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Die Bundesautobahn A9 Stop and Go zwischen Ost und West

Die A9 ist eine der ältesten und meistbefahrenen Autobahnen Deutschlands. 530 Kilometer lang führt sie von Berlin nach München. Tobias Föhrenbach hat sich ins Auto gesetzt und diese legendäre Fernstraße nach Spuren deutscher Geschichte abgesucht.

Von: Tobias Föhrenbach

Stand: 29.07.2020 | Archiv

Die Bundesautobahn A9: Stop and Go zwischen Ost und West

1974 veröffentlicht die Gruppe Kraftwerk ihr wegweisendes Elektropop-Album "Autobahn". Das 22-minütige Titellied könnte ein Ständchen sein für die Fernstraße Berlin-Leipzig-München, denn im selben Jahr erhält sie den Namen, den sie bis heute trägt: "Bundesautobahn A9".

"Mythos Reichsautobahn"

Die A9 gehört zu den ältesten und längsten Fernverkehrsstraßen in Deutschland. Bei ihrer Eröffnung 1936 galt sie als Infrastruktur-Vorzeigeprojekt des Deutschen Reiches. Damals war die Autobahn selbst eine Sehenswürdigkeit.

"Im Gegensatz zur landläufigen Meinung hatten die Reichsautobahnen keine strategische Funktion. Panzer wären auf den Trassen eingebrochen, Brücken waren nicht ausgewiesen, das Wegenetz war innerdeutsch, also nicht an die Grenzen heranführend. Es war ein propagandistisches Vorhaben, es war groß geplant und es war auch – man muss es lassen – grandios durchgeführt. Es sind Betontrassen gewesen und die haben sich abgehoben von der Landschaft. Es ging darum, ästhetische Strecken zu bauen, dann man wollte die Landschaft erfahren. Da war mehr der Weg das Ziel, als heute umgekehrt. Und es sollte auch die Schönheit der natürlichen Landschaft hervorgehoben werden."

Peter Fleischmann, Historiker

Die A9 führt von München nach Berlin.

Der Historiker Peter Fleischmann ist Leiter des Staatsarchivs Nürnberg. Er hat sich im Rahmen einer Ausstellung ausführlich mit dem "Mythos Reichsautobahn" beschäftigt. Wie man heute weiß, hat nicht Adolf Hitler die Autobahn erfunden, die Nazis griffen lediglich schon bestehende Ideen vereinzelter Bau-Vereine auf, darunter auch die Planungen der "MüLeiBerl", der Vereinigung zum Bau einer Linie München – Leipzig – Berlin. Die wichtige Nord-Süd Trasse wurde ab 1936 in mehreren Teilabschnitten eröffnet. Und an der bis heute nicht veränderten Streckenführung kann man immer noch nachvollziehen, welchen Zweck die Fernstraße A9 hatte.

"Man hat dort immer sehr bewusst die landschaftlichen Begebenheiten aufgenommen und auch die kulturräumlichen. Es gibt bei Allersberg da so eine Strecke, da geht die Autobahn wie so ein flatterndes Band dahin. Heute würde man gerade planieren. Man hat viele Buckel-Rücken in die Trasse aufgenommen. Das ist so ein leicht schwingendes Moment, auch belebend. Die Raststätte Feucht ist bewusst beim alten Ludwigskanal, damit die Automobilisten dort rasten konnten und runtergehen konnten zu einem anderen innovativen Verkehrsprojekt: dem Ludwigskanal. Und in gleicher Wiese Richtung Norden, dann am Hienberg die Trasse hoch, die quält sich ja lange Zeit auf den Berg hinauf und oben sind sie dann auf der Höhe und fahren durch Oberfranken. Landschaftlich reizvoll, enge Radien, schärfere Kurven, als sie heute üblich sind. Das war inszeniert, das war bewusst geplant."

Peter Fleischmann, Historiker

Die wichtigste Transitstrecke nach Westberlin während der Teilung

Die A9 war während der Teilung Deutschlands eine wichtige Transitstrecke. Walter Schneider reiste in den 1960er und 70er Jahren mehrmals im Jahr von Westdeutschland in die DDR, besuchte dort Freunde und Familie. Die A9 war zu diesem Zeitpunkt zwar eine der wichtigsten Transitstrecken nach Westberlin, aber wenig befahren.

"Nach dem Grenzübergang zum Eintritt in die DDR wurde der Verkehr geringer. Man sah da drüben nur noch Lkw und Zweitakter. Man roch, dass man in der DDR war und bei den Schlaglöchern musste man auch besonders aufpassen. An den Ausfahrten durften nur die Einreisewilligen der Bundesrepublik die Autobahn verlassen und da waren also nicht direkt an der Kreuzung die Verkehrspolizei oder auch zum Teil der Staatssicherheitsdienst. Die waren in Abständen versteckt auf Türmen im Wald und haben diesen Punkt beobachtet. Und auf einmal nach der Auffahrt standen sie da und haben kontrolliert, ob man wirklich Einreisender in die DDR war und illegal die Transitstrecke verlassen hatte."

Walter Schneider

Das deutsch-deutsche Transitabkommen aus dem Jahr 1971 brachte kleinere Erleichterungen für die Reisenden auf der Autobahn, allerdings nicht für die DDR-Bürger, so dass sich eine Zweiklassengesellschaft der Autofahrer entwickelte. Mit leistungsstarken und schwächeren Automodellen und mit Raststätten, die nur von Westlern angefahren werden durften. Und dann kam die Wende, auch verkehrstechnisch.

Feuerwehreinsätze auf der A9: körperlich und psychisch belastend

Norbert Schlicht ist der Erste Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr Schnaittach. Ihr Einsatzgebäude steht nur gute 200 Meter von der Autobahn A9 entfernt. Norbert Schlicht ist seit 1985 bei der Feuerwehr aktiv.

"Die Verkehrslage war mehr als gemütlich vor der Grenzöffnung. Kaum Verkehr und Sonntagsverkehr, wenn die Städter aufs Land gefahren sind. Ansonsten gab es überwiegend Militärkolonnen nach Grafenwöhr für die Amis, aber dann kam natürlich nach 1989 eine massive Verkehrszunahme durch den Ost-West Verkehr. Und dann durch den Ausbau der A9 Anfang der 90er Jahre nahm der Verkehr noch mehr zu."

Norbert Schlicht, Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr Schnaittach

Feuerwehrleute nach einem Unfall auf der A9 bei Schnaittach (Archivbild)

120 Einsätze hat die Freiwillige Feuerwehr Schnaittach pro Jahr, die Hälfte davon auf der Autobahn A9. Pkw und Lkw-Brände, eingeklemmte Verkehrsteilnehmer nach schweren Unfällen, Bergung von Überlebenden und Toten: Es ist eine körperlich und psychisch belastende Arbeit, unter schwierigsten Bedingungen.

"Wir sind ein gebranntes Kind. Am 8. April 2014 ist ein Kamerad von uns ums Leben gekommen auf der Autobahn, weil ein 40-Tonner unser Sicherungsfahrzeug übersehen hat. Sicher ist gar nichts auf der Autobahn."

Norbert Schlicht, Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr Schnaittach

Bis zu 100.000 Fahrzeuge pro Tag

Stau auf der A9 bei

1998 hat man den dreispurigen Ausbau der A9 von Schnaittach Richtung Norden abgeschlossen, ein Verkehrsprojekt, das aufgrund des immer dichter werdenden Verkehrs nach der Wende nötig wurde. Seitdem ist der Verkehrsfluss dort etwas besser, auch wurde die steile Hienberg-Trasse entschärft. Doch der Verkehr nimmt auf der gesamten Fernstraße bis heute immer weiter zu, an manchen Stellen sind es bis zu 100.000 Fahrzeuge pro Tag. So wird vielerorts nicht nur über Sicherheitsmaßnahmen, sondern auch über Lärmschutz debattiert und gestritten. Und Stau gibt es nach wie vor sowieso genug.

Lärm auf der A9 – für Lkw-Fahrer Raiko kein Problem

Lkw-Fahrer "Raiko 71" hat sich mit seinem Wagen eben auf die Rastplatz-Anlage Fränkische Schweiz an der A9 gestellt. Kurz mal abschalten, eventuell noch ein Nickerchen machen. Hinter ihm befinden sich zwei ausgepolsterte Liegeflächen, die Vorhänge sind abgedunkelt, Platz ist genug, sogar für zwei Fahrer. Und der Lärm? Wie schläft es sich da?

"Gut, in diesem Bett schlafe ich besser als zuhause. Zuhause kann ich nicht durchschlafen, aber hier kann ich das. Man gewöhnt sich dran. Selbst wenn man neben einem Kühlfahrzeug steht, wo der Kühler die ganze Nacht läuft."

Raiko, Lkw-Fahrer

Eine App zeigt auf einem Smartphone freie Parkplätze entlang der A9

Seit einem Jahr fährt Raiko die A9 regelmäßig ab. Die Lärmbelastung nachts ist für ihn also weniger das Problem, eher der Verzicht auf persönliche Freizeit, denn die Schichten sind mit 13-15 Stunden ganz schön belastend, auch wenn regelmäßige Ruhezeiten vorgeschrieben sind. Auf den Autobahnen erlebt er die abenteuerlichsten Geschichten und Manöver. So wundert es ihn nicht, dass es trotz sichererer Autos immer wieder zu schweren Unfällen kommt. Und auch das Miteinander auf den Fernstraßen lässt seiner Meinung nach zu wünschen übrig.

"Wie ist das Verhältnis zwischen Auto- und Lkw-Fahrern? In Deutschland ist es schlecht. Ich finde in manchen anderen Ländern, wie jetzt Frankreich zum Beispiel, ist der Lkw-Fahrer wirklich hoch geachtet, da ist man zuvorkommend gegenüber dem Lkw, wenn man sieht aha der braucht viel Platz. Man hält lieber. In Deutschland ist das nicht so. Da wird manchmal, das hatte ich gestern erst wieder, eingeschert in seinen Sicherheitsabstand. Fünf Meter vor der Schnauze, das interessiert nicht."

Raiko, Lkw-Fahrer

Die A9 – digitales Testfeld für neue Mobilitätskonzepte

Straßenbauarbeiter installieren ein Verkehrsschild für autonome Fahrzeuge auf der A9.

Heute dient die A9 der Bundesregierung auch als Testfeld für neue Mobilitätskonzepte. Seit 2015 gibt es zwischen Nürnberg und München das digitale Testfeld, auf dem Autobauer wie Audi und BMW neue Mobilitätstechnologien im Realverkehr erproben. Es ist 140 Kilometer lang und in seiner Funktion einzigartig in der Bundesrepublik.

"Für Audi ist es wichtig, gemeinsam mit anderen Partnern noch bessere Möglichkeiten auszuprobieren, das automatische Fahren leichter und sicherer zu machen."

Miklos Kiss, Leiter der Vorentwicklung für autonomes Fahren

Eine Audi-Mitarbeiterin testet das sogenannte pilotierte Fahren auf der A9 bei Ingolstadt.

Das "Digitale Testfeld Autobahn" wird vom Bundesverkehrsministerium und dem Freistaat Bayern betrieben und soll drei thematische Schwerpunkte abdecken. Automatisierte und vernetzte Fahrfunktionen sowie Tests einer Intelligenten Infrastruktur. Dazu zählen zum Beispiel die automatisierte Kolonnenfahrt - das sogenannte Lkw-Platooning, oder Tests zum Mobilfunkstandard 5G. In den letzten Jahren konnten einige Projekte dauerhaft in der Praxis umgesetzt werden, wie zum Beispiel das Lkw-Parkleitsystem. Eine Entwicklung, von der Lkw-Fahrer wie Raiko bereits profitieren, so Innenminister Joachim Herrmann.

"Wenn ein Parkplatz völlig überbelegt ist, erleben wir leider auch immer wieder, dass sich Lkw-Fahrer dann schon in der Einfahrt hinstellen und das ist natürlich mit hohen Gefahren verbunden. Da sind zum Teil in den vergangenen Jahren schwere Unfälle passiert. In Zukunft weiß ein Lkw-Fahrer schon über viele Kilometer im Voraus, wo ein Parkplatz frei ist."

Joachim Herrmann, Bayerns Innenminister

Die A9 – von einer Erlebnisstraße hin zu einer digitalen Teststrecke

Die Bundesautobahn A9, sie hat eine erstaunliche Entwicklung genommen. Von einer Erlebnisstraße im dritten Reich, über die Verwendung als Transitstrecke während der Teilung Deutschlands, hin zu einer einzigartigen, digitalen Teststrecke auf der die Zukunft des Personen- und Warenverkehrs erprobt wird. Und sieht man sich den Verlauf der Nord-Süd-Trasse auf einer großen Landkarte an, dann könnte man anatomisch von einer Art verkehrstechnischer Wirbelsäule sprechen. Sie ist das zentrale, tragende Konstruktionselement zwischen Nord-Süd und Ost-West.


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