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100 Jahre Frauenwahlrecht Was ist aus der Emanzipation geworden?

Wählen? Ein Konto haben? Eine bezahlte Arbeit? Das wurde Frauen jahrhundertelang verwehrt. Der Kampf um die Gleichberechtigung zeigt: Der Hürdenlauf war (und ist) auch ein Staffellauf: Frauenrechtlerinnen arbeiteten immer da weiter, wo ihre Vorgängerinnen gerade stehen geblieben waren.

Von: Gabriele Knetsch

Stand: 02.10.2018

Historisches Wahlplakat der SPD zum Frauenwahlrecht | Bild: Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn

Bis 1908 durften Frauen sich nicht in politischen Vereinen organisieren, geschweige denn in den Parteien. Daher engagierten sie sich in einer Vielzahl deutscher Frauenvereine, die teils wohltätig, teils politisch ausgerichtet waren. Was heute wie eine Selbstverständlichkeit wirkt, war das Ergebnis eines langen Kampfes. Wie in einem jahrhundertelangen Staffellauf arbeiteten Frauen immer genau da weiter, wo ihre Vorgängerinnen gerade stehen geblieben waren.

"Die Frau ist vollberechtigte Staatsbürgerin. Überlegen Sie, was das heißt. Das Frauenwahlrecht ist eine Folge der geänderten sozialen Lage der Frau."

Reichstagsabgeordnete Marie Juchacz

Wahlrecht für Frauen

Am 30. November 1918 – Deutschland hatte gerade den 1. Weltkrieg verloren – trat das neue Reichswahlgesetz in Kraft: mit dem aktiven und passiven Wahlrecht für Frauen. Bayern war sogar noch etwas früher dran. Kurt Eisner von der USPD hatte in der Nacht vom 7. auf den 8. November die Bayerische Republik ausgerufen. Frauen erhielten im neu gegründeten "Freistaat Bayern" zugleich auch das Wahlrecht. Die erste Reichstagswahl mit Beteiligung der Wählerinnen war der vorläufige Schlusspunkt einer sogenannten "Frauenstimmrechtsbewegung", die sich über ein halbes Jahrhundert hingezogen hatte: 37 von 423 Abgeordneten waren nach den Reichstagswahlen von 1919 weiblich.

"Ich bin schon ziemlich dankbar, dass es so viele Frauen gab, die sich dafür eingesetzt haben. Weil wir ansonsten nicht da wären, wo wir sind. Auch was in den letzten Jahren immer wieder an Frauenbewegung gekommen ist, ist nicht von Null entstanden."

Melanie Geigenberger, Stellvertretende Vorsitzende der Jusos Oberbayern

Die Pionierinnen – Frauenwahlrecht ist ein Menschenrecht

Anita Augspurg, eine der führenden Frauenrechtlerinnen Deutschlands zwischen den Weltkriegen.

Pionierinnen wie Marie Juchacz oder Clara Zetkin aus dem sozialistischen Lager, aber auch bürgerlichen Frauen wie Hilde Dohm, Anita Augspurg, Minna Cauer ist es zu verdanken, dass Frauen heute wählen können. Anita Augspurgs Credo: Frauenwahlrecht ist ein Menschenrecht.

Während die bürgerlichen Frauen nicht nur für politische Rechte, sondern auch für eine bessere Bildung für Frauen kämpften, stritten die Sozialistinnen für bessere Bedingungen der Arbeiterinnen. Die Männer beider Lager waren sich zum Großteil einig: ein Wahlrecht für Frauen? Nein danke!

"Was wir nicht wollen und niemals, auch nicht in noch so fernen Jahrhunderten wünschen und bezwecken, ist die politische Emanzipation und Gleichberechtigung der Frauen. Der alte Satz der christlichen Kirche 'mulier taceat in ecclesia' – Die Frau schweige in der Gemeinde – gilt für alle Zeit. Nicht bloß für die kirchliche, sondern auch für die politische Gemeinde."

Der Arbeiterfreund, 1865

Rückschritt für die Frauen im Nationalsozialismus

1933 war Adolf Hitler an die Macht gekommen. Die Frauen verschwanden – zumindest offiziell – aus dem öffentlichen Leben. Es gab Gebärprämien und das Mutterkreuz in Bronze, Silber und Gold für Frauen, die bis zu 5, bis zu 7 und über 8 Kinder geboren hatten. Ärzte, die Abtreibungen vornahmen, waren mit der Todesstrafe bedroht. Gefördert wurde ein Mutterkult unter dem Vorzeichen der "reinen Rasse".

"Frauen helfen siegen"

Schuften für das Vaterland. Als "Heimatfront" wird der Krieg der Zivilisten von der Propaganda bezeichnet, auch Frauen müssen mitmachen.

Im Reichstag saßen nun keine Frauen mehr. Die Frauenrechtlerinnen wurden verfolgt, kamen ins Gefängnis oder flohen ins Exil. Sie durften weder Anwältinnen noch Beamtinnen werden. Ganz konsequent hielten sich die Nationalsozialisten allerdings nicht an ihre Ideologie. Die Zahl erwerbstätiger Frauen stieg nach 1933 sogar an. In unqualifizierten Arbeitsverhältnissen – als Dienstmagd oder in der Landwirtschaft – waren Frauen hochwillkommen. Und als die Männer im Krieg waren, mussten Frauen unter dem Motto "Frauen helfen siegen" an der sogenannten "Heimatfront" schuften: in Industriebetrieben, ja sogar in Bergwerken. Frauen als Lückenbüßerinnen auf dem Arbeitsmarkt – die Nazis praktizierten ein Prinzip, das auch später immer wieder Schule machte.

Die Restaurierung der patriarchalischen Familie

Das Bild der Frau klaffte auch nach 1945 weit von der Realität auseinander. In den Köpfen – und in den Gesetzen – herrschte das Bild der Frau als verheirateter Hausfrau vor. Aber de facto mussten nach 1945 viele Frauen ihre Familie ernähren: die Männer waren im Krieg umgekommen, noch in Gefangenschaft – und es gab nach 1945 einfach nicht genügend Männer, die Frauen eine Ehe hätten garantieren können. Unter den Frauen herrschte ein erbittertes Konkurrenzverhältnis – Ehefrauen, die einen Mann abbekommen hatten, sahen auf jene herunter, die für sich selbst sorgen mussten. Vier Millionen Frauen waren 1949 berufstätig, weil sie keinen Mann hatten, der für sie sorgen konnte.

Vor diesem Hintergrund kämpften die vier Mütter des Grundgesetzes Helene Weber, Helene Wessel – und vor allem die beiden Sozialdemokratinnen Frieda Nadig und Elisabeth Selbert erbittert um einen Satz:

"Männer und Frauen sind gleichberechtigt."

Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Artikel 3, 2.

Dr. Elisabeth Selbert, eine der "Mütter des Grundgesetzes" und SPD-Politikerin, sorgte für die Verankerung des Gleichberechtigungs-Grundsatzes.

Erst als die Rechtsanwältin und SPD-Abgeordnete Elisabeth Selbert auf die Barrikaden ging, drehte sich die Stimmung im Hauptausschuss des Parlamentarischen Rates. Selbert hatte sämtliche Frauenverbände im Land mobilisiert.

Am 18. Januar 1949 verabschiedete der Hauptausschuss den Grundsatz der Gleichheit von Mann und Frau im Grundgesetz. Ein historischer Moment. Doch es dauerte noch bis 1958 bis dieser Grundsatz auch in der Praxis ankam. Bis dahin galt das Bürgerliche Gesetzbuch von 1900 und die Ehefrau durfte nur erwerbstätig sein, wenn ihr Mann zustimmte. Er konnte – ohne Absprache – ihren Vertrag kündigen. Selbst wenn sie Vermögen hatte, kassierte er die Zinsen. Das Gleichberechtigungsgesetz von 1957 revidierte die krassesten Punkte der Benachteiligung im Familienrecht. Doch noch immer blieb die Hausfrauenehe gesetzlich festgeschrieben.

Die wilden 68erinnen – sexuelle Gleichberechtigung in der Ehe

Im Juni 1972 erschien im "Stern" ein Artikel: "Wir haben abgetrieben", so bezichtigten sich 374 prominente Frauen selbst. Der Strafrechts-Paragraph 218, der die Abtreibung ungewollter Kinder unter Strafe stellt, stammt aus dem Jahr 1871. Er wurde – bis heute – immer wieder reformiert, aber nicht abgeschafft. In den 1970er Jahren kämpften die Frauen im Zuge der Studentinnenrevolte nicht nur gegen patriarchale Strukturen des Obrigkeitsstaates, sondern auch für sexuelle Selbstbestimmung. Die Politiker beugten sich diesem Druck. Seit 1976 ist Abtreibung unter gewissen Bedingungen möglich. Heute gilt die sogenannte "Indikationsregelung". Für eine Abtreibung innerhalb zeitlicher Grenzen müssen triftige Gründe vorliegen. Etwa eine Gefahr für das Leben der Mutter oder ihre seelische Gesundheit. Doch erst das Ehe- und Scheidungsrecht von 1977 sah ein partnerschaftliches Verhältnis von Mann und Frau in Ehe und Beruf vor. Dazu der damalige Bundesjustizminister Gerhard Jahn von der SPD:

"Ziel des Entwurfs ist ein Eherecht, das dem partnerschaftlichen Eheverständnis entspricht, ein faires und ehrliches Scheidungsrecht und ein gerechtes Scheidungsfolgenrecht. Die Rechtstellung der Ehepartner untereinander wird vom Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau bestimmt."

 Gerhard Jahn, Justizminnister

Im Osten läuft es anders – Frauen in der DDR

"Ich wäre beim ersten Kind gar nicht auf die Idee gekommen, bleibst du jetzt zu Hause. Die Frage bestand überhaupt nicht. (…) Die Emanzipation im Osten war eben ganz im Gegensatz zur Emanzipation im Westen, die mühevoll erstritten und erkämpft war, eine gelebte, vom Staat gewollte."

Regine Hildebrand

Regine Hildebrand von der SPD, die inzwischen verstorbene Brandenburger Ministerin für Arbeit, Soziales und Frauen, arbeitete in der DDR als Mutter von drei Kindern in Vollzeit als Biologin. Während DDR-Kinderkrippen im Westen als ideologische Kampfwaffe gegen Sozialismus und Gleichberechtigung herhalten mussten, galten Wessi-Frauen im Osten schlicht als unemanzipiert.

In der DDR gab es Kinderkrippen, Ganztagsschulen und eine viel höhere weibliche Berufstätigkeit. Formal waren DDR-Frauen also deutlich gleichberechtigter. Das verhinderte aber nicht, dass auch in der DDR nach einem langen Arbeitstag überwiegend die Mütter die Küche aufräumten, die Soljanka für den nächsten Tag kochten und die Kinder ins Bett brachten ...


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