Abgestempelt Ist Briefmarkensammeln wirklich von gestern?
Konventionelle Briefmarkensammlungen gibt es wie Sand am Meer. Die Sammler aber werden immer weniger. Denn das Hobby unserer Väter und Großväter hat heutzutage ein reichlich verstaubtes Image.
Die meisten Briefmarken sind lediglich als Zeugnisse der Geschichte wertvoll. Nur wenige Exemplare eignen sich als Geldanlage wie die "British Guiana 1 cent magenta" von 1856. Die kleine Briefmarke wechselte im Lauf ihrer Geschichte mehrmals den Besitzer. Am 8. Juni 2021 kam sie bei Sotheby’s in New York wieder unter den Hammer und erzielte knapp 7 Millionen Euro. Ein stolzer Preis für ein unscheinbares Stückchen rotes Papier. Für ihren Vorbesitzer, den amerikanischen Schuhdesigner Stuart Weitzman, war der Verkauf freilich ein Verlustgeschäft. Er hatte 2014 noch rund eine Million Euro mehr gezahlt. Trotzdem ist und bleibt die "British Guiana" die teuerste Briefmarke der Welt.
Die wertvollste Marke in der bayerischen Postgeschichte ist der Schwarze Einser. Sie ist die erste Briefmarke Bayerns. Und zugleich die älteste Deutschlands. Offiziell verwendet wurde sie seit dem 1. November 1849. Vom Schwarzen Einser gibt es heute noch zwei Bogen à 90 Stück.
Bei einer Auktion im April 2021 in Wiesbaden wurde einer der Bögen anonym für 240.000 Euro versteigert. Aber solche Preise sind Ausnahmen.
Hobby aus alten Tagen
Die Hoch-Zeit des Briefmarkensammelns ist schon lang vorbei. Was im 19. Jahrhundert eine Freizeitbeschäftigung großbürgerlicher Honoratioren war, erlebte in den 1960er und 70er Jahren einen Boom in breiten Bevölkerungsschichten. Damals hatten Sammler oft ein Abonnement bei der Post. Jedes Vierteljahr bekamen sie neue Marken zugeschickt, genauso wie vier Millionen andere Abonnenten. Der Markt wurde mit solchen Briefmarken überflutet. Die Hoffnung der Erben, es könnte sich eine Rarität in Opas Briefmarkenalbum verstecken, erfüllen sich meist nicht.
"Es gibt mindestens drei Millionen Sammlungen, die niemanden mehr haben, der mal der Abonnent war. Der ist nicht mehr da, der Abonnent. Und die, die jetzt noch Abonnenten sind, die haben das (die Marken, Anm.d.Red.) Und neue Abonnenten gibt es kaum mehr."
Friedrich Schiener, Vorstandsmitglied im Bayerischen Briefmarkenverein, dem ältesten Verbund deutscher Philatelisten
Wer heute Briefmarken sammelt, konzentriert sich auf Spezialgebiete. Auch Friedrich Schiener sammelt gezielt. Frankreich vor 1900 zum Beispiel. Da gibt es nur 99 Marken. Zwei fehlen ihm noch. Oder die Stempel aller Münchner Postämter: 2000 sind es. Schiener hat 1800. Etwas überschaubarer ist sein drittes Sammelgebiet: Die Stempel der Schiffspost, die einst auf dem Starnberger See transportiert wurde. Da gibt es nur neun Stück.
Briefmarkensammeln ist Männersache
Nur selten finden sich Frauen in Philatelistenvereinen. Eine der wenigen Ausnahmen ist Ute Dorr. Sie kam über ihren Mann zum Briefmarkensammeln. Ihr Interesse gilt der Postgeschichte des Orient. 2019 hat sie ein Buch über den berühmten Orientexpress veröffentlicht, ganz ohne Mord.
Ähnlich schwer wie Frauen sind auch junge Leute für Briefmarken zu begeistern. Unter Philatelisten gelten die 40- bis 50-Jährigen noch als Nachwuchs. Die Computerspiel-Generation fällt ganz weg.
"Weil die einen kurzlebigen Reiz brauchen, und der nächste Reiz muss noch stärker und möglichst noch prägnanter und härter und kürzer sein. Ah, nächstes Level!!! Und das geht da natürlich nicht."
Friedrich Schiener vom Bayerischen Briefmarkenverein
Königlich-bayerische Briefspionage
Für Historiker sind Briefmarken und -stempel kulturhistorische Dokumente. Denn Kommunikation war in früheren Zeiten kein leichtes Unterfangen. In Aschheim bei München betreibt der promovierte Historiker Joachim Helbig sein eigenes Institut für Postgeschichte. Er beschäftigt sich mit Briefen ab dem 16. bis zum 19. Jahrhundert.
Momentan arbeitet er an der Postgeschichte Tirols in den Jahren 1805 bis 1809, also zur Zeit der bayerischen Besetzung. Die Bayern haben damals die Briefe der Tiroler geöffnet und auf politisch Missliebiges kontrolliert. Was die Tiroler natürlich wussten.
"Die haben sich zum Beispiel einen totalen Spaß draus gemacht, bewusst solche Briefe zu schreiben, die die Bayern dann provoziert haben. Die haben dann da drin Tiroler Adler gemalt und Gedichte gegen den König, ganz wild. Und das bewusst der Post übergeben, damit das an die richtige Adresse, nämlich die Postüberwachung kommt. Die wussten, dass sie überwacht werden."
Dr. Joachim Helbig, Briefmarkenprüfer und Posthistoriker
"Schwarze Kabinette" hießen die einschlägigen Spionage-Abteilungen, die mit der Briefzensur beschäftigt waren. Eine weit verbreitete Unsitte an europäischen Fürstenhöfen. Und ein spannendes Kapitel der Post-Geschichte. Deswegen hat Joachim Helbig auch "Das Schwarze Kabinett" geschrieben - einen Krimi über die dunklen Geheimnisse der königlich bayerischen Briefspionage.