Interview // Sea-Watch Flüchtlinge retten im Mittelmeer
Immer wieder geraten Flüchtlinge im Mittelmeer in Seenot. Die Crew der "Sea-Watch" will da nicht länger nur zusehen. Ruben Neugebauer ist einer von ihnen und erklärt, wie sie Flüchtlinge mit ihrem Schiff retten wollen.
Fast jeden Monat hören wir von Flüchtlingsunglücken im Mittelmeer. Viele gehen deshalb demonstrieren oder engagieren sich ehrenamtlich in Flüchtlingsheimen. Vier befreundeten Familien aus Brandenburg ging das nicht weit genug: Sie kauften sich ein Schiff, tauften es Sea-Watch, machten es hochseetauglich und wollen nun aufs Mittelmeer fahren und dort in wechselnden Teams von sechs bis acht Mann Flüchtlingen helfen. An Bord werden ein Kapitän, ein Skipper und Ärzte sein, aber auch Journalisten - um zu dokumentieren, was passiert und um Aufmerksamkeit zu schaffen. Ruben Neugebauer ist 25 Jahre alt und geht als Fotograf mit an Bord. Er hat uns erzählt, wie genau sie den Flüchtlingen helfen wollen - und was passieren müsste, damit die Sea-Watch wieder abziehen kann.
PULS: Viele aus eurem Team sind komplett unerfahren, was die Seefahrt angeht - trotzdem wollt ihr jetzt mit einem Schiff aufs Mittelmeer und dort Flüchtlingen helfen. Warum macht ihr das?
Ruben Neugebauer: Auf dem Mittelmeer sterben jedes Jahr mehrere Tausend Menschen, weil die Europäische Union die Grenzen dicht gemacht hat und Geflüchteten jeglichen legalen Weg genommen hat, ihr Grundrecht auf Asyl in Anspruch zu nehmen. Deswegen werden die Leute auf die Boote gezwungen und dabei kommt es regelmäßig zu Tragödien. Wir wollten nicht mehr länger wegschauen. Deswegen hat sich der Initiator von Sea-Watch, Harald Höppner, mit ein paar Leuten überlegt, was er machen kann. Sie sind dann auf die Idee gekommen, ein Schiff zu kaufen und damit vor Ort Ersthilfe zu leisten.
Wie sieht diese Ersthilfe denn genau aus?
Die Sea-Watch ist viel zu klein, um wirklich Leute aufzunehmen. Was wir aber dabei haben, sind Rettungsinseln für je 65 Personen. Die kann man sich wie eine aufblasbare Hüpfburg vorstellen, die wir über Bord geben können. Wir haben solche Rettungsinseln für insgesamt 530 Personen dabei. Wenn also ein Boot Probleme bekommt, können die Leute da rauf, bis professionelle Hilfe eintrifft. Wir sind ein schwimmendes Auge auf See: Wenn etwas passiert, leisten wir Ersthilfe und versuchen dann, professionelle Hilfe zu holen.
Es macht einen Unterschied, ob ein Flüchtlingsboot mit irgendeinem Telefon einen Notruf mit irgendeiner vagen Position absetzt - da weiß die Küstenwache vielleicht nicht genau, wo das Schiff ist und es ist im Zweifelsfall auch relativ einfach, eine teure Search and Rescue-Operation zu unterlassen. Wenn aber ein Schiff, das unter deutscher Flagge fährt, einen Notruf weitergibt, dann kommt die Küstenwache gar nicht darum herum, etwas zu machen.
Auf eurer Website ermutigt ihr auch andere Leute, mitzumachen und euch zu helfen. Wie waren denn die Reaktionen bisher?
Es ist eigentlich überwältigend, was wir an Angeboten kriegen: Es melden sich fast jeden Tag Leute, die in irgendeiner Form mithelfen wollen. Und obwohl wir noch nicht viel dafür geworben haben, gehen auch super viele Spenden ein. Aber das Ding ist natürlich, dass wir mit dem Schiff vor Ort bleiben wollen, bis das Problem gelöst ist - und das kann durchaus noch eine Weile dauern. Deswegen sind wir auch weiter auf der Suche nach Leuten, die mitmachen wollen.
Was müsste denn passieren, bis das Problem gelöst wäre?
Geflüchtete haben im Moment keinen legalen Weg in die Europäische Union. Man muss sich das mal überlegen: Ein Fährticket nach Sizilien kostet weniger als 100 Euro. Wenn die Leute die Möglichkeit hätten, ganz normal ein Fährticket zu kaufen und damit auf sicherem Weg übers Mittelmeer zu kommen, hätten wir das Problem nicht mehr. Dafür müssten entsprechende Grundlagen geschaffen werden, was im Moment aber nicht in Aussicht steht. Ein erster Schritt wäre, so etwas wie die Operation "Mare Nostrum" wieder einzuführen. Die hat im letzten Jahr relativ viele Leute gerettet. Das ist dann aus Kostengründen eingestellt worden. Die Nachfolgemission Triton ist mehr auf Grenzschutz und Abschreckung ausgelegt, als auf konkrete Hilfe.
Mare Nostrum und Triton
Die Operation "Mare Nostrum" wurde von der italienischen Küstenwache ins Leben gerufen, als Reaktion auf das Flüchtlingsunglück vor Lampedusa im Oktober 2013, bei dem 390 Menschen ertranken. Mare Nostrum kostete den italienischen Staat 9,3 Millionen Euro im Monat und sollte Flüchtlinge auch auf Hoher See retten. In einem Jahr konnten so etwa 140.000 Flüchtlinge gerettet werden. Im November 2014 hat Triton dieses Programm abgelöst. Hier hat die EU-Grenzschutzagentur Frontex das Oberkommando. Der Fokus liegt auf dem Grenzschutz, trotzdem werden auch Menschen gerettet. Allerdings stellt die EU für Triton lediglich 2,9 Millionen Euro im Monat zur Verfügung und das Einsatzgebiet beschränkt sich auf küstennahe Gebiete.
Den Leuten von Frontex dürfte euer Vorhaben nicht unbedingt gefallen: Ihr kritisiert nicht nur deren Arbeit, ihr werdet sie gewissermaßen auch kontrollieren. Erwartet ihr Druck von den Behörden, eure Hilfsaktion einzustellen?
Wir wissen noch nicht, was passiert. Es kann natürlich sein, dass es Druck gibt. Ich würde ihn aber nicht unbedingt erwarten, weil wir uns eigentlich komplett an die Gesetze halten. Wenn man auf ein Schiff in Seenot stößt, ist man nach internationalem Recht dazu verpflichtet, zu helfen. Und nichts anderes machen wir. Und letztendlich wollen wir auch mit der Küstenwache kooperieren. Wenn etwas passiert, wollen wir ja, dass die kommen.
Ihr wollt zwischen Malta und der libyschen Küste operieren. Besteht da nicht die Gefahr, dass die Flüchtlinge zurück nach Libyen geschickt werden?
Nicht wirklich. Das Ding ist, in Libyen herrscht Bürgerkrieg. Der libysche Staat existiert in dem Sinne nicht mehr. Und wenn dann ein europäisches Schiff oder die Küstenwache kommt und Leute aufnimmt, wurden die bisher schon immer nach Italien gebracht.
In Kommentaren auf Facebook und anderswo liest man immer wieder den Vorwurf, ihr würdet mit eurer Aktion ja nur die Symptome und nicht die Ursachen der Flucht bekämpfen.
Das stimmt natürlich ein Stück weit: Wir können mit dem Schiff nicht die Fluchtursachen - also Krieg, Hunger, Armut, Klimawandel - in den Griff bekommen. Gleichzeitig ist es für uns aber alternativlos, weil da einfach jeden Tag Menschen sterben. Dabei zuzugucken mit dem Argument, man müsse erstmal die Fluchtursachen in den Griff bekommen, ist zynisch, weil Menschen ertrinken.
Das Schiff ist schon getauft und die ersten Mannschaften stehen - wann stecht ihr in See?
In Hamburg werden gerade die letzten Arbeiten am Schiff ausgeführt, noch ein bisschen an der Elektronik gebastelt und der Motor komplett überholt. Und dann geht’s Mitte April auch schon los. Die Überführung ins Mittelmeer dauert allerdings auch nochmal eine ganze Zeit.
Es ist für euch alle auch ein Wagnis. Wie fühlt ihr euch denn, so kurz vor der Abfahrt?
Wir sind natürlich alle gespannt und auch aufgeregt, weil wir nicht wissen, was passieren wird. Aber die Alternative wäre ja nichts zu tun, und das kommt für uns wie gesagt einfach nicht infrage. Deswegen geht's uns eigentlich gut damit, dass wir eine Möglichkeit gefunden haben, etwas zu unternehmen.
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Stefan, Dienstag, 14.April 2015, 10:29 Uhr
1. MOAS
Hi,
wie seht ihr das denn im Vergleich zu http://www.moas.eu/ - ist das was ganz anderes, "Konkurrenz" oder Ergänzung?
Ciao!
Stefan
Antwort von PULS, Dienstag, 14.April, 14:52 Uhr
Wir wissen zwar nicht genau, wie die Leute von Sea-Watch sich im Vergleich zum MOAS sehen - aber wir sind uns sicher, dass es um eine Ergänzung und nicht um Konkurrenz geht. Beide haben das Wohl der Flüchtlinge im Blick.
Antwort von sea-watch team, Mittwoch, 15.April, 22:16 Uhr
Unser Projekt steht keinesfalls in Konkurenz zu MOAS. Wir wollen uns bestmöglichst ergänzen. Dazu gab es in der letzten Woche ein Treffen mit den MOAS Verantwortlchen auf Malta.