Flachland-Alpinisten Die Sehnsucht der Städter nach den Bergen
Nürnberg und seine Umgebung sind eher plattes Land. Doch die Nürnberger gehörten vor gut 150 Jahren mit zu den ersten, die eine Sektion des Deutschen Alpenvereins gründeten. Heute hat die Sektion fast 12.000 bergbegeisterte Mitglieder.
Warum gibt es in Nürnberg eigentlich einen Alpenverein und nicht einfach nur eine Wandervereinigung? Schließlich ist die höchste Erhebung im Ortsteil Brunn gerade mal 408 Meter hoch. Liegt es vielleicht genau daran, dass Nürnberg und seine Umgebung eher plattes Land sind? Und die Sehnsucht bekanntlich dann am größten wird, wenn das Begehrte besonders fern liegt?
Jubiläums-Ausstellung "Die Berge und wir"
Die Frage, warum gerade die Nürnberger vor 150 Jahren mit zu den Ersten gehörten, die eine Sektion des Deutschen Alpenvereins gründeten, wird im Fembohaus, einem städtischen Museum unterhalb der Nürnberger Burg, beantwortet. Zum 150-jährigen Gründungsjubiläum ist dort die Ausstellung "Die Berge und wir" zu sehen.
"Die Bergbegeisterung ist ja etwas, was nicht total Alpenraum-spezifisch ist, sondern das durchaus ausstrahlt. Und gerade in einer Großstadt und Industriestadt wie Nürnberg kann ich mir sehr gut vorstellen, dass das einfach einen großen Reiz hatte, sich mit Natur zu beschäftigen. Und hier waren auch vergleichsweise viele reiche Leute, Industrielle, die sich hier versammelt haben und es sich leisten konnten, einem solchen Hobby, das in dieser Zeit einfach auch chic war, nachzugehen."
Magdalena Prechsl, Historikerin
Und so waren es vor allem Großbürger, die im Jahr 1869 zu den Gründungsmitgliedern gehörten. Der erste Vorsitzende war ein Mediziner.
"Es waren nur Männer. Die Frauen kamen dann später hinzu. Wir wissen nicht genau, wie viele den Verein gegründet haben, aber wir gehen von elf Personen aus. Es war dann so, dass sich der Verein wie auch die Sektion rasant entwickelt haben. Es war anscheinend die richtige Idee zur richtigen Zeit."
Magdalena Prechsl, Historikerin
Wandern – eine alte Kulturtechnik
Historikerin Magdalena Prechsl vom Kuratorenteam der Ausstellung läuft am Matterhorn vorbei, das gleich am Eingang auf einem Ölgemälde prangt. Der Berg ist immer von Schnee bedeckt und wohl das meist fotografierte Motiv der Schweiz - ein Sehnsuchtsort, ein Schicksalsort, an dem schon mancher Bergsteiger gescheitert ist. Wandern ist eine alte Kulturtechnik. Sie geht über das rein Nützliche hinaus. Wandern bringt Geist und Körper in eine gute Verfassung. Seit dem Beginn der Neuzeit gibt es in den Kulturen Spuren von diesem neuen Gehen, besonders in der Romantik.
"Aus der Romantik heraus wurde die Natur idealisiert, was sehr eng einhergeht mit einer kulturpessimistischen Perspektive. Man empfindet in einer schärferen Richtung Zivilisationsekel. Das ist ein weiterer Ausdruck der Industrialisierung. Man fühlt sich nicht mehr als ganzer Mensch und man sehnt sich zurück in dieses Naturbild, das man natürlich extrem verklärt."
Max Wagner, DAV Sektion Nürnberg
Die Berge – nach wie vor für viele Menschen ein Sehnsuchtsort
Wer hätte gedacht, dass junge Menschen wieder gerne in die Berge gehen, von Nürnberg aus aufbrechen, um die Zugspitze zu erklimmen oder mit dem Mountainbike durch die Zillertaler Alpen zu fahren? Das war in den 1960er, 70er und 80er Jahren undenkbar. Sinnbilder des konservativen Wanderers waren Tiroler Hut, Lodenjacke und Wanderstock - wie sie in der Ausstellung im Fembohaus zu sehen sind.
"Mit diesem Klischee wollen wir natürlich im Verlauf der Ausstellung brechen, weil es sehr unterschiedliche Leute sind, die sich in den Bergen aufhalten, die im Alpenverein organisiert sind und dieses Klischee natürlich überholt ist. Heute zieht es viele Menschen in die Berge, man sucht nach tollen Motiven für Fotos - das geht natürlich auch mit den sozialen Medien einher. Und dann ist Wandern eine wunderbare Möglichkeit, aber das war vor ein paar Jahrzehnten noch nicht so, da hat man gedacht, das ist was für die Alten und da ist dieses Bild entstanden."
Max Wagner, DAV Sektion Nürnberg
Facebook und Instagram bringen mehr Menschen in die Berge
Gipfel-Selfie, Facebook-Post und Insta-Story - sie haben die Renaissance von Wandern, Bergsteigen und Klettern gefördert?! Nicht nur. Für viele Alpenvereinsmitglieder hat die Liebe zu den Bergen und die Verbundenheit zum Alpenverein eine lange Tradition.
"Die Alpen – zwischen Wildnis und Freizeitpark"
Vor zehn Jahren dachte man noch, dass das klassische Bergwandern ausstirbt. Doch mittlerweile überrennen die Menschen die Berge geradezu, entdecken eine neue Wanderlust, sprinten zum Trailrunning, bouldern und klettern an den Felsen. Freizeitboom, Alpen-Eventarisierung. Einer, der sich ein Leben lang wissenschaftlich mit den Alpen auseinandergesetzt hat, ist der Bamberger Professor Werner Bätzing. Er hat eine Streitschrift zur Zukunft der Alpen verfasst mit dem Titel: "Die Alpen - zwischen Wildnis und Freizeitpark". Seine Kritik lautet:
"Die Tourismusindustrie investiert dort, wo die Nachfrage hoch ist. Und dort, wo die Nachfrage gering ist, werden Hotels geschlossen aufgrund der mangelnden Nachfrage. Insofern ist das konkrete Urlaubsverhalten von Tausenden von Menschen sehr relevant für die weitere Entwicklung des Tourismus im Alpenraum. Dass wir im Alpenraum nur noch etwa 300 große Tourismus-Ghettos mit bis zu 40.000 Betten haben, wir haben riesige Skigebiete, Tennisplätze, Golfplätze, wir haben das ganze Arsenal an Aktivsportarten, die ganze Palette von Events und Aussichtsplattformen und Hängebrücken und so weiter. Doch ich sage provokant: Die Alpen lernt man da nicht kennen. Man ist im Prinzip in einem städtischen Freizeitpark und nicht in den Alpen."
Professor Werner Bätzing
Späte Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit
Das hätten sich die Pioniere bei der Gründung der Nürnberger Sektion des DAV vor 150 Jahren nicht träumen lassen – oder besser alp-träumen lassen. Für sie standen die Wissenschaft und Erforschung der Alpen im Mittelpunkt: Kartierungen, Wetterbeobachtungen, das Anlegen von Wegen und Hüttenbau. Dann allmählich wurde das Bergsteigen mehr und mehr zum gesellschaftlichen Ereignis, und im 20. Jahrhundert zu einem politischen - auch für die Nürnberger Sektion.
"Weil nach dem 1. Weltkrieg das ganze Bergsteigen sehr, sehr heldenhaft, nationalistisch und völkisch aufgeladen wird, und dass natürlich einen günstigen Nährboden für die NS-Ideologie geschaffen hat. Das ist dann unser nächstes großes Thema, das uns auch sehr wichtig ist in der Ausstellung. Wir wollen darstellen, wo sich der Alpenverein sehr schnell in das SS-System eingegliedert hat, das Ganze auch gestützt hat. Uns ist es auch ein Anliegen, die Opfer dieser Zeit darzustellen. Wir zeigen zwei Beispiele, Oskar Külken und Alfred Kohn. Beide waren mit die besten Bergsteiger in der Sektion und wurden dann ausgeschlossen wegen ihrer jüdischen Abstammung. Das möchten wir genauso zeigen wie den Umgang mit der NS-Vergangenheit nach 45. Im Grunde kann man sagen, dass eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit eigentlich erst in den 1990er Jahren stattgefunden hat."
Magdalena Prechsl, Historikerin
Historikerin Magdalena Prechsl zeigt auf die privaten Fotoalben, die im Fembohaus ausgestellt sind: Auf den Bildern sieht man Mitglieder der Sektion Nürnberg auf alltäglichen Ausflügen in die Fränkische Schweiz. Gleich daneben prangen Aufnahmen von den Reichsparteitagen in Nürnberg. Ein Zeitdokument, das nachdenklich macht.
Die Nürnberger Hütte in den Stubaier Alpen
Wer die Gipfel erklimmen will, braucht ein Lager zum Übernachten. Der Alpenverein besitzt zahlreiche Hütten hoch oben in den Bergen. Die Nürnberger Sektion hat ihre Hütte 1886 in den Stubaier Alpen errichtet. Damals mit nur acht Schlafplätzen am Fuße des Wilden Freigers. Die Berghütten gehören zum Alpenverein wie der Rucksack zum Wanderer. Dort gibt es nicht nur eine gute Bergsteiger-Brotzeit, sondern auch jede Menge Bergsteiger-Latein, bevor man seine strapazierten Glieder im Lager ausstreckt – zwischen feuchten Socken und schnarchenden Kameraden. In der DAV-Ausstellung ist daher der letzte Raum der Berghütte gewidmet.
Die Fränkische Schweiz: eines der besten Klettergebiete der Welt
Zum Klettern hingegen muss man von Nürnberg aus gar nicht so weit fahren. Sozusagen vor der Haustür liegt eines der Top Ten-Klettergebiete der Welt: die Fränkische Schweiz. Kein anderes Klettergebiet bietet eine so große Fülle an Routen. Auch dort besitzt die Nürnberger Sektion des Deutschen Alpenvereins eine Hütte – die Ossi-Bühler-Hütte bei Thuisbrunn.
Tour durch eine der größten Höhlen in der Fränkischen Alb
Doch wer den Deutschen Alpenverein und seine Mitglieder verstehen will, darf nicht nur auf Gipfel klettern, sondern muss auch in den Berg hinein - beispielsweise ins Alfelder Windloch. Das ist eine der größten Höhlen in der Fränkischen Alb, mit über zwei Kilometern Länge, die noch lange nicht komplett erkundet worden sind. Christian Siegling vom DAV Sektion Nürnberg ist geprüfter Höhlenführer und nimmt immer wieder Gruppen in die Höhle mit.
"So, jetzt muss ich mich hier durchquetschen – das ist eng wie zwei Schuhkartons. Einmal drunter her, der Zugang ist etwas erschwert, jetzt sind wir in der Höhle drin. Das ist die Eingangshalle der Höhle, die ist ziemlich groß, das sieht man jetzt nicht, aber die fällt auf einer Länge von hundert Metern in einem Winkel von 45 Grad ab. In dieser Halle haben wir schon mal eine halbe Stunde lang den Ausgang gesucht, ich habe auch gedacht, das gibt es doch nicht."
Christian Siegling, geprüfter Höhlenführer
DAV Sektion Nürnberg – heute fast 12.000 Mitglieder
Grenzerfahrungen am Berg und im Berg – das ist es, was viele bergbegeisterte Menschen seit jeher suchen. Und was auch viele der fast 12.000 Mitglieder beim DAV Sektion Nürnberg reizt – ebenso wie dessen Vorsitzenden Wolfgang Tittus.
"Die Faszination ist einmal, dass du ganz weit weg vom Alltag bist, in den Alpen oder anderen Gebirgen auf dieser Welt unterwegs, also ganz raus aus deiner gewohnten Umgebung. Und du bist sehr stark mit dir selbst konfrontiert, weil du Dinge vor dir hast, die du nicht so einschätzen kannst. Und es ist auch immer wieder viel Überwindung dabei und Mühsal, und umso schöner ist es, wenn man es geschafft hat, auch wenn man nicht immer erfolgreich war."
Wolfgang Tittus, Vorsitzender DAV Sektion Nürnberg