Nachtstudio Rein mit dem Anderen
Dienstag, 13.06.2017
20:03
bis 21:00 Uhr
- Als Podcast verfügbar
BAYERN 2
Über die hohe Kunst des Samplens
Von Jens Balzer
BR 2017
Als Podcast und in der Bayern 2 App verfügbar
Über Samples in der Musik denken wir meistens nur nach, wenn Gerichte darüber Urteile fällen. Neulich entschied eins, dass ein deutscher Rapper ein Sample der Elektronikavantgardisten von Kraftwerk benutzen darf, um daraus einen Beat für seine Musik zu basteln. Kraftwerk sahen ihre Urheberrechte verletzt und hatten deswegen dagegen geklagt. Das Gericht entschied, dass jedes Sample zulässig ist, das eine Auseinandersetzung mit seiner Herkunft, mit der Musikgeschichte erkennen lässt. Was das heißt, das ist strittig, führt aber - über alle Urheberrechtsfragen hinaus - zum Kern der ästhetischen Bedeutung des Samples.
Seit Paul McCartney erstmals 1969 mit dem Mellotron, einer Urform der Sampling-Geräte, ein abwesendes Streichorchester in ein Beatles-Stück pflanzte, ist das Sampling zu einem prägenden Verfahren im Pop geworden. Vielleicht könnte man sagen: Mit ihm ist die Heterogeneität in den Pop eingezogen, das Andere, das Außen, das Material. Was mit dem Anderen passiert: das ist die Frage. Es kann angeeignet werden, um die eigene Musik in eine Tradition einzuordnen - so war es bei den HipHoppern der Neunzigerjahre, die sich mit ihren Jazz- und Funk-Samples als Erben der afroamerikanischen Musikgeschichte darstellten. Es kann aber auch als das Fremde, Nicht-Identische kenntlich bleiben - so ist es bei den elektronisch produzierenden Songwritern der Gegenwart, die ihre eigenen Stimmen, ihren Gesang sampeln und sich selbst gegenüberstellen, um damit Echoräume einer zersplitterten Subjektivität zu erschaffen. Vom historischen Zitat, das der Identifikation dient, ist das Sample im Pop der Gegenwart zum Spiegel unversöhnter Identitäten geworden: Diese Bewegung und ihren historischen Rahmen zeichnet der Essay nach.