Bayern 2

     

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Ein bayerisches Trauma Die Reichsgründung 1870/71

Es kommt immer auf den Standpunkt an. Für die Patrioten war es der Verrat an der bayerischen Identität. Für die Liberalen war es der einzige Weg in die Zukunft für Bayern. Vor 150 Jahren trat das Königreich Bayern dem Deutschen Reich bei.

Von: Thomas Grasberger

Stand: 07.04.2021 | Archiv

Ein bayerisches Trauma: Die Reichsgründung 1870/71

"Finis bavariae" - das Ende Bayerns, schrieb der langjährige bayerische Spitzenpolitiker Ludwig von der Pfordten am Abend der Landtagsabstimmung, dem 21. Januar 1871, in sein Tagebuch. Mit einer knappen Mehrheit billigte die Volksvertretung den Beitritt zum Deutschen Reich. Ganz so schlimm wurde es aber doch nicht.

Bayerische Extrawurst

Bayern verlor zwar seine Souveränität und musste eine ganze Reihe preußischer Kröten schlucken, aber der neue Reichskanzler Otto von Bismarck belohnte den bajuwarischen Südstaat mit Privilegien und viel Geld. Bayern behielt seine Unabhängigkeit in allen Fragen der Eisenbahn, der Post und der Biersteuer. Diese so genannten Reservatrechte ließen die Kassen klingeln. Und König Ludwig II. kassierte ein Vermögen von angeblich sechs Millionen Goldmark für seine Unterschrift unter den Kaiserbrief, der den Preußenkönig Wilhelm I. zum Deutschen Kaiser deklarierte.

"Bismarck war offensichtlich bemüht, genau Bayern besonders pfleglich zu behandeln. Das hatte schon mit der Seelenlage Ludwig II zu tun. Das hatte auch mit den vielen Patrioten in Bayern zu tun, ganz klar, denen wollte man entgegen-kommen. Da wollte man kein Protestpotenzial auf Dauer hier etablieren."

Dr. Katharina Weigand , Historikerin  an der LMU München

Katholiken und Sozialisten gingen aus ihren anfänglichen Konflikten mit Bismarck am Ende gestärkt hervor. Und nicht zuletzt der politische Druck der Sozialdemokratie führte zum Ausbau eines Sozialstaats. Kürzere Arbeitszeit, höherer Lebensstandard, dazu eine blühende Wissenschaft, Nobelpreise, eine boomende Export-Wirtschaft ... Eine Ära, die noch 150 Jahre später als Bayerns goldenes Zeitalter verklärt wird. Und eine Ära, die nach dem Tod des Märchenkönigs von einem Wittelsbacher ohne Ambitionen auf den Königstitel geprägt wurde.

Guade oide Zeit

Mit Prinzregent Luitpold erlebte Bayern seine bis dahin friedlichsten Jahre. Der Onkel und Nachfolger von König Ludwig II. überließ die Regierungsgeschäfte meist seinen liberalen und reichsfreundlichen Ministerien. Anders als sein Neffe galt er als volksnah und mischte sich gern unter die Leute. Er selbst wollte nie König werden - und wurde es auch nicht. Bis zu seinem Tod am 12.12.1912 blieb Luitpold der bayerische Prinzregent. Und noch heute gilt seine Regentschaft als die "guade oide Zeit" in Bayern.


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