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Aussteigen und Ankommen Freiwillige Arbeit auf dem Biohof

Freiwillige Helfer gehen für einige Wochen auf einen Hof, erhalten Kost und Logis und arbeiten unentgeltlich mit: Das nennt sich Wwoofing. Viele Wwoofer nutzen den Aufenthalt für eine Pause vom Alltag. Und manchmal kann sich das ganze Leben dadurch ändern.

Von: Tanja Oppelt

Stand: 09.02.2022 | Archiv

Aussteigen und Ankommen: Freiwillige Arbeit auf dem Biohof

Wwoof steht für "worldwide opportunities on organic farms" – also: weltweite Arbeitsgelegenheiten auf Bio-Bauernhöfen. Das internationale Netzwerk wurde in London aus der Taufe gehoben. Anfang der 1970er Jahre arbeitete eine gewisse Sue Coppard als Sekretärin in London und sehnte sich nach einem einfachen Leben auf dem Land. Im Londoner Stadtmagazin "Time out" suchte sie per Inserat nach Gleichgesinnten. Ihr Wunsch: Am Wochenende zusammen rausfahren aufs Land und den Bio-Landwirten in der Region – damals noch Pioniere einer neuen Bewegung – bei der Arbeit helfen.

"An einem Freitagabend nahmen drei von uns den Zug raus aus London mit unseren Arbeitsklamotten und Schlafsäcken und verbrachten ein glückseliges Wochenende umgeben von wundervoller Landschaft, während wir unter Anstrengung eine Fläche von Brombeersträuchern lichteten und Bewässerungsgräben wieder freimachten. Die Bauern waren mit unseren Bemühungen zufrieden und sagten: Ja, wenn ihr mögt, dürft ihr wiederkommen."

Sue Coppard, zitiert von www.wwoof.de

Coppards Aktion sprach sich herum. Bald entstand ein Netzwerk aus Bio-Bauernhöfen und engagierten Freiwilligen. Einige waren aus anderen Ländern zu Besuch in England und nahmen die Idee mit in ihre Heimatländer. Praktisch nur durch Mundpropaganda entstand eine internationale Bewegung. Sie nannte sich Wwoof und bietet bis heute weltweite Arbeitsgelegenheiten auf Bio-Bauernhöfen. 1992, vor genau 30 Jahren, gründete sich "Wwoof Deutschland".

Freiwillige Helfer bringen frischen Wind

Backzeit in der Bio-Bäckerei Wehr in Stöckelsberg bei Neumarkt in der Oberpfalz. Bäckermeister Thomas Wehr "schießt" Brot ein, das heißt er schiebt mit Teig gefüllte Brotkörbe in den übermannshohen Backofen.

"Ich reiste 2007 durch Kanada. Ich habe Leute kennengelernt, die gesagt habe, wir wwoofen. Dann habe ich gesagt, cool was heißt denn wwoofen? Die haben gesagt, komm wir nehmen dich mit. Dann war ich eine Woche wwoofen und fand das spannend. Dann erzählt man, dass die Eltern eine Bäckerei haben. Dann so: Super, toll, wir würden gerne kommen, geht das? Die Idee war unterbewusst, eigentlich würde ich diese Offenheit gerne anbieten und Leute zu uns einladen. So hat es sich ergeben, dass wir vier Jahre später die ersten Wwoofer willkommen heißen durften."

Thomas Wehr, Bäckermeister

Seit 2011 ist die Bio-Bäckerei Wehr in Stöckelsberg Mitglied beim Wwoof-Netzwerk. Thomas Wehr wollte freiwillige Helferinnen und Helfer aus aller Welt und mit ihnen frischen Wind in den elterlichen Betrieb bringen. In seiner Familie musste der damalige Juniorchef einiges an Überzeugungsarbeit leisten.

"War gar nicht so einfach. Meine Eltern und meine Oma, die dann sagen: Wie – ganz fremde Leute zu uns ins Haus einladen? Warum? Was machen die denn? Da waren am Anfang auch gewisse gedankliche Hürden da. Das erste Wwoofer-Pärchen, die waren aus Deutschland, das war sehr gut, weil die konnten mit meiner Oma und meinen Eltern reden. Und die haben gemerkt, das sind ganz normale Leute, die einfach diese Offenheit haben zu wwoofen."

Thomas Wehr, Bäckermeister

Azubi Christoph und Bäckermeister Thomas Wehr

Junge Menschen, die sich nach Schule oder Studium eine Auszeit gönnen wollen, Berufstätige mit dem Wunsch nach einer Pause im Alltag, oder Rentnerinnen und Rentner, die sich noch mal auf was Neues einlassen – viele freiwillige Helfer aus aller Welt haben schon in der Bäckerei mitgeholfen. Im angrenzenden Wohnhaus bekommen sie ein Zimmer oder manchmal auch nur eine Couch – Familienanschluss inklusive.

"Die Oma findet das toll. Die hat mit einigen noch Kontakt und bekommt dann Postkarten aus Amerika. Oder sie schreibt einer Wwooferin oder ruft sie zum Geburtstag an. Manche bleiben bestehen, andere verlaufen sich wieder, aber es ist eine sehr schöne Sache."

Thomas Wehr, Bäckermeister

Christoph fragt sich: War das jetzt schon alles?

Frühjahr 2018: War das schon alles? – fragt sich Christoph, Ende 20. Er hat ein chemisches Ingenieursstudium hinter sich, arbeitet international als Berater für Industrieunternehmen und lebt ein komfortables Leben in Paris. Die Karriere scheint vorgezeichnet. Aber etwas nagt an ihm.

"Und zwar habe ich schon als Jugendlicher erste Erfahrungen in der Backstube gemacht, mit 16 Jahren, und mich auch schon immer für Nahrungsmittel interessiert und für Ernährung. Ich habe dann in den letzten Jahren immer mehr Brot gebacken. Und dann habe ich gedacht, ok das scheint ein Thema zu sein, das mich wirklich interessiert und habe angefangen, zu graben."

Christoph, Wwoofer

Christoph beschließt, sich eine Auszeit zu nehmen. Auf der Internetseite von Wwoof findet er das Inserat der Bio-Bäckerei Wehr in Stöckelsberg. Er nimmt Kontakt auf mit Bäckermeister Thomas Wehr.

"Da hat Thomas gesagt, herzlich willkommen, komm vorbei, wir haben auch Lust. Das war sehr spontan, wenn ich mich recht entsinne, das war innerhalb von ein, zwei Wochen. Und dann bin ich in die Oberpfalz gekommen und wurde wärmstens empfangen im Haus der Familie. Ich habe dann zwei, drei Wochen mitgearbeitet. Und intensiv gemacht, was die machen. Ich wurde auch gebraucht, daher war das eine schöne und spannende Symbiose, die wir eingehen konnten."

Christoph, Wwoofer

In Stöckelsberg beginnt der Backtag nicht am frühen Morgen, sondern am späten Vormittag. Gebacken wird bis zum Abend. In der Nacht liefert die Bäckerei ihre Ware an die Biomärkte in der Region aus.

"Ein Tag sieht so aus, dass Du allgemein, also sowohl von der Gesellschaft als auch vom Frühstück, Abendbrot, Mittagessen komplett in die Familie und Gemeinschaft eingebunden ist. Das heißt, Du bekommst ein Zimmer, die Couch oder ein Kämmerlein – was gerade zur Verfügung steht. Dann in der Backstube ist es so, dass man vormittags in die Backstube geht, die Teige macht und den Tag über die Brote, Brötchen und Süßgebäck macht, bis abends alles fertig ist. Zwischendurch gibt’s bei der Oma Mittagessen. Abends gibt es eine Scheibe Brot, wie sich das gehört, eine schöne Brotzeit. Dann fällt man abends ins Bett, liest, macht vielleicht noch einen Spaziergang, und am nächsten Tag gibt’s wieder Brot."

Christoph, Wwoofer

Vom quirligen Paris in die Oberpfalz aufs Land. Größer könnte der Kontrast nicht sein. Aber Christoph kommt zur Ruhe und bemerkt etwas in sich: Die Liebe zum Handwerk ist noch tiefer als er dachte. Ein Samen ist gesetzt.

Jan-Philipp Gutt: Erst Wwoofer, dann Geschäftsführer

Der Ziegenstall auf dem Reimehof

Geld spielt beim Wwoofing nicht die Hauptrolle. Es geht vielmehr darum, Gemeinschaft zu erfahren und voneinander zu lernen. Jan-Philipp Gutt, Geschäftsführer von Wwoof Deutschland, ist nach knapp 10 Jahren zurück auf dem Reimehof in Kirchensittenbach im Nürnberger Land. Auch Gutts heutiger Job hatte mit einer Auszeit begonnen. Nach seinem Studium der Agrarwissenschaften in Wien wollte der gebürtige Niederbayer noch einmal durchatmen. Über das Wwoof-Netzwerk landet er im Herbst 2012 auf dem Reimehof, einem ökologisch geführten Ziegenhof in der Hersbrucker Schweiz.

"Die Ziegen sind als Tiere interessant. Die sind total clever, das ist spannend, denen zuzuschauen. Ich mochte besonders gerne an der Ziegenhaltung die Weidewirtschaft. Es ist ja Landschaftspflege, die da betrieben wird. Wir haben die Ziegen in der wunderschönen fränkischen Alb von Wiese zu Wiese umgetrieben. Das war eine schöne Erfahrung. Das hat mir viel Spaß gemacht."

Jan-Philipp Gutt, Geschäftsführer von Wwoof Deutschland

Jan-Philipp Gutt bleibt länger als geplant auf dem Reimehof, nämlich ein ganzes Jahr. Daneben engagiert er sich bereits für das Wwoof-Netzwerk.

"Ich war dann bei dem ein oder anderen Treffen dabei, hab eine kleine Aufgabe mal übernommen. Dann ging es ganz schnell, weil bei Wwoof Deutschland ein Generationenwechsel anstand. Leute haben sich zurückgezogen, und dann kam ich mit Anfang 20, Lust und Elan. Ich hatte Spaß, das ein oder andere zu übernehmen, und bin schnell in die Situation gekommen, dass ich viele Aufgaben übernommen habe, fast selbstverständlich. Das ist dann so geblieben tatsächlich."

Jan-Philipp Gutt, Geschäftsführer von Wwoof Deutschland

Gutt wird Geschäftsführer des deutschen Ablegers von Wwoof. Das Organisieren von Auszeiten und Sabbaticals wird für ihn zur Karriereleiter. Seit knapp 10 Jahren bringt er hauptberuflich Bio-Landwirte sowie reise- und abenteuerlustige Helferinnen und Helfer zusammen.

"Wwoof ist letztlich eine Erfahrungswelt in diesem Kontext biologische Landwirtschaft und Selbstversorgung. Und der Versuch, einen möglichst nachhaltigen Lebensstil zu finden. Das ist er Kontext dieser Erfahrungswelt. Und jetzt gibt es die Wwoofer und die Höfler als zwei Rollen, um sich in dieser Erfahrungswelt zu begegnen, und das auf eine sehr unkomplizierte, offene Art. Die Höfe auf dieser Liste sind vielfältig. Das sind kleine landwirtschaftliche Betriebe, aber auch Selbstversorgerhöfe. Höfe, auf denen mit Leidenschaft Dinge am Leben erhalten werden. Es gibt Höfe, da wird vielleicht mit Pferden gepflügt. Es gibt Höfe, auf denen das Saatgut selbst gewonnen wird. Das unterscheidet Wwoof vielleicht auch von anderen Programmen und macht das Netzwerk besonders reizvoll."

Jan-Philipp Gutt, Geschäftsführer von Wwoof Deutschland

Durch Wwoofing Gemeinschaft erleben

Auch das FÖJ, also das "Freiwillige ökologische Jahr", oder ein Praktikum können Einblicke in die Arbeit auf einem Bio-Bauernhof geben. Bei Wwoof steht aber immer auch noch etwas anderes im Mittelpunkt: Die Erfahrung, Gemeinschaft zu erleben – sei es in der bäuerlichen Familie oder in einer größeren Hof-Gemeinschaft. Das Wwoof-Netzwerk finanziert sich durch Mitgliedsbeiträge. In Deutschland kostet die Mitgliedschaft 25 Euro pro Jahr – und zwar sowohl für die rund 540 Bio-Bauernhöfe als auch für die knapp 3.000 Helferinnen und Helfer. Alle sollen sich das Wwoofen leisten können. Daneben gibt es Fördermitglieder, die nicht selbst reisen, aber die Idee unterstützen möchten.

"Man kommt wenig weg, weil man so angehängt ist am Hof. Man hat wenig Urlaub, wenig Zeit, mal fremde Leute treffen. Dann ist das toll, wenn die Welt so zur Tür reinkommt. Leute mit neuen Ideen auch, teils auch betrieblich, die sagen, können wir das nicht so oder so machen, ich habe eine Idee, wie wäre es, wenn wir das oder das bauen. Das war manchmal schön und hilfreich und hat das Zusammenleben bereichert. Dann wurde mal zusammen gekocht. Dann gab‘s was, was es noch nie gegeben hat, weil die von zuhause die Rezepte dabeihatten."

Tanja Beyer, Gründerin des Reimehofs

Corona hat Wwoof verändert. Der Wunsch nach einer Auszeit ist bei vielen Menschen weiterhin da, die deutsche Mitgliederzahl im Netzwerk blieb auch während der Pandemie stabil. Aber es ist nicht mehr unbedingt die ganze Welt, die zur Tür hereinkommt. Wwoof ist in den vergangenen zwei Jahren weniger international geworden. Deutsche Aussteigerinnen auf Zeit suchen sich meist einen Platz auf einem deutschen Bauernhof. Und auch in den anderen Ländern bleibt man coronabedingt unter sich.

Vom Unternehmensberater zum Bäckerlehrling

Knetmaschine in der Bäckerei Wehr

Zurück im Jahr 2018: Unternehmensberater Christoph ist wieder in Paris, in seinem Alltag. Der geht vorerst normal weiter, noch fast zwei Jahre lang. Aber in ihm arbeitet es. Da ist der Wunsch, ruhiger zu werden, sich zu erden, ein naturnahes Leben zu führen. Und die Erfahrung in der Bäckerei hat Spuren hinterlassen: Mit den eigenen Händen Nahrung herstellen, Brot backen. Könnte das, was als kurze Auszeit gedacht war, sein richtiges Leben werden? Soll er seinen gut bezahlten Job in der französischen Metropole aufgeben und Bäckerlehrling in einem 100-Seelen-Dorf in der Oberpfalz werden?

"Ich habe mich oft im Kreis gedreht, es befürwortet, Gegenargumente gefunden. Und ganz klar, es ist auch ein Rattenschwanz, der da dranhängt. Man hat sein Umfeld, seine Freunde, ich bin in einer Partnerschaft. Das sind Konsequenzen, die man nicht vernachlässigen kann. Finanzielle Aspekte, wie reagiert mein Umfeld? Gerade wenn man von einem Studium, einem Ingenieursbüro, einer Unternehmensberatung dann quasi auf einen Ausbildungsberuf – wie es die Gesellschaft sieht – zurück schraubt. Ist ein Schritt, wo man sich selbst finden muss und sein Umfeld überzeugen möchte, warum man diesen Schritt geht, und denen das erklären möchte und muss, weil es eine sehr untypische Reihenfolge ist."

Christoph, Wwoofer

Was seine Familie, seine Freunde von seinen Plänen halten, das ist Christoph wichtig. Er führt viele lange Gespräche, in denen er erklärt, was ihn umtreibt.

"Das ist eine Generationenfrage. In meinem Alter waren alle super begeistert und haben gesagt, na endlich machst Du es. So nach dem Motto: Wir haben es schon länger gesehen, du hast ein bisschen gebraucht. Die Generation meiner Eltern oder Tanten und Onkel – da muss man das erklären. Auch wenn man die 30 überschritten hat, aber man bleibt trotzdem das Kind, das wird sich nie ändern, und dementsprechend die Erwartungshaltung der Generation."

Christoph, Wwoofer

Mehrere Monate dauert der Prozess des Abwägens. Es geht schließlich nicht nur um einen neuen Job, sondern um ein völlig anderes Leben. Bäckermeister Thomas Wehr ist bereit, ihn als Auszubildenden einzustellen. Die beiden bleiben in engem Kontakt. Und irgendwann steht die Entscheidung.

"Das weiß ich noch sehr genau. Ich war im Urlaub, in einem schönen kleinen Häuschen auf dem Land. Und habe zum sechsten oder siebten Mal dafür oder dagegen entschieden. Ich habe dann noch mit einem Freund telefoniert. Der hat mir den letzten Schubser gegeben, dass ich gesagt habe: Ok, ich will nicht mehr darüber nachdenken, die Entscheidung steht, sie wird nicht mehr revidiert und jetzt geht’s in Aktion. Ich würde schon sagen, dass es eine gewisse Art von Mut erfordert, weil man ja nicht nur für sich, sondern für sein Umfeld mit entscheidet. Also ja – Du brauchst schon eine Portion Mut, diesen Schritt zu gehen. Aber den kann jeder gehen."

Christoph, Wwoofer

Ein radikaler Kurswechsel: Von der Business-Karriere ins Handwerk, von der Millionenstadt aufs Dorf, vom sehr gutbezahlten Job zum Lehrlingsgehalt. Was Christoph dafür bekommt? Eine Arbeit, die für ihn Sinn ergibt und Bedeutung hat.

Warum krempeln Menschen ihr ganzes Leben um?

Immer wieder treffen Menschen freiwillig solche weitreichenden beruflichen Entscheidungen, die Auswirkungen auf ihr ganzes Leben haben, sagt Professor Cornelia Niessen, Arbeitspsychologin an der Uni Erlangen-Nürnberg.

"Personen machen das aus drei Gründen. Einmal, weil man seine Lebenszufriedenheit steigern will, weil man vorher unzufrieden war bei der Arbeit. Weil man der Erschöpfung vielleicht auch entfliehen möchte, man hat viel zu viel Stress. Und das andere ist, dass man sich weiter entwickeln möchte. Eigentlich hat man das Gefühl, dass man mit seinen Bedürfnissen, Fähigkeiten, vielleicht auch den Werten nicht so gut zu dem passt, was einem ein Beruf bieten kann. Und man ist dann auch nicht bereit, noch auszuharren bis zur Rente."

Cornelia Niessen, Arbeitspsychologin an der Uni Erlangen-Nürnberg

Offen sein für neue Erfahrungen und überzeugt sein: "Das schaffe ich" – das sind laut Cornelia Niessen die wichtigsten Voraussetzungen, damit solche Kurswechsel im Leben gelingen. Ebenfalls hilfreich: Ein gutes soziales Umfeld und finanzielle Polster. Und noch ein paar andere Faktoren spielen eine Rolle.

"Die Forschung zeigt, dass Jüngere eher den Beruf wechseln als Ältere, aber auch im mittleren Erwachsenenalter in der Zeitspanne zwischen 30 und 50. Da sind die Leute insgesamt am unzufriedensten bei der Arbeit, sind gestresster und haben wenig Unterstützung. Was die Forschung auch sagt, dass Frauen weniger solche beruflichen Wechsel vornehmen als Männer. Die Frauen gehen dann eher in die Teilzeit, dann wieder in Vollzeit oder andersherum. Und es spielen auch Familienstrukturen eine Rolle, ob man noch mehr Personen zu versorgen hat als sich selbst und sich noch um andere Angehörige kümmern muss."

Cornelia Niessen, Arbeitspsychologin an der Uni Erlangen-Nürnberg

Christophs neues Leben beginnt

Im Januar 2021 ist es soweit: Christoph beginnt seine Bäckerlehre in Stöckelsberg bei Neumarkt. Zusammen mit anderen Mitarbeitenden wohnt er in einer WG im Nachbardorf. Leben, wohnen und arbeiten gehören ab sofort eng zusammen.

"Es gibt mir im Vergleich zu Paris – was ein großer Kontrast ist – Ruhe und Natur zurück. Es gibt mir ein Leben, das ich erstrebenswerter finde, logischer und natürlicher. Da kommt jetzt wieder der Chemiker durch: Alles, was konzentriert ist – die Natur mag keine Konzentration. Deswegen muss es ausgeglichener sein. Wenn zu viele Menschen auf zu geballtem Raum sind, dann ist das sowohl aus chemischer als auch aus menschlicher Sicht nicht erstrebenswert. Daher soll es sich besser verteilen. Hier im ländlichen Raum – wenn ich aus dem Fenster kucke, verteilt sich das ganz gut."

Christoph, Wwoofer

Christoph ist wieder Lernender. Er, der jahrelang Firmenchefs beraten und unterstützt hat, auch mal sagte, wo es lang zu gehen hat, ordnet sich ein – als Auszubildender in einem kleinen, familiengeführten Handwerksbetrieb.

"Ich bin hier nicht nur hingekommen zum Fegen zum Glück. Deswegen habe ich die Backstube auch bewusst gewählt. Ich wusste von vornherein durch meine Erfahrung als Wwoofer, worauf ich mich einlasse. Ich kannte die Strukturen, ich kannte Thomas ein bisschen. Und wusste, dass ich hier mit meinem vielleicht untypischen Charakter und untypischen Werdegang als Lehrling meinen Platz finden werde. Ich würde behaupten, wir haben einen Austausch. Es ist nicht nur ein Geben des Betriebs und ein Nehmen von mir, sondern aufgrund meiner Lebenserfahrung – die kann ich hier direkt mit zurückbringen. Ich bin immer noch Ingenieur und möchte diesen Beruf auch nicht zu hundert Prozent an den Nagel hängen. Wie sich das Ganze später gestaltet, sehe ich dann – step by step. Was ich beim Bäckerhandwerk jetzt schon schön finde, ist: Überall wird Brot gebacken. Dadurch dass ich auch gerne reise, andere Länder und Kulturen kennenlerne, kann ich das Wissen von mir mitnehmen und das Wissen vor Ort lernen. Ich habe eine ganz andere Ebene des Reisens und des Austausches jetzt, ein ganz anderes Werkzeug. Und das, da bin ich mir sehr sicher, wird mich auf jeden Fall mein Leben lang begleiten."

Christoph, Wwoofer


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