel auch irgendwo übernachten, was essen und so. Klar, man kann auch Couchsurfen - aber dafür muss man locker genug sein, um bei wildfremden Leuten eine Nacht zu verbringen. Und die Fähigkeit, sich für fremde Kulturen zu öffnen, lernt man in der Regel schon als Kind - oder eben nicht.
Analysen zum Brexit haben gezeigt, dass gerade in Regionen mit geringerem Bildungsniveau gegen Europa gestimmt wurde. Euroskepsis hat also mit Bildung zu tun.
Besser: Austausche an Mittelschulen fördern
Die Europareise auf EU-Kosten bliebe eine soziale Frage, mit anderen Worten: Diejenigen, die es sich bisher schon leisten konnten und Bock drauf hatten, würden sicherlich auch dieses Gratis-Europaticket mitnehmen. Damit würde es vor allem denjenigen nutzen, die ohnehin längst offen für Europa sind - durch Schüleraustausch oder Reisen mit den Eltern. Auch das EU-subventionierte Erasmus-Semester wird doppelt so oft von Menschen aus bildungsnahen Elternhäusern genutzt, als von Studierenden aus bildungsferneren Familien. Vom Gratis-Ticket würde also wahrscheinlich vor allem die Mittelschicht profitieren.
Die jährlichen Gelder für freie Interrail-Tickets wären also besser in Europaprojekten für Jüngere angelegt. Man könnte zum Beispiel Schüleraustausche an Mittelschulen finanzieren, oder Treffen von kleinen Sportvereinen zu internationalen Fußballturnieren. Damit würden auch die von der EU profitieren, die sich oft von ihr allein gelassen fühlen.