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Die Kinder des Schlosses Die Künstlergemeinschaft im Theater Schloss Maßbach

Für Paul Maar öffnete sich die Tür zur Welt der Kunst dank der Künstlergemeinschaft im Theater Schloss Maßbach. Ging es anderen jungen Menschen, die einen Teil ihrer Jugend im Schloss verbrachten, genauso? Sechs Menschen aus drei Generationen erzählen von ihren Erfahrungen im Schloss Maßbach.

Von: Siggi Seuß

Stand: 06.12.2024 11:50 Uhr | Archiv

Die Kinder des Schlosses: Die Künstlergemeinschaft im Theater Schloss Maßbach

Paul Maar erlebte seine Kindheit in einem – wie man heute neudeutsch sagen würde – bildungsfernen Milieu. Eindringlich erzählte er 2020 davon in "Wie alles kam. Roman meiner Kindheit". Dass sich für ihn als junger Teenager trotzdem die Tür zu der ihm unbekannten und rätselhaften Welt von Theater, Literatur und Malerei öffnete, verdankte er seiner großen Liebe und späteren Ehefrau Nele Ballhaus.

Die legendäre Landesbühne Theater Schloss Maßbach

Eine Grafik des Schlosses Maßbach

Nele Ballhaus nämlich wuchs – mit ihrem Bruder Michael – als Kind der Theatergründer Lena Hutter und Oskar Ballhaus – in einem kleinen Privattheater in der unterfränkischen Provinz auf. Zuerst in Schloss Stöckach bei Hofheim und ab 1960 in Schloss Maßbach – heute noch Sitz der inzwischen legendären unterfränkischen Landesbühne Theater Schloss Maßbach.

"Das ist meine Welt! Da will ich hin."

Die Liebe also führte den jungen Paul dazu, jede freie Minute mit Nele im Schloss zu verbringen. "Man saß beim Nachmittagstee", erinnert er sich, "und unterhielt sich über Bühnenstücke, sprach von Malern, die ich nicht kannte und von Büchern, die ich nicht gelesen hatte. Und mir wurde klar: Das ist meine Welt! Da will ich hin."

Ging es anderen "Kindern des Schlosses" wie Paul Maar?

Es ist nicht vermessen zu behaupten, dass aus Paul Maar nicht der Paul Maar geworden wäre, den wir heute kennen und lieben – als Kinderbuchautor, als Geschichtenerzähler, als Illustrator – wenn er nicht von der inspirierenden Aura der großen Theaterfamilie gefangen genommen worden wäre. Doch ist das, was Paul Maar in den 1950er und 1960er Jahren widerfuhr, übertragbar auf die Erfahrungen anderer junger Menschen, die einen Teil ihrer Kindheit oder Jugend im Schloss verbrachten – als Kinder von Künstlern und Künstlerinnen oder anderen Theatermitarbeitern?

Sechs Menschen aus drei Generationen erinnern sich

Das ist eine Spur, die unser Autor Siggi Seuß verfolgt. Die zweite: Könnte das, was Paul Maar erlebt hat, auch Generationen nach ihm berührt haben – Kinder, die in den 1980er Jahren oder in den Nullerjahren des neuen Jahrtausends eng mit dem familiären Kulturmilieu im Schloss verbunden waren? Unser Autor hat mit Paul Maar gesprochen und vergleicht dessen Erinnerungen mit denen nachfolgender Generationen. Befragt wurden Michael Maar, Paul Maars Sohn, Ulla Ballhaus, Tochter aus der zweiten Ehe des Theatergründers Oskar Ballhaus, Maike Jansen, deren Mutter in Maßbach als Schauspielerin engagiert war, und die Künstlerkinder Jehanne Worch und Fanny Schmidt, die in den 2000er Jahren im Schloss aufwuchsen.

Die Kinder des Schlosses

PAUL MAAR:

Paul Maar ist heute 84 Jahre alt. Der Kinderbuchautor erzählt von seiner ersten innigen Begegnung mit der Welt des Theaters. Seine Freundin und spätere Ehefrau Nele – Tochter der Theaterleiter Lena Hutter und Oskar Ballhaus – hatte ihn 1958 nach Schloss Stöckach eingeladen:

"Durch meine neue Mitschülerin, Nele, wurde ich eingeladen in das Schloss Stöckach. Ich wusste nur vom Hörensagen, dass es dort ein Theater gibt, das aber nicht im Schloss selber spielt, sondern Abstecherorte besucht und ich war neugierig. Ich kam hin. Nele hat mich empfangen, hat mich gleich ihrer Mutter und deren neuem Mann und ihrem Vater und dessen neuer Frau vorgestellt. Die wohnten alle im Schloss in verschiedenen Zimmern und Flügeln. Führten auch noch zusammen das Theater, auch wenn sie nicht mehr verheiratet waren. Wir saßen dann mit Neles Mutter und Herbert, ihrem neuen Mann, teetrinkend auf dem Rasen vor dem Schloss. Dann kam nach und nach der Bühnenbildner dazu, der Regisseur, der gerade inszenierte, und ein Schauspieler. Und die haben sich angeregt unterhalten. Und ich hörte aufmerksam zu und spürte, wie ich angeregt wurde und wie irgendeine Saite in mir wach wurde, die vorher noch gar nicht so aufgeweckt war. Und hatte plötzlich das Gefühl: 'Ich will auf keinen Fall ein stadtbekannter Malermeister in Schweinfurt werden. Hier gehöre ich hin! Das wird meine Welt! Da will ich hin!'" Paul Maar

ULLA BALLHAUS:

Ulla Ballhaus ist heute 68 Jahre alt. Sie wuchs große Teile ihrer Kindheit und Jugend in der Theaterkommune auf, ist Tochter von Oskar Ballhaus aus seiner zweiten Ehe mit der Schauspielerin Anneliese Wertsch.

"Ich glaube, ich war teilweise sehr verloren. Also, ich habe auch oft eine große Traurigkeit gespürt, weil ich eigentlich keinen wirklichen Ansprechpartner hatte. Ich habe meinen Vater geliebt. Meine Mutter war eine Vollblutschauspielerin und konnte mit den Problemen auf der Bühne wunderbar umgehen, aber leider im Leben nicht. Die Erinnerung ist sehr stark, dass ich immer meine Bäume hatte. Ich konnte sehr gut Baumklettern und hatte mir an einem Baum – der steht immer noch in Maßbach, eine uralte Eiche – oben einen Sitzplatz gefunden, wo ich mir einfach so ein Tablett draufgetan hatte, so'n Holzbrett, und da konnte ich schreiben und das ganze Treiben unten immer beobachten, ohne dass mich jemand gesehen hat. (…) Dieses ganze Schauspielerleben, dieses Theaterleben - eben dieses Hin- und Hergerissensein, mal hier und dort, und das Ganze habe ich, glaube ich, erst sehr viel später begriffen. Ich habe, glaube ich, lange nicht begriffen, dass ich in so einer besonderen Situation aufgewachsen bin. Es gab eben die Seite, die einfach nicht so ins Tageslicht gerückt wurde. Ich habe das früh geahnt. Ich hatte früh schon immer das Gefühl, als ob es – also, nicht nur den Vorhang, der sich öffnet, wenn das Schauspiel beginnt, sondern dass es dahinter noch einen Vorhang gab." Ulla Ballhaus

MICHAEL MAAR:

Michael Maar, Paul Maars Sohn, ist heute 61 Jahre alt. Er ist Literaturwissenschaftler und Literaturkritiker, und erinnert sich mit großem Wohlwollen an seine Aufenthalte im Schloss:

"Für mich war's komplett unbeschwert. Da waren dann auch der Cousin und die Familie, also die Ballhaus-Maar-Familie, zusammen und man hatte Kontakt zu den Schauspielern und man durfte ab und zu mal Textproben mit den Schauspielern machen, also kurzum ihren Text abfragen. Es war vollkommen unbeschwert. Insofern ist der Bullerbü-Vergleich gar nicht schlecht. Und – ja, ich werde nie vergessen: die herrlichen Frühstücke bei meiner Großmutter, mit den frischen Brötchen, die's nur dort gab in Maßbach. Und dann noch später, als ich schon studiert hatte, habe ich mich da tatsächlich öfter mal für ein, zwei Wochen zurückgezogen, um an meiner Doktorarbeit zu schreiben. Mein Interesse für Literatur wurde vielleicht indirekt durch meinen Onkel Michael Ballhaus vermittelt, durch einen puren Zufall. Weil er damals den 'Zauberberg' als Kameramann verfilmt hat und dann dachte ich – da war ich 20, glaub ich: 'Na gut, jetzt lies doch mal dieses Buch, wenn es jetzt schon grade verfilmt wird von deinem Onkel.' Und dann habe ich dieses Buch gelesen und daraufhin begann dann meine Phase der Thomas-Mann-Euphorie." Michael Maar

MAIKE JANSEN:

Maike Jansen, heute 57 Jahre alt, ist professionelle Clownin und Tochter der Schauspielerin Tommy Völckers, die jahrelang festes Mitglied des Maßbacher Ensembles war.

"Wenn ich die Tür aufmache in Maßbach, die Eingangstür vorne – das war ein bestimmtes Knarzen –, die Treppen nach oben ist auch ein bestimmtes Geräusch. Die Gerüche im Haus, in der Küche – ja, Gerüche und Geräusche sind ganz fest in meinem Innern gespeichert. (…) Ich liebte es, mich zu verkleiden, andere zu animieren, sich zu verkleiden, sich zu schminken. Wir Kinder, die im Schloss waren, wir sind ganz oft in den Fundus raufgegangen und haben dort zwischen den Klamotten gespielt. Der war nicht abgeschlossen und man konnte da hoch und das übte einen totalen Zauber aus. (…) Man war immer unter Leuten, eigentlich. Es wurde oft zusammen gegessen, es wurde diskutiert über die Stücke – und wir waren einfach mit dabei. Und das mochte ich. Das ist auch was, was ich nach wie vor sehr mag und was für mich auch eigentlich zum Theater dazugehört oder auch in kreativen Prozessen – wie Leute miteinander arbeiten und Neues entsteht." Maike Jansen

FANNY SCHMIDT:

Fanny Schmidt, 22 Jahre alt, wuchs im zum Schloss gehörenden "Försterhaus" auf. Mutter Schauspielerin und Regisseurin, Vater Maler und Bühnenbildner. Fanny studiert Schauspiel in Leipzig.

"Ich fand das auf jeden Fall immer ganz toll, dass ich in einem Schloss wohne. In der Grundschule mussten wir ein Bild von einem Haus ankreuzen, den richtigen Satz drunterschreiben. Also 'Ich wohne in einem Mietshaus', "Ich wohne in einer Eigentumswohnung'. Und ich habe ein neues Bild dazu gemalt und druntergeschrieben 'Ich wohne in einem Schloss'. Das fand ich schon immer sehr cool. Ich mochte immer sehr gerne den Fundus. Fand ich irgendwie toll, weil's da so eng und dunkel irgendwie drin war. Und Träume habe ich jetzt erst von diesem Haus. Dann ist es aber viel größer und viel dunkler und verwinkelter und sieht auch ganz komisch aus – weiß auch nicht. (…) Die Menschen, die da auf der Bühne stehen, die sitzen dann nachher so im Hof rum, und das sind die gleichen. Und ich kenne die und alle Leute haben für die geklatscht und so. Und ich kenne die persönlich! Ich habe lange die Schauspieler mit ihren Rollennamen noch angesprochen, auch als das Stück dann schon abgespielt war. Auch, weil ich das so cool fand, dass ich die Biene Maja persönlich kenne." Fanny Schmidt

JEHANNE WORCH:

Jehanne Worch, 24 Jahre alt, Vater Dramaturg, Mutter Waldorfschullehrerin. Jehanne wuchs im Gärtnerhaus am Rande des Schlossparks auf. Jehanne ist beste Freundin von Fanny und studiert ebenfalls Schauspiel, in Hamburg.

"Ich bin ja eben dort aufgewachsen und ich wurde schon als Baby mit ins Theater geschleppt. Das war die beste Möglichkeit, mich ruhigzustellen. Ich hatte diesen Spieltrieb früher schon immer. Ich habe mit Fanny, zum Beispiel, ganz ganz viel gespielt, immer so Rollenspiele. Dann haben wir mal Harry Potter gelesen, beide, dann haben wir die Figuren aufgeteilt und haben dann miteinander gespielt. Wir haben uns schon immer so unsere Welten gebaut, zu zweit. Das Coole ist, dass man das zum Beruf machen kann und dass man da weiter Kind sein darf und weiter spielen darf. (…) Meine Mutter verfolgt die Ideologie, dass Kinder lernen wollen und sich das auch nehmen, wenn sie's wollen. Und das habe ich auch gemacht. Also, ich hatte die Möglichkeit, alles Mögliche zu tun, was ich tun wollte, und sie hat eben mich das machen lassen. Man sieht, wenn man zuguckt, so die Spiellust – die haben Freude an dem, was sie tun. Und dürfen Geschichten erleben, die man so privat jetzt nicht erleben würde. Und kriegen so dieses Zusammenspiel zwischen dem Publikum und dem Schauspieler – das ist ja auch eine Dynamik. Und man ist mit den Leuten in einem Raum." Jehanne Worch


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