Ein Augenzeuge erinnert sich Der spektakuläre Fund der Moorleiche Rosalinde in Peiting
Am 23. Juli 1957 wird Rosalinde gefunden. Sie ist die Moorleiche von Peiting. In einem Sarg wurde sie begraben und bei Arbeiten im Torfabbaugebiet stoßen drei Männer Jahrzehnte später auf sie. Der letzte lebende Augenzeuge erinnert sich.
Der Weg zum Treffpunkt mit dem 80-jährigen Jürgen Krätzig ist abenteuerlich. Auf einer geschotterten Privatstraße geht es knapp drei Kilometer durch Wald und das Moorgebiet. Er ist mittelgroß, hat graue Haare, ein freundliches Lächeln und trägt eine Brille. Zum Zeitpunkt der Entdeckung der Moorleiche war er 17 Jahre alt, ging in Weilheim aufs Gymnasium und arbeitete im Torfabbaugebiet, denn
"Mein Vater war ein ehemaliger Berufssoldat. Der hatte den Standpunkt: Ferien für meine drei Söhne sind nicht notwendig. Von den sechs Wochen Sommerferien haben wir neun Jahre lang, also meine ganze Zeit im Gymnasium, jeweils vier Wochen immer im Moor gearbeitet. So kam es auch, dass ich als Hilfsarbeiter auf diesem Bagger tätig war, zu dem Zeitpunkt, als wir die Leiche fanden."
Jürgen Krätzig, Augenzeuge
Der Baggerführer stößt auf ein Stück Holz
In seiner Hütte erzählt er mit leuchtenden Augen vom damaligen Fund. Das Wetter damals war für Juli nicht normal.
"Es war richtig bitterkalt, es war neblig und man sieht ja auch auf den Fotos, dass die Leute, die da waren, dick angezogen waren. Es war früh morgens, wir waren in der Frühschicht je drei Mann auf dem Bagger: der Baggerführer und zwei Helfer. Ich war einer der Helfer, als wir die Leiche fanden."
Jürgen Krätzig, Augenzeuge
Das Team stieß auf ein Stück Holz. Das ist durchaus normal in einem jungen Hochmoor, da dort sehr viele alte Wurzeln im Boden sind. Der Baggerführer Samuel Gunsch sagte zu Jürgen Krätzig: "Jürgen geh runter in die Grube, guck mal nach."
"Das bedeutet, dass man mit einem Grabscheit oder mit einem Spaten runter muss in diesen ich sag mal Torfsumpf, um dann eine Wurzel zu identifizieren und die dann irgendwie raus zu machen. Meistens macht man das zu zweit und bei der Gelegenheit haben wir eben dann gemerkt, dass wir etwas gefunden hatten, was eigentlich untypisch war. Wir haben nämlich ein Stück Holz gesehen, ein Brett."
Jürgen Krätzig, Augenzeuge
"Um Gottes willen, da liegt ja Oana drin!"
Sie wollten das Brett rausholen, haben zu zweit versucht, es hochzuwuchten.
"Aber da haben wir gemerkt, dass es zu schwer war. Also haben wir den Bagger erstmal fünf, sechs Meter zurückgesetzt und sind dann wieder runter in die Grube, auch Herr Samuel Gunsch, der Baggerführer. Der hat sich das angeguckt und hat dann nach oben gerufen: 'Bringt mal ne Taschenlampe!' Und dann werde ich nie vergessen, als er plötzlich sagte: 'Um Gottes willen, da liegt ja Oana drin! Jürgen ruf den Alten an, wir brauchen hier Unterstützung.'"
Jürgen Krätzig, Augenzeuge
Unglaubliche Reaktion der Regierung von Oberbayern
Der "Alte" war der Betriebsleiter Ludwig Krätzig, der Vater von Jürgen. Gesagt getan. Das erste, was Ludwig Krätzig sagte, war: "Hier muss die Polizei her, des ist ein Leichenfund.' Die wurde kontaktiert und kam auch umgehend zur Fundstelle. Der Polizeichef der damaligen Wache in Schongau, ein Jagdfreund von Krätzig senior, meinte nur: "Ludwig, da sind wir nicht mehr zuständig." Dann wird sich die Regierung von Oberbayern mit so etwas auskennen und zuständig sein. Betriebsleiter Krätzig rief dort an. Die Antwort war unglaublich, denn der Gesprächspartner von der Regierung von Oberbayern meinte, da könne er auch nicht helfen, "hängen Sie sich das Ding doch ins Wohnzimmer".
Das tat Ludwig Krätzig zum Glück nicht. Sonst wäre ein historischer Fund verloren gegangen. Er war Vorsitzender des bayerischen Torfverbandes und hatte bei einem deutschlandweiten Treffen Doktor Karl Schlabow aus Neumünster getroffen. Der war Textilarchäologe und Leiter des dortigen Textilmuseums und meinte damals: "Wenn sie jemals in einem ihrer Moore eine Leiche finden sollten, dann bitte sofort Kontakt mit mir aufnehmen, denn ich unternehme die weiteren notwendigen Maßnahmen."
Den Sarg ausgegraben – und dann wieder zugedeckt
Die Anweisungen zum weiteren Vorgehen erfolgten telefonisch. Jürgen Krätzig und die anderen Arbeiter haben schließlich den Sarg ausgegraben.
"Der Sarg selber lag ungefähr 50 bis 60 Zentimeter unterhalb der Oberfläche des Moores und dann haben wir ihn aber im Torf liegen lassen und haben ihn mit Torf wieder zugedeckt. Wir haben also versucht, die Sauerstoffzufuhr so gering wie irgend möglich zu halten, denn die Leiche konnte ja nur deshalb über 600 Jahre überdauern, weil sie ohne Sauerstoff war und weil sie durch die Huminsäuren, die der Torf bildet, konserviert worden ist."
Jürgen Krätzig, Augenzeuge
Die Moorleiche wird erst einmal konserviert
Karl Schlabow aus Schleswig-Holstein war innerhalb von sechs Tagen mit einem Spezial-Laster am Fundort. Dieser war gefedert und hatte einen großen Bottich auf der Ladefläche – mit Eichenlohe.
"Der ganze Sarg einschließlich der Leiche wurde zunächst mal in diese Brühe reingelegt, zur Konservierung. Denn die Gefahr war ja groß, dass die Moorleiche durch den Sauerstoff, dem sie ausgesetzt war, in einen intensiven Zerfallsprozess übergeht – und das wollte man verhindern."
Jürgen Krätzig, Augenzeuge
Rosalinde – wie die Moorleiche zu ihrem Namen kam
Jetzt wurde die Moorleiche nach Neumünster transportiert. Sie wurde die Frau von Peiting genannt. Daran, dass wir sie heute auch als die Moorleiche Rosalinde kennen, ist die Mutter von Jürgen Krätzig schuld. Jedem Gegenstand im Haus hat sie einen Namen gegeben.
"Die Gefriertruhe hieß Friedrich oder ein großer Granitstein, den mein Vater im Garten da angebracht hatte, der war der Sokrates."
Jürgen Krätzig, Augenzeuge
Beim Abendessen meinte Vater Krätzig, da sei ein Mann drin, in dem Sarg. Darauf sagte seine Frau: Dann nennen wir den Bobby. Nach der Obduktion erfuhr Familie Krätzig Monate später, dass es sich bei der Moorleiche um eine Frau handelt.
"Und dann sagte meine Mutter ganz spontan – ich weiß das noch, das war beim Mittagessen und meine Brüder waren auch da: 'Ja das ist ja toll, Rosalinde!'"
Jürgen Krätzig, Augenzeuge
Die einzige Moorleiche Europas, die in einem Sarg bestattet wurde
Rosalinde ist etwas Besonderes. Erstens gibt es in Bayern fast keine Moorleichen im Gegensatz zu Norddeutschland und zweitens ist es die einzige europäische Moorleiche, die in einem Sarg bestattet wurde.
"Die Moorleiche lag mit gekreuzten Unterarmen, also wie in einem christlichen Begräbnis, in diesem Sarg und das war schon eine kleine Sensation."
Jürgen Krätzig, Augenzeuge
Die Moorleiche wird bis heute erforscht
Dr. Karl Schlabow hat sie damals untersucht. Ursprünglich ging man davon aus, dass sie aus dem 8. bis 10. Jahrhundert stammte und schwanger war. Die Forschung schreitet immer weiter voran und heute ist man sich fast sicher, dass sie aus dem 14./15. Jahrhundert stammt. Zum einen wurde eine Analyse des Sargholzes vorgenommen, aber endgültige Klarheit schaffte eine erneute Probenentnahme aus der Leiche im Jahr 2007. Und vielleicht war sie gar nicht schwanger. Der etwas größere Bauch könnte auch durch Aufblähungen bei der Verwesung entstanden sein oder dadurch, dass sie gut genährt war. Rosalinde hat ihre Ernährung in den letzten Monaten vor dem Tod umgestellt. Dies könnte dann doch wieder auf eine Schwangerschaft hindeuten. Leider sind die 1957 obduzierten inneren Organe verschwunden und somit ist eine genauere Bestimmung nicht möglich. Es wird trotzdem immer noch an der Moorleiche geforscht.
Die falsch angegebene Fundstelle
Der Fundort der Leiche wurde lange Zeit falsch angegeben.
"Man hat über viele Jahre gesagt, sie wurde in Schwarzlaichmoor gefunden und es hat sich herausgestellt: Das stimmt gar nicht. Das war einfach eine falsche Info, die damals halt notiert wurde. Es war tatsächlich der sogenannte Weiter Filz."
Peter Ostenrieder, Bürgermeister von Peiting
Und dass die Fundstelle auf Peitinger Flur war, stimmt so auch nicht.
"Die Frau von Peiting ist eigentlich nicht mehr wirklich die Frau von Peiting, denn im Jahr 2007 hat sich bei nochmaliger genauerer Forschung herausgestellt, dass Rosalinde auf Hohenpeißenberger Flur gefunden wurde. Aber zwischen Peiting und Hohenpeißenberg gibt es kein Problem. Wir verstehen uns als Gemeinde gut und ich denke, Rosalinde wird weiterhin auch Peiting zugeordnet werden."
Peter Ostenrieder, Bürgermeister von Peiting
Voller Einsatz für die Natur – mit 80 Jahren
Das Moor rund um den Fundort bei Peiting hat der damalige Augenzeuge Jürgen Krätzig 1992 gepachtet und sieben Jahre später gekauft. Zum einen waren das nostalgische Gründe.
"Zum anderen sollte hier eine Mülldeponie errichtet werden und da habe ich gesagt: nein. Damals war ich schon der Meinung, dass man sich um den Erhalt unserer Natur bemühen sollte."
Jürgen Krätzig, Augenzeuge
Das macht er mit vollem Einsatz trotz seiner 80 Jahre und hat mit vielen Arbeitsstunden große Teile des Moores renaturiert. Dies ist für das Weltklima wichtig, denn die bewachsenen Moorflächen speichern enorme Mengen an CO2.
Moorleiche: Teil der Archäologischen Staatssammlung in München
Das Original der Moorleiche wird derweil ein zentraler Punkt in der Archäologischen Staatssammlung in München sein, nach der geplanten Wiederöffnung 2023. Und ein Replikat ist im Museum Torfbahnhof in Rottau in der Nähe vom Chiemsee ab kommendem Jahr wieder zu bewundern.