Die Kinder des Schlosses Die Künstlergemeinschaft im Theater Schloss Maßbach
Für Paul Maar öffnete sich die Tür zur Welt der Kunst dank der Künstlergemeinschaft im Theater Schloss Maßbach. Ging es anderen jungen Menschen, die einen Teil ihrer Jugend im Schloss verbrachten, genauso? Sechs Menschen aus drei Generationen erzählen von ihren Erfahrungen im Schloss Maßbach.
Paul Maar erlebte seine Kindheit in einem – wie man heute neudeutsch sagen würde – bildungsfernen Milieu. Eindringlich erzählte er 2020 davon in "Wie alles kam. Roman meiner Kindheit". Dass sich für ihn als junger Teenager trotzdem die Tür zu der ihm unbekannten und rätselhaften Welt von Theater, Literatur und Malerei öffnete, verdankte er seiner großen Liebe und späteren Ehefrau Nele Ballhaus.
Die legendäre Landesbühne Theater Schloss Maßbach
Nele Ballhaus nämlich wuchs – mit ihrem Bruder Michael – als Kind der Theatergründer Lena Hutter und Oskar Ballhaus – in einem kleinen Privattheater in der unterfränkischen Provinz auf. Zuerst in Schloss Stöckach bei Hofheim und ab 1960 in Schloss Maßbach – heute noch Sitz der inzwischen legendären unterfränkischen Landesbühne Theater Schloss Maßbach.
"Das ist meine Welt! Da will ich hin."
Die Liebe also führte den jungen Paul dazu, jede freie Minute mit Nele im Schloss zu verbringen. "Man saß beim Nachmittagstee", erinnert er sich, "und unterhielt sich über Bühnenstücke, sprach von Malern, die ich nicht kannte und von Büchern, die ich nicht gelesen hatte. Und mir wurde klar: Das ist meine Welt! Da will ich hin."
Ging es anderen "Kindern des Schlosses" wie Paul Maar?
Es ist nicht vermessen zu behaupten, dass aus Paul Maar nicht der Paul Maar geworden wäre, den wir heute kennen und lieben – als Kinderbuchautor, als Geschichtenerzähler, als Illustrator – wenn er nicht von der inspirierenden Aura der großen Theaterfamilie gefangen genommen worden wäre. Doch ist das, was Paul Maar in den 1950er und 1960er Jahren widerfuhr, übertragbar auf die Erfahrungen anderer junger Menschen, die einen Teil ihrer Kindheit oder Jugend im Schloss verbrachten – als Kinder von Künstlern und Künstlerinnen oder anderen Theatermitarbeitern?
Sechs Menschen aus drei Generationen erinnern sich
Das ist eine Spur, die unser Autor Siggi Seuß verfolgt. Die zweite: Könnte das, was Paul Maar erlebt hat, auch Generationen nach ihm berührt haben – Kinder, die in den 1980er Jahren oder in den Nullerjahren des neuen Jahrtausends eng mit dem familiären Kulturmilieu im Schloss verbunden waren? Unser Autor hat mit Paul Maar gesprochen und vergleicht dessen Erinnerungen mit denen nachfolgender Generationen. Befragt wurden Michael Maar, Paul Maars Sohn, Ulla Ballhaus, Tochter aus der zweiten Ehe des Theatergründers Oskar Ballhaus, Maike Jansen, deren Mutter in Maßbach als Schauspielerin engagiert war, und die Künstlerkinder Jehanne Worch und Fanny Schmidt, die in den 2000er Jahren im Schloss aufwuchsen.
Die Kinder des Schlosses
PAUL MAAR:
Paul Maar ist heute 84 Jahre alt. Der Kinderbuchautor erzählt von seiner ersten innigen Begegnung mit der Welt des Theaters. Seine Freundin und spätere Ehefrau Nele – Tochter der Theaterleiter Lena Hutter und Oskar Ballhaus – hatte ihn 1958 nach Schloss Stöckach eingeladen:
"Durch meine neue Mitschülerin, Nele, wurde ich eingeladen in das Schloss Stöckach. Ich wusste nur vom Hörensagen, dass es dort ein Theater gibt, das aber nicht im Schloss selber spielt, sondern Abstecherorte besucht und ich war neugierig. Ich kam hin. Nele hat mich empfangen, hat mich gleich ihrer Mutter und deren neuem Mann und ihrem Vater und dessen neuer Frau vorgestellt. Die wohnten alle im Schloss in verschiedenen Zimmern und Flügeln. Führten auch noch zusammen das Theater, auch wenn sie nicht mehr verheiratet waren. Wir saßen dann mit Neles Mutter und Herbert, ihrem neuen Mann, teetrinkend auf dem Rasen vor dem Schloss. Dann kam nach und nach der Bühnenbildner dazu, der Regisseur, der gerade inszenierte, und ein Schauspieler. Und die haben sich angeregt unterhalten. Und ich hörte aufmerksam zu und spürte, wie ich angeregt wurde und wie irgendeine Saite in mir wach wurde, die vorher noch gar nicht so aufgeweckt war. Und hatte plötzlich das Gefühl: 'Ich will auf keinen Fall ein stadtbekannter Malermeister in Schweinfurt werden. Hier gehöre ich hin! Das wird meine Welt! Da will ich hin!'" Paul Maar